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"Totale Kontrolle und offene Worte"

Esther Felden6. November 2015

Was sieht man und worüber spricht man, wenn man im Rahmen einer Delegationsreise Nordkorea besucht? Grünen-Politikerin Bärbel Höhn hat es gerade erlebt und schildert der DW ihre Erfahrungen.

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Bärbel Höhn, stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion von Bündnis 90 / Die Grünen, auf dem Kim-Il-Sung-Platz in Pjöngjang (Foto: Frank Zauritz)
Bild: Frank Zauritz

Deutsche Welle: Frau Höhn, Sie sind vergangene Woche aus Nordkorea zurückgekehrt - was war Ihr eindringlichstes Erlebnis bei der Reise?

Es ist die Überwachung. Es ist bedrückend, dass man sich in jeder Sekunde überwacht fühlt, und dass es wirklich ein Gefühl von Freiheit ist, wenn man dann nach China kommt. Auch das ist ja nun kein freies Land. Aber Nordkorea ist noch härter, was die Überwachung betrifft. Von daher ist es auch ein gutes Gefühl gewesen, wieder rauszukommen aus diesem Land.

Ansonsten ist mir aufgefallen, dass Pjöngjang sