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"Verbot zielt auf Regimekritiker"

Daria Bryantseva / mo3. Juli 2014

In Russland verbietet ein neues Gesetz den Gebrauch von Schimpfwörtern in Medien und Internet, aber auch in Filmen und auf der Bühne. Der Publizist Gasan Gusejnov kritisiert das Verbot im DW-Interview.

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Der russischer Philologe Gassan Gussejnov (Foto: privat)
Bild: privat

Deutsche Welle: Herr Gusejnov, wie bewerten Sie das von Präsident Wladimir Putin unterzeichnete Gesetz, das am Dienstag (01.07.2014) in Kraft getreten ist und die Verwendung von Schimpfwörtern in einer größeren Öffentlichkeit weitgehend untersagt?

Gasan Gusejnov: Das ist einfach ein weiterer repressiver Akt, der erst von der Duma abgesegnet wurde und nun Gesetz geworden ist. Das Gesetz ist Teil eines ganzen Pakets restriktiver Regelungen, die verabschiedet wurden. So werden jetzt Blogger faktisch Journalisten gleichgesetzt. (Wenn sie mehr als 3000 Besucher am Tag haben, müssen Blogger sich bei den Behörden registrieren lassen, ansonsten droht ihnen eine Strafe in Höhe von bis zu 10.000 Euro - Anmerk. d. Red.) Es ist doch einfach, mit angeheuerten Klickern 10.000 Leser am Tag zu erzeugen, um so auch den kleinsten Regimekritiker wegen Verstoßes gegen das Gesetz vor Gericht stellen zu können.

Das Gesetz zum Verbot von Schimpfwörtern sieht Geldstrafen von bis zu umgerechnet 5000 Euro vor. Darüber soll eine sogenannte unabhängige Kommission entscheiden. Wie stark ist denn eine Vulgärsprache in Russland verbreitet?

Während der gesamten sowjetischen Phase der russischen Geschichte durften sich weder Presse, Literatur, Theater oder Kino vulgärer Sprache bedienen. Aber was ist das Ergebnis? Ich habe in den vergangenen 20 Jahren etwa zwei Dutzend Länder besucht. In keinem Land fluchen die Menschen so viel im Alltag wie in Russland. Anstatt dieses Phänomen der lebendigen, modernen, russischen Sprache wissenschaftlich zu untersuchen und zu verstehen, wird ein Gesetz angenommen, das die Abgeordneten als erste verletzen. Es sei nur an Reden des Abgeordneten Wladimir Schirinowski zu erinnern, der öffentlich obszöne Wörter verwendet. Ein Journalist darf ihn jetzt nicht einmal mehr zitieren.

Nehmen wir mal an, in einem unabhängigen Gutachten würde eine Liste von Schimpfwörtern erstellt. Würde sie lang sein?

Diese Liste wäre unendlich lang. Und für jedes verbotene Schimpfwort würden gleich viele neue entstehen, die mit ihnen assoziiert würden.

Welchen Stellenwert haben Schimpfwörter für die Russen und insbesondere für russische Künstler?

Vielleicht gibt es zu viele Schimpfwörter im Alltag und in der Kunst. Sie sind meines Erachtens ein Indikator für die psychische Gesundheit und geistige Disziplin. Beide diese Bereiche sind in Russland krank. Im wahrsten Sinne des Wortes. Diesem Problem müssen sich qualifizierte Psychiater, Historiker, friedensstiftende Politiker und Menschenrechtler annehmen. Das wird früher oder später geschehen, aber nicht mit Hilfe solcher Gesetze.

Kann man auch ohne Schimpfwörter auskommen?

Die Gesellschaft braucht Schimpfwörter: Sie habe eine politische und soziale Funktion. Im Alltag ist Vulgärsprache immer ein Ausdruck tiefer Frustration, eines Gefühls der Wertlosigkeit. Wenn man nicht wirklich wählen und sich nicht am politischen Kampf beteiligen kann, wenn gewöhnliche Worte keine Macht haben, taucht man ein ins Verbotene, ins Tabuisierte. Mit der Sprache beschäftigen sich Etymologen und Historiker. Unsere Aufgabe ist es zu verstehen, warum die einen fluchen und die anderen die massive Verwendung von Schimpfwörtern ausnutzen, um repressive Gesetze einzuführen.

Gasan Gusejnov ist ein russischer Altphilologe, Kulturhistoriker, Publizist und Hochschullehrer. Er ist Autor mehrerer Bücher. Zu Themen der Klassischen Philologie, der Kulturgeschichte sowie der russischen Gegenwartsliteratur hat er zahlreiche Aufsätze veröffentlicht, darunter auch über russische Schimpfwörter.

Das Gespräch führte Daria Bryantseva.