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Auf Tradition setzen

Kate Müser 10. Mai 2015

Regisseur Thomas Grube kennt die Berliner Philharmoniker wie kein anderer. Für seine Dokumentarfilme "Rhythm Is It!" (2004) und "Trip to Asia" (2008) begleitete er das Ensemble unter Simon Rattle bis nach Asien.

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Deutschland Thomas Grube
Bild: picture-alliance/E54/S.Scheffler

Die Berliner Philharmoniker funktionieren wie ein perfektes Unternehmen, meint der Filmmacher Thomas Grüber. Im Gespräch mit der Deutschen Welle hält er fest, was man von dem Orchester alles lernen kann.

DW: Was macht für Sie als langjähriger Beobachter des Orchesters die Berliner Philharmoniker einzigartig?

Thomas Grube: Dass sie es schaffen, über ein Jahrhundert so erfolgreich zu sein und diese Qualität zu halten. Dass sie es schaffen, diese Spitzenqualität durchgehend zu halten.

Was mich interessiert hat, ist das Geheimnis dahinter herauszufinden, wie ein Erfolg so konstant ohne Einbrüche funktionieren kann - in einer Gemeinschaft von Künstlern. Orchestermusiker zu sein müsste eigentlich was Frustrierendes sein. Wenn man Künstler ist, will man gehört werden und sich ausdrücken und hat sein halbes Leben auf einem Instrument geübt und geht dann in ein Orchester, wo man letztendlich einer von vielen ist und im Zweifelsfall nicht mehr gehört wird. Am Anfang träumt bestimmt jeder Violinist davon, Solist zu sein, und im Orchester sitzt man unter vielen Kollegen mit Launen und geht ein bisschen unter. Und alle tragen die gleichen schwarzen Jacken! Trotzdem müssen sie in dieser Masse Spitzenleistungen bringen und jeden Tag motiviert sein.

Mich hat interessiert, was für ein System dahinter steckt. Auf der einen Seite sind alle die Besten ihres Fachs, aber das alleine macht es nicht aus. Es hat extrem viel mit dem System zu tun, wie das Orchester aufgebaut ist. Dass jeder einzelne Musiker im Grunde - um es auf die Wirtschaft zu übertragen - wie ein Teil des Unternehmens fungiert, wie ein Stakeholder in der ganzen Geschichte. Das Orchester wählt seine Mitspieler selbst. Die Musiker wählen ihren Chefdirigenten, und sie haben Entscheidungsrecht über ihren Intendanten. Das ist eine Situation, die relativ außergewöhnlich ist. Dadurch entsteht viel mehr Selbstbewusstsein und Verantwortungsbewusstsein - viel mehr Pflicht, für die eigene Sache einzustehen.

Die Berliner Philharmoniker werden gerne mit positiven deutschen Tugenden in Verbindung gebracht wie Technik und Streben nach Perfektion. Ist diese "Unternehmenskultur", die Sie beschreiben, typisch Deutsch?

Man muss auch sehen, dass dieses Orchester sehr international ist. Es sitzen viele Deutsche darin, aber auch viele Franzosen, Amerikaner, Asiaten. Es ist sehr global und modern. Die Ausländer im Orchester fühlen sich hingezogen zur deutschen musikalischen Tradition, für die das Orchester auch steht und die dort hochgehalten wird.

Um zum System zurückzukommen, glaube ich, dass unsere Gesellschaft davon lernen kann. In einem aktuellen Projekt habe ich gerade mit großen Unternehmen zu tun und denke dabei ganz oft an die Berliner Philharmoniker. Ich glaube, wenn wir mehr Mitbestimmung hätten, wenn wir dem Einzelnen mehr Verantwortung geben würden und ihn nicht mehr zum Angestellten machen, könnten wir von Menschen mehr erwarten - gerade was Innovation und Leidenschaft angeht. Die brauchen wir für unsere Zukunft.

