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Große Werke haben große Botschaften

2. November 2009

Enoch zu Guttenberg hätte selbst nicht damit gerechnet, dass Haydns Werke in China so gut ankommen würden. 10 Tage lang war der Dirigent in China unterwegs. Die Reise habe ihn tief berührt, erklärt er im Interview.

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Enoch zu Guttenberg bei Proben in der Concert Hall Bejing
Enoch zu Guttenberg bei Proben in der Concert Hall BejingBild: DW

DW-World.DE: Beim Dirigieren von Joseph Haydns Oratorium "Die Schöpfung" in Peking waren sie zutiefst bewegt. Warum?

Enoch zu Guttenberg: Ich mache Musik nicht mit meinen Botschaften. Große Werke haben große Botschaften. Und die Botschaft der Schöpfung ist: "Schaut mal, was ist euch da geschenkt worden, euch Menschen und was macht ihr damit? Im 21. Jahrhundert, mit Klimawandel und all den Dingen, die wir verursacht haben, ist "Die Schöpfung" nichts Erbauliches mehr, sondern ein lebendiger Vorwurf und vielleicht die letzte Chance umzudenken. Damit ist die Musik bei mir innerlich ausgefüllt, wenn ich sie dirigiere.

Wie ist diese Botschaft in Peking angekommen?

Ich habe nicht damit gerechnet, dass die Werke so eine Punktlandung haben würden. Dass das in einer in unseren Augen fremden Kultur so funktionieren kann, damit habe ich nicht gerechnet. Einige chinesische Konzertbesucher kamen nach den Konzerten hinter die Bühne, um sich zu bedanken. Die haben genau verstanden, worum es ging. Das war geistige Nahrung für die Menschen hier. Und das macht mich glücklich. Deshalb bin ich Dirigent geworden.

Während der „Nelson Messe“ von Haydn war die Pekinger Kirche, in der das Konzert stattfand, von Militär abgeriegelt. Was ging Ihnen da durch den Kopf?

Haydn aufzuführen ist überall auf der Welt ein Akt des Widerstandes. Kirchenkonzerte sind immer ein großes Erlebnis, denn da gehört diese Musik ja hin. Und wenn sie dann in einem atheistischen Staatswesen, in einer katholischen Kirche aus dem 17. Jahrhundert, eine der bedeutendsten, großen europäischen Messen von Haydn aufführen dürfen, dann ist das per se ein umwerfendes Erlebnis. Und wenn die Kirche mit Militär abgeriegelt ist, dann haut einen das um. Da möchte man, dass ein Gloria doppelt jubelt, ein Credo doppelt überzeugt.

Wie haben Sie Peking und Ihre Reise durch China erlebt?

Ich habe mir unter Peking etwas ganz anderes vorgestellt. Ich habe Peking nie gesehen. Was mir extrem auffällt, dass es eine stolze Stadt ist. Aber wirklich bewegend waren alle Begegnungen mit Menschen. Ich bin sehr berührt von dieser Stadt, mit allen Ängsten, die das auch hat, wenn man in eine Diktatur hineinguckt. Aber die Diktatur hat hier nach außen auch ein Gesicht, wo man denkt, es kann freiheitliche Wege da raus geben. Das spüre ich hier.

Gibt es eine persönliche Begegnung, die sie besonders beeindruckt hat?

Ja, nach dem Konzert der "Schöpfung" in Hongkong kam ein über 90 Jahre alter Geigenprofessor hinter die Bühne. Er stand tränenüberströmt vor meinem Dirigentenzimmer. Unter Mao, hat er erzählt, wurde er im Steinbruch umgeschult und ist geflohen. "Die Schöpfung" hat er noch nie live gehört. Er war so glücklich. Da habe ich mir gedacht, allein für diesen Mann hat sich der ganze Aufwand der Reise gelohnt.

Das Interview führte Bettina Kolb

Redaktion: Sabine Oelze