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Gruß von den Pataxó

Weber, Joscha (aus Santo André)9. Juni 2014

Beim öffentlichen WM-Training der deutschen Elf gerät das Geschehen auf dem Platz fast zur Nebensache: Der Besuch der Pataxó-Indios erregt viel Aufmerksamkeit - und könnte sich für beide Seiten lohnen.

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Mesut Özil (r.) und Lukas Podolski (2.v.r.) Arm in Arm mit einem Pataxó-Indio (Foto: Pool/Bongarts/Getty Images)
Bild: Getty Images

Kurz vor ihrem großen Auftritt hat Vilma Marcus alle Hände voll zu tun. Ihre Schüler laufen wild umher, sollen aber zusammen bleiben. Fotografen wollen Bilder, Kameramänner ebenso, Journalisten haben Fragen und zu allem Überfluss klingelt ihr Handy ständig. Dennoch lächelt sie. Das sei ein guter Tag für ihre Schule, sagt sie. Denn endlich werden sie und ihre Schüler wahrgenommen. Deshalb sind 20 Stammesmitglieder der Pataxó, einem indigenen Stamm aus Bahia, zum ersten öffentlichen Training der deutschen Nationalelf gekommen. "Diese WM ist eine große Chance für unser Land und wir fühlen uns mit unserer Kultur als Teil davon", sagt Vilma Marcus, die einen klaren Wunsch an die brasilianische Regierung hat: "Wir wollen endlich das Land bekommen, das uns gehört."

Dafür haben die Pataxó-Indios auch schon demonstriert, ebenso wie gegen einige Zellulosefirmen, die in den Reservaten große Eukalyptusplantagen gesetzt haben. Doch anders als bei einigen Demonstrationen in Rio de Janeiro soll es bei den Protesten der indigenen Bewohner Bahias friedlich bleiben: "Wir sind gegen Gewalt. Wir wollen nur nach unseren Rechten fragen und auf uns aufmerksam machen", sagt die Lehrerin. Doch jetzt müsse sie los, sie will Geburtstagskind Miroslav Klose gratulieren, ihm als Geschenk Pfeil und Bogen überreichen.

Lehrerin Vilma Marcus, Stammesmitglied der Pataxó-Indios aus der Region Bahia, beim Besuch der deutschen Nationalelf in Santo André (Foto: DW/J. Weber)
Vilma Marcus ist Stammesmitglied der Pataxó-Indios aus der Region Bahia und setzt sich für deren Interessen einBild: DW/J. Weber

Geburtstags-Tanz für Miroslav Klose

Der einzige Stürmer im deutschen Team feiert an diesem Tag seinen 36. Geburtstag und bekommt ein ganz besonderes Ständchen: Begleitet von Sicherheitsleuten betreten Vilma und ihre Schüler den Rasen des DFB-Trainingsplatzes, um kurz darauf für die deutschen Kicker zu tanzen und zu singen. Die stehen anfangs im Kreis um die mit Federn, bunten Ketten und Stirnbändern geschmückten Tänzer herum. Dann fassen sich Thomas Müller und Per Mertesacker ein Herz und tanzen mit, Mario Götze und Bastian Schweinsteiger steigen mit ein und Lukas Podolski greift munter zur Rassel.

Miroslav Klose (M.) tanzt mit Pataxó-Indios (Foto: Pool/Bongarts/Getty Images)
Geburtstagskind: Miroslav Klose und die Pataxó-IndiosBild: Getty Images

Für den Deutschen Fußball-Bund (DFB) und wohl auch viele Medienvertreter sind die Pataxó-Indios der willkommene bunte Farbtupfer zum Auftakt des WM-Aufenthalts. Die Bilder, die von Santo André aus in die Welt gehen, sprechen eine eindeutige Sprache: Deutschlands Fußballer lernen die Kultur des Gastgeberlandes kennen, holen diejenigen in ihre Mitte, die in Brasiliens Gesellschaft eher am Rande stehen. Die rund 11.000 Pataxó, die als erste Ureinwohner des heutigen Brasiliens auf die portugiesischen Kolonialherren trafen, sind meist arm und haben kaum eine Stimme in ihrem Land. Auch deshalb ist ihr Besuch bei den deutschen Kickern so wichtig, denn hier berichten nationale und internationale Medien über sie.

Die deutsche Elf macht neugierig

Für den DFB ist es der stimmungsvolle Auftakt des WM-Aufenthaltes im sonst eher verschlafenen Küstenort Santo André. "Es ist begeisternd zu sehen, dass eine WM schon im Vorfeld Menschen zusammenführt. Es waren wunderbare, spontane Gespräche und Begegnungen bisher hier", wird DFB-Teammanager Oliver Bierhoff wenig später auf der Pressekonferenz sagen und betonen, dass er "eine besondere Atmosphäre" in Santo André spüre. Auch DFB-Generalsekretär Helmut Sandrock schwärmt von einem "wunderbaren Empfang", das habe gezeigt "dass wir hier willkommen sind".

Philipp Lahm tanzt mit Pataxó-Indios (Foto: Pool/Bongarts/Getty Images)
Kapitän: Auch Philipp Lahm zeigt RhythmusgefühlBild: Getty Images

Der Eindruck stimmt. Als der DFB am Montagmorgen um 9:30 Uhr Ortszeit die Pforten zum Trainingsgelände öffnet, strömen rund 500 Zuschauer durch das Blechtor auf die kleine Tribüne an der Seitenlinie des Platzes. Viele tragen die brasilianischen Farben, nicht wenige aber auch das deutsche Auswärtstrikot, das Ausrüster Adidas nicht ohne Kalkül stark an das Design des Trikots von Flamengo Rio de Janeiro angelehnt hat. Die deutsche Mannschaft macht neugierig, ist für manchen Zuschauer ein WM-Favorit und hat hier viele Sympathien.

Ist der Pataxó-Besuch eine vorbeugende Maßnahme?

Aber warum ist das so? Seleção-Fan Raphael steht in der ersten Reihe der Zuschauer am Trainingsplatz und hat eine Antwort: "Ich finde, es ist eine wirklich interessante und starke Mannschaft. Sie werden eine sehr gute WM spielen", meint er, lobt aber zugleich die Bedingungen, die die DFB-Elf hier vorfindet. "Sie haben hier einen exzellenten Platz, ein schönes Hotel und werden es hier sehr gut haben."

Davon ist auch Oliver Bierhoff überzeugt. Santo André sei "ein ganz neuer Reiz für die Mannschaft". Und: "Es hilft sicher, dass die Brasilianer merken, dass wir uns hier integrieren." Es ist sicher kein Zufall, dass der DFB genau diese Botschaft an die lokale Bevölkerung aussendet, denn im Vorfeld war auch über mögliche Proteste und Straßenblockaden der indigenen Bevölkerung berichtet worden. In der abgelegenen und praktisch nur über einen Fluss zugänglichen Region könnte ein solcher Zwischenfall dem deutschen Team erhebliche logistische Probleme bereiten. Die Einladung von Vilma Marcus und ihren Schulkindern könnte also kein Zufall gewesen sein.