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"Große Ratsversammlung" eröffnet

Said Musa Samimy11. Juni 2002

In Afghanistan haben die Beratungen der Loya Dschirga begonnen. Organisatorische Probleme und das politische Tauziehen um den Ex-König Mohammed Sahir Schah verzögerten den Beginn der Versammlung um einen Tag.

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Delegierte aus der Region KandaharBild: AP

Ratspräsident Mohammad Ismael Kasemjar eröffnete die Sitzung in einem Festzelt in Kabul mit den Worten: "Das Treffen der Loya Dschirga ist der Maßstab der nationalen Einheit, des Friedens und der Versöhnung."

Die 1550 Delegierten sollen eine neue Übergangsregierung bestimmen, bis in zwei Jahren ein frei gewähltes Parlament die Geschicke des Landes lenken kann. Der amtierende Übergangs-Ministerpräsident Hamid Karsai gilt als aussichtsreichster Anwärter auf den Posten des Regierungschefs.

Eigentlich sollte König Mohammed Sahir Schah die traditionelle Ratsversammlung eröffnen, doch darüber gab es Streit hinter den Kulissen. Mit dem Verzicht auf alle Ämter hat der frühere König Mohammed Sahir Schah die Spekulationen über seine künftige politische Rolle beendet. Am Montagabend bekräftigte er seine Unterstützung für Hamid Karsai.

Der Weg zur Demokratie

Nach den Petersberger Verhandlungen im Dezember 2001 einigten sich die afghanischen Vertreter auf die Einberufung einer Loya Dschirga, mit deren Hilfe ein Ausgleich zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen gefördert und Afghanistan in eine demokratische Zukunft geführt werden sollte.

Zunächst wurde mit dem offiziellen Übergang der politischen Macht in der Hauptstadt Kabul am 22. Dezember eine erste Interimsverwaltung eingesetzt. Sie besteht aus einer Interimsregierung, einem Obersten Gerichtshof und einer unabhängigen Sonderkommission für die Einberufung einer außerordentlichen Loya Dschirga - eben jene Versammlung, die jetzt zusammentreten wird.

Ein gerechter Proporz als Maxime

Die 21-köpfige Loya-Dschirga-Sonderkommission erarbeitete dann in enger Abstimmung mit der UN-Behörde vor Ort Kriterien für die Zusammensetzung der Stammesverwaltung. Demnach sollen 70 Prozent der Delegierten gewählt und 30 Prozent ohne Wahl bestimmt werden. Das Ergebnis wird am Montag (10.6.) zu sehen sein: Dann kommen die insgesamt rund 1500 Delegierten aus den 32 Provinzen des Landes in Kabul zusammen, um die Weichen für den Aufbau einer demokratischen pluralistischen Gesellschaft in Afghanistan zu stellen.

Um sicherzustellen, dass die Loya Dschirga wenigstens annähernd die komplizierte Bevölkerungszusammensetzung des Vielvölkerstaates repräsentiert, orientierte sich das Auswahlverfahren hauptsächlich am Kriterium der Bevölkerungsdichte. Deshalb etwa kommen 116 Delegierte aus der Provinz Kabul und nur 15 aus der Provinz Logar. Zudem wurde dafür gesorgt, dass die afghanischen Frauen in der patriarchalisch strukturierten Gesellschaft nicht an den Rand des politischen Geschehens gedrängt werden: Insgesamt 160 weibliche Delegierte aus verschiedenen Sparten der Gesellschaft nehmen gleichberechtigt an der Versammlung teil. Allein unter den 100 Delegierten, die die im Ausland lebenden afghanischen Flüchtlinge vertreten, befinden sich 25 Frauen.

Gesorgt wurde auch dafür, dass die religiösen Minderheiten der Sikhs und Hindus mit jeweils zwei Delegierten vertreten sind. Weitere Beispiele sind die Interessengruppe der Blinden und die Berufsgruppe der Journalisten, die jeweils fünf Delegierte entsenden.

Vorbereitung auf die eigentliche Loya Dschirga

Nicht übersehen werden darf dabei, dass die Einberufung der jetzigen, außerordentlichen Loya Dschirga und ihre Tagung vom 10. bis zum 16. Juni nur vorbereitenden Charakter hat. Der Weg ist noch lang und ziemlich kompliziert: Das Gremium soll über die Zusammensetzung einer provisorischen Regierung beraten und darüber hinaus eine Art Übergangsparlament mit 120 Abgeordneten wählen. In enger Zusammenarbeit mit diesem Parlament soll dann die provisorische Regierung eine Verfassung erarbeiten und damit die Weichen für die Einberufung der eigentlichen Loya Dschirga, 18 Monate später, stellen.

Parlament und Übergangsregierung amtieren also nur vorübergehend. Erst die danach zu etablierende eigentliche Loya Dschirga soll gemäß der Petersberg-Vereinbarung endgültig das Schicksal Afghanistans bestimmen. Details dieser Regierungsform bleiben zu klären.

Auf schwierigem Terrain

Die bewaffnete Austragung von Machtkämpfen auch in jüngster Zeit verdeutlicht allerdings, dass der Weg zum Aufbau einer Zivilgesellschaft in Afghanistan steinig bleiben dürfte. Dennoch herrscht allgemein die Hoffnung, dass die Völker am Hindukusch einen modus vivendi finden werden.

Dies sieht übrigens auch die deutsche Bundesregierung so: Sie hat die Vorbereitungen zur Loya Dschirga über die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) aktiv unterstützt und trägt von geschätzten 6 Millionen Euro Gesamtkosten einen beachtlichen Anteil von 2,7 Millionen Euro.