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Großstadtfiguren

3. Mai 2010

In Köln betreibt Walter Hoischen seinen Handel wie vor 100 Jahren. Er zieht mit seinen Zeitschriften abends von Kneipe zu Kneipe und verkauft sie direkt an Mann und Frau. Ein Portrait.

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Walter Hoischen präsentiert in die Kamera eine Auswahl von Zeitschriften (Foto: Julia Betzer/ DW)
Bild: DW

"Elf Freunde, Eulenspiegel, Tag und Nacht…". Walter Hoischens dunkle Stimme dringt durch den Biergarten im Kölner Stadtteil Sülz. Freundlich lächelnd geht der Mann mit dem grauen Pferdeschwanz und der Umhänge-Kasse von Tisch zu Tisch, sagt sein Sprüchlein auf und bietet seine Zeitschriften an. Es sind Stadtmagazine, Comics, Satirehefte. Einige Menschen nicken freundlich, rufen "Hey, Walter!", und kaufen ihm ein Magazin ab. Andere drehen sich genervt weg, starren stoisch auf ihr Bier. Walter Hoischen ist Zeitschriftenverkäufer. Mittags beliefert er Kioske mit seinen Heften, abends verkauft er sie selbst an Mann und Frau – in den Kneipen und Cafés von Köln.

Walter Hoischen im Gespräch mit seinen Kunden vor einer Kneipe (Foto: Julia Betzer/ DW)
Walter in seinem ElementBild: DW

"Wie ein Fisch im Wasser…"

"Viele Menschen sind den direkten Kontakt nicht mehr gewöhnt", erzählt Walter – wie er genannt werden möchte. "Sie fühlen sich durch meine direkte Ansprache bedrängt. Aber das ist heutzutage in einer Großstadt nicht unnormal." Gerade dort, wo viele Menschen eng beieinander wohnen, herrscht komischerweise eine große Anonymität. Viele Hochhausbewohner kennen ihre Nachbarn nicht, das Bahnticket wird am Automaten gekauft, die Kleidung im Internet. Alles ist schnell, effizient, praktisch – aber oft ohne jeglichen menschlichen Kontakt.

Und gerade der ist Walter Hoischen so wichtig. "Ich verkaufe ja nicht nur Zeitschriften, ich unterhalte mich auch mit den Menschen. Über Köln, über das Leben, über Politik. Von jedem Menschen kann man was erfahren, etwas lernen. Das finde ich an meinem Job so spannend." Doch das kann nicht jeder verstehen. Oft wird Walter von älteren Menschen gefragt, was er denn sonst noch so mache - er könne ja nicht "nur Zeitschriftenverkäufer" sein. "Das ist für viele unverständlich, dass man so etwas hauptberuflich macht und dabei auch noch glücklich ist", sagt er schmunzelnd. Besonders groß sei die Verwunderung, wenn er auch noch seinen Uni-Abschluss erwähnt: Ein Akademiker, der Zeitschriften verkauft? Walter Hoischen hat Sozialpädagogik und Sport studiert. Doch nachdem er 30 Jahre lang als Schwimmlehrer gearbeitet hat, sind ihm heute ganz andere Dinge wichtig: "Die Freiheit, mein eigener Chef zu sein, an der frischen Luft zu arbeiten." Vor allem aber die Begegnungen mit Menschen machen ihn glücklich: "Wie ein Fisch im Wasser – so fühle ich mich. Ein Zeitschriftenverkäufer unter Menschen".

"Dann lass ich mich eben selber wählen!"

Walter Hoischen im Einsatz in einer Kölner Kneipe (Foto: Julia Betzer/ DW)
Bekannt wie ein "bunter Hund"Bild: DW

Und die Menschen mögen ihn. "Na, Walter, wie geht's?", ruft eine Frau vom Nebentisch herüber und winkt. "Gut – was macht dein Bruder? Wieder alles okay?" In Köln ist der Zeitschriftenverkäufer bekannt wie ein bunter Hund. Im Stadtteil Sülz, wo er durch die Kneipen zieht, sowieso – aber auch in den anderen Bezirken kennt man Walter Hoischen. Spätestens seit seiner Kandidatur für das Oberbürgermeister-Amt im Jahr 1999. "Das war eine Aktion", sagt er lächelnd. "Ich hatte keine Partei, keine Presse, keine finanzielle Unterstützung von Unternehmen. Trotzdem bekam ich damals immerhin ein Prozent der Stimmen. Das sind mehrere tausend Menschen, die mich gewählt haben". Er wollte damals etwas bewirken, sagt er. Sehen, wie die Stadtpolitik von innen funktioniert. Er war nicht zufrieden mit der Politik und konnte keine Partei guten Gewissens wählen. Also stellte er sich selbst zur Wahl. "Das war die logische Schlussfolgerung". So ist Walter Hoischen: geradeaus.

Und das ist es auch, was die Bürger so an ihm schätzen. "Ich merke, dass ich eine hohe Glaubwürdigkeit habe", sagt er. Setzt er sich für einen Bürgerbescheid ein oder sammelt Unterschriften, stehen viele Menschen hinter ihm, vertrauen auf sein Urteil. "Ich denke, das liegt daran, dass ich so authentisch bin. Ich mache und sage das, was ich denke. Die Leute sehen mich seit Jahren abends auf der Straße – so einem glaubt man, der hat nichts zu verbergen."

Walter Hoischen blickt glücklich lächelnd in die Kamera (Foto: Julia Betzer/ DW)
Spaß an der ArbeitBild: DW

"Hey, da ist der Walter, komm mal her!", ruft ein junger Mann vom Stehtisch eines Cafés und wedelt mit einem Kreuzworträtsel. Dass "der Walter" inzwischen schon sechzig Jahre alt ist, glauben die wenigsten. "Ich werde irgendwann schon mal schauen, dass ich mein Arbeitspensum etwas reduziere", sagt Walter. Das tägliche Gerenne schlägt auch ihm auf die Knochen. Aber ganz aufhören? "Das wird erst dann passieren, wenn der Walter unter der Erde liegt", sagt Hoischen schmunzelnd. Und dann richtet er sich auf und tritt vor den nächste Cafétisch: "Elf Freunde, Eulenspiegel, Tag und Nacht – jemand Interesse?"

Autorin Julia Betzer

Redaktion: Conny Paul