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"Guttenberg muss für Klarheit sorgen"

15. Dezember 2009

Am Mittwoch (16.12.2009) konstituiert sich der Verteidigungsausschuss des Bundestages als Untersuchungsausschuss zu Kundus. Interview mit Rolf Mützenich, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.

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Rolf Mützenich, außenpolitischer Sprecher der SPD-FraktionBild: DW

DW-WORLD.DE: Herr Mützenich, was kann dieser Untersuchungsausschuss leisten?

Rolf Mützenich: Ich hoffe, dass er eine Menge leistet. Wichtig ist insbesondere ist die Frage, ob er öffentlich tagen können wird. Die Öffentlichkeit - nicht nur das Parlament - hat ein großes Interesse zu erfahren, was in Kundus passiert ist. Was wusste der Verteidigungsminiser? Was wusste die alte Bundesregierung? All das sind Fragen, die im Raum stehen und die der Ausschuss klären muss. Trotzdem muss auch der Verteidigungsminister in der Lage sein, innerhalb seines Hauses für Klarheit zu sorgen. Das kann nicht der Untersuchungsausschuss tun, das muss er selbst schaffen.

Aber wozu brauchen Sie einen Untersuchungsausschuss? Sie sind doch ganz nah dran an der ehemaligen Regierung. Der umstrittene Angriff fiel ja noch in die Regierungszeit der großen Koalition - also auch der SPD.

Das stimmt, aber wir müssen jetzt wissen, ob es - wie in den Medien behauptet - auch einen Strategiewechsel gegeben hat. Ich bezweifle das. Das wäre ja auch gegen die damaligen Versuche innerhalb der NATO gewesen, zu einer neuen Strategie zu kommen. McCrystal wollte ja von den Luftangriffen wegkommen, und stärker auf Einsätze auf dem Boden setzen. Ich glaube, deshalb war auch das Entsetzen unter den anderen Ländern so groß, die in Afghanistan beteiligt sind. Auf der anderen Seite müssen wir aber auch wissen, warum der Verteidigungsminister den Angriff zuerst als "angemessen" bezeichnet hat und sich dann korrigieren musste und nun von einem "nicht angemessenen" Angriff spricht.

Es ist ja nicht das erste Mal, dass die Bundeswehr beteiligt ist, wenn in Afghanistan gezielt Menschen getötet werden. Im November 2007 fand die erste Großoffensive unter deutschem Kommando seit dem Zweiten Weltkrieg statt. Dabei waren mehr als tausend Soldaten im Einsatz, mehr als ein Dutzend Taliban wurden getötet. Im Juli 2009 wurden bei der Offensive der ISAF und der afghanischen Armee mehr als 20 Taliban getötet. Auch die deutsche Schnelle Eingreiftruppe war dabei. Darüber spricht niemand.

Afghanistan Bundeswehr Deutschland Angriff auf Tanklaster in Kundus
Die Tanklastzüge am Tag nach dem AngriffBild: AP

Darüber wurde sehr wohl geredet, sie wissen ja auch davon. Wir haben im Bundestag sehr offen darüber diskutiert. Das Problem war, dass in Kundus die Gefahr steigt. Die Taschenkarte - also die Anweisung für die Soldaten - wurde damals geändert. Die Soldaten dürfen nicht mehr nur auf Angriffe reagieren, sondern auch Angreifer verfolgen. Das ist alles durch das ISAF-Mandat des UN-Sicherheitsrats gedeckt. Aber im Fall von Kundus stellt sich die Frage, ob bekannt war, dass durch den Angriff so viele Zivilisten verletzt werden. Wenn die Opger willentlich in in Kauf genommen wurden, entspricht das nicht mehr der Strategie und auch nicht den Genfer Konventionen. Das sind die Fragen, die wir klären müssen und insbesondere: Wie ist der Verteidigungsminister zu der Auffassung gekommen, dass das "angemessen" war?

Es ist ehrenwert, im Unersuchungsausschuss klären zu wollen, ob es angemessen ist, Taliban zu töten. Aber finden Sie die Forderungen der Opposition nach dem Rücktritt von Verteidigungsminister zu Guttenberg, der ja während dieses Angriffs noch gar nicht im Amt war, nicht ein bisschen scheinheilig?

Ich habe das nicht gefordert. Da müssen Sie diejenigen fragen, die das gefordert haben.

Die Forderungen kommen aber auch aus Ihrer Partei....

Ich weiß nicht, wer das in dieser Partei gefordert hat.

...Sigmar Gabriel, der Parteivorsitzende....

Nein, Herr Gabriel hat etwas anderes gesagt. Er hat gesagt: Herr zu Guttenberg muss an sich die selbe Messlatte legen, die er auch an seinen Vorgänger Franz-Josef Jung gelegt hat. Die Frage ist schon, ob Herr zu Guttenberg etwas gewusst hat, was er damals dem Bundestag und der Öffentlichkeit nicht mitgeteilt hat. Und damit stellt sich dann auch die Frage, ob die Entlassung von Generalinspekteur Schneiderhan und Staatssekretär Wichert ein Bauernopfer war für etwas, das der Minister unterlassen hat. Hier besteht Aufklärungsbedarf und auch Aufklärungspflicht.

Was finden Sie wichtiger, den Aufklärungsbedarf über die ethischen Grundsätze oder die Frage, ob Herr Guttenberg zurücktreten muss?

Beides ist nowendig. Herr Guttenberg muss sich im Untersuchungsausschuss äußern und es müssen die Fakten auf den Tisch darüber, was die Bundesregierung in konkreten Situationen wusste. Und wenn sie darauf hinweisen, dass wir als SPD mit verantwortlich in der Regierung waren dann ist das richtig. Aber wir haben von Anfang an gesagt: Das ist unverhältnismäßig. Der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat immer von zivilen Opfern gesprochen - auch als der damalige Verteidigungsminister Jung das noch in Abrede gestellt hat.

(Rolf Mützenich ist außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Anfang September wurden bei einem Bombenangriff in Kundus auf zwei Tanklastzüge, die von den Taliban entführt worden waren, mehr als hundert Menschen getötet, unter ihnen viele Zivilisten. Verteidigungsminister Franz-Josef Jung rechtfertigte den Einsatz zunächst, und musste später zurücktreten.)

Das Interview führte Nicola Reyk
Redaktion: Mathias Bölinger