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Große Sorgen auf dem Sinai

Kersten Knipp16. August 2012

Der Angriff islamistischer Terroristen auf Grenzbeamte auf dem Sinai hat in Ägypten für Entsetzen gesorgt. Die Regierung könnte dies zum Anlass nehmen, das Sicherheitssystem des Gebiets grundlegend zu reformieren.

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Ägyptische Soldaten patroullieren in der Nähe des tödlichen Anschlags gegen ihre Kollegen (Foto: dpa)
Ägypten RafahBild: picture-alliance/dpa

16 tote Grenzbeamte, erschossen, als sie gerade das im Ramadan übliche abendliche Fastenbrechen feierten. Die Terroristen töteten sie durch einen Überraschungsangriff, entwendeten ihre Fahrzeuge und fuhren damit in Richtung Grenzübergang Karm Abu Salem. Von dort aus beschossen sie israelisches Territorium. Da sich der Grenzübergang in der Nähe des Gaza-Streifens befindet, verdächtigte Israel zunächst auch Kräfte der palästinensischen Hamas, mit dem Anschlag zu tun zu haben. Die von israelischen Soldaten erschossenen Angreifer erwiesen sich dann aber als Ägypter. Umso deutlicher führte der Anschlag vom 5. August israelischen ebenso wie ägyptischen Militärkreisen vor Augen, wie prekär die Sicherheitslage im israelisch-ägyptischen Grenzgebiet ist.

Zahlreiche Anschläge

Attentate hatte es auf dem Sinai schon vorher gegeben, überwiegend allerdings im Süden der Halbinsel - dort, wo sich der Tourismus konzentriert. Ein besonders schwerer Anschlag fand 2004 auf ein Hotel in der Nähe des israelischen Badeorts Eilat statt, bei dem 34 Menschen starben. Ein Jahr später töteten islamistische Extremisten acht Touristen in dem Badeort Scharm El-Scheich. 2006 starben bei einer Reihe koordinierter Bombenanschläge 23 Menschen. Nach Ausbruch der ägyptischen Revolution häuften sich die Anschläge auf die von Ägypten nach Israel führende Gasleitung. Und im August griffen Terroristen in der Nähe von Eilat einen israelischen Bus an. Insgesamt starben acht Israelis.

Trauernde bei der Beerdigung der getöteten Grenzsoldaten in Kairo, 7.8. 2012. (Foto: Reuters)
Trauer: Beerdigung der getöteten GrenzsoldatenBild: Reuters

Prekäre Sicherheitslage

Die prekäre Sicherheitslage auf der Halbinsel ist allerdings seit längerem bekannt, sagt der palästinensische Journalist und Politikwissenschaftler Khaled Hroub. Zurück gehe sie auf den im Jahr 1979 geschlossenen israelisch-ägyptischen Friedensvertrag von Camp David. Dieser sehe nur eine eingeschränkte Präsenz ägyptischer Militär- und Sicherheitskräfte auf dem Sinai vor. "Seitdem überwachen einige hundert ägyptische Soldaten ein riesiges Gebiet. Das ist eine unmögliche Aufgabe. Die Vorfälle hätten sich darum durchaus schon früher ereignen können."

"Nötig wäre darum ein Paradigmenwechsel, der Ägypten eine größere Souveränität in Militär- und Sicherheitsfragen zugesteht." Ein solches Zugeständnis, ist er überzeugt, würde auch der auf dem nördlichen Sinai verbreiteten Schmuggel-Kriminalität entgegenwirken. Denn auch sie sei eine Folge der in Camp David getroffenen Vereinbarungen. Seit Ausbruch der Revolution nahm der Handel mit Schmuggelgut zwischen dem nördlichen Sinai und dem Gazastreifen zu. Im Juli wiesen US-amerikanische Geheimdienste auf "kriminelle Netzwerke mit möglichen Verbindungen zu terroristischen Gruppen in der Region" hin. Damit gaben sie einen wesentlichen Hinweis: Schlichte Wirtschaftskriminalität und islamistischer Terrorismus sind auf dem nördlichen Sinai kaum voneinander zu trennen.

Ein bei dem Anschlag zerstörtes ägyptisches Militärfahrzeug, Foto vom 6.8. 2012. (Foto: /AP/dapd)
Spuren des Terrors: zerstörtes ägyptisches MilitärfahrzeugBild: AP

Weil die ägyptische Regierung das Gebiet nicht ausreichend kontrollieren und schützen könne, kümmere sie sich auch nicht um das Wohlergehen der dort lebenden Menschen, so Hroub. Darunter hätten vor allem die Bewohner des nördlichen Sinai zu leiden, die oft unter Arbeitslosigkeit und Armut litten. "Dadurch ist in den vergangenen 30 Jahren auf dem Sinai eine gewaltige Frustration und ein gewaltiger Ärger über die ägyptische Regierung entstanden. Diese Leute wurden sich selbst überlassen."

So entschied sich ein Teil der Menschen für zwei naheliegende Optionen: erstens für den Schmuggel in den Gazastreifen als Lösung ihrer wirtschaftlichen Probleme. Und zweitens für einen besonders konservativen Islam, der ihre Not religiös aufzufangen oder zumindest zu deuten vermochte. Im Zuge der seit mehreren Jahrzehnten in der gesamten Region gärenden Militanz nahm auch der Islam auf dem nördlichen Sinai teils extremistische Züge an.

Konkurrenz für die Hamas

Genau darum, erläutert Politikwissenschaftler Hroub, wäre auch die den Gaza-Streifen kontrollierende palästinensische Hamas von der Existenz der ägyptischen Extremisten alles andere als angetan. Darum habe die Organisation bei der Sicherung der Grenze zwischen Ägypten und dem Gazastreifen eine bedeutende Rolle gespielt. Denn sie fürchte die radikalen Gruppen ebenso, wie Ägypten und Israel sie fürchteten. "Israel und Ägypten mögen diese Gruppen aufgrund ihrer terroristischen Anschläge nicht. Für die Hamas hingegen sind sie Konkurrenten im eigenen Gebiet. Diese Gruppen führen ihre Taten im Namen des Islam aus. Das tut auch die Hamas. Zudem beruft sie sich aber auch auf die Sache der Palästinenser."

der ägyptisch-palästinensische Grenzübergang bei Rafah, Foto vom 4.6. 2012 (Foto: dpa)
Schwer bewacht: der Grenzübergang RafahBild: picture-alliance/dpa

Israel hingegen muss zur Kenntnis nehmen, dass seine bislang ruhige Südgrenze unsicherer wird. Darum baut das Land diese Grenze derzeit massiv aus. Umso aufmerksamer schaut man nun auf die politische Entwicklung in Ägypten. Die Absetzung von Verteidigungsminister Hussein Tantawi und Generalstabschef Annan habe in Israel zunächst Besorgnis ausgelöst, sagt der Mainzer Geograph Günter Meyer, Leiter des "Zentrums zur Erforschung der arabischen Welt".

Doch der Umstand, dass die Nachfolger der beiden Militärs ebenfalls etablierte und in Israel bekannte Mitglieder der Armee sind, habe zunächst wieder Entwarnung ausgelöst. Gleichwohl, so Meyer, wisse man in Israel, wie schwierig das Verhältnis zu Ägypten unterhalb der offiziellen Kontakte sei. "Der Ruf Israels ist unter der ägyptischen Bevölkerung so ruiniert, dass Israel kaum die Möglichkeit hat, durch irgendwelche positiven Gesten dieses negative Image zu verbessern."

Umbau der Sicherheitsarchitektur

Dennoch, glaubt der Politikwissenschaftler Khaled Hroub, wird sich die Sicherheitslage an der ägyptisch-israelischen Grenze ändern. Das Entsetzen, das der Angriff auf die Grenzbeamten in Ägypten ausgelöst habe, werde die Regierung wohl veranlassen, das künftig stärker zu kontrollieren. "Ich nehme an, dass Präsident Mursi und seine Regierung die Vorfälle zum Anlass nehmen werden, das gesamte Sicherheitssystem in der Sinai-Wüste zu verändern - sei es in Absprache mit Israel, sei es auf einseitiger Grundlage."