Ich denke oft an das Orchester, weil ich glaube, dass dort unglaublich viele Dinge sehr gut laufen. Und das hat viel mit dieser Selbstbestimmung und Mitbestimmung zu tun. Viele Klischees, die auf Deutschland passen, passen vielleicht auch auf Asien oder andere Kulturen, insofern vermischt sich das heute ein bisschen. Das, was früher Deutsch war, ist heute gar nicht mehr so Deutsch, außer in der musikalischen Tradition. Da hält dieses Orchester - eine bestimmte Art zu spielen, ein bestimmter Streicherklang - eine bestimmte Tradition hoch.

Wir sind mit unserem ersten Film "Rhythm Is It!" in die Rattle-Zeit gestoßen - wirklich in den absoluten Anfang und deren Offenheit gegenüber einem neuen Klangbild. In Verlauf der Rattle-Jahre gab es einen riesigen Generationswechsel im Orchester. Es sind viele ältere Musiker, die unter Karajan gespielt haben, in Pension gegangen. Man bleibt dort auf Lebenszeit, das ist auch so ein Punkt. Es sind unglaublich viele Junge dazu gekommen. Gerade die junge Generation ist besonders interessiert an dem traditionellen Klang. Es waren eher die Alten, die neugieriger waren, was Neues auszuprobieren.

In ihrem Film "Trip to Asia" proträtieren Sie das innere Leben des Orchesters. Aber wie haben Sie erlebt, wie das Orchester vor Ort wahrgenommen wurde?

Es war noch extremer. Es sind viele Freundschaften zu Musikern entstanden, und wie ich höre, erleben sie das immer wieder. Es war nicht einmalig und zufällig; der Empfang in Taipeh, die Open Air-Geschichten, die Fans, die am Ausgang warten, um Autogramme von jedem Musiker abzuholen.

In Asien fällt es auf, dass es extrem viele junge Leute gibt, die sich für klassische Musik interessieren. Das kann daran liegen, dass gerade in China und Taiwan eine musikalische Ausbildung hoch angesehen wird. Es gehört zum guten Ton, dass ein Kind ein Instrument lernt. Danach habe ich einen Film mit Lang Lang gemacht. Mit ihm war ich auch in China unterwegs und habe Ähnliches erlebt.

Simon Rattle führte die digitale Konzerthalle ein und entwickelte ein starkes Bildungsprogramm: Was muss der neue Chefdirigent tun, um nachhaltig ein internationales Publikum zu behalten?

Ich habe Simon Rattle an seinem absoluten Anfang kennengelernt - mit all seinen Unsicherheiten und seinem Respekt vor diesem Orchester. Wir haben am Anfang ein Interview mit ihm gemacht. Er hat damals gesagt, sein Ziel sei es, dieses Orchester fit zu machen für das 21. Jahrhundert. Im Rückblick hat er das wirklich geschafft.

Es ist ein modernes, gegenwärtiges Orchester, es ist mehr unterwegs denn je, das Publikum in der Philharmonie hat sich verjüngt. Sie sind sehr erfolgreich und die digitale Konzerthalle ist ein super Beispiel dafür. Rattle hat alle Dinge eingelöst, die er sich am Anfang vorgenommen hat und das sehr konsequent.

Was der neue Chefdirigent haben muss, ist Selbstbewusstsein. Aber die Musiker werden niemanden wählen, der dieses Selbstbewusstsein nicht hat. Ich bin sehr gespannt. Ich könnte mir vorstellen, dass nach dem Aufbruch mit Rattle nun eine Phase der Rückbesinnung auf die Tradition kommt.

Für seinen Dokumentarfilm "Rhythm Is It!" erhielt Thomas Grube den Bayerischen Filmpreis und den Deutschen Filmpreis (Bester Dokumentarfilm). Sein Film "Trip to Asia" bekam den "Tiempo del Historia Award" auf dem "Valladolid International Film Festival". Neben den Berliner Philharmonikern drehte Grube Filme mit anderen internationalen Musikstars wie Cameron Carpenter, Lang Lang, Anne Sophie Mutter und Hillary Hahn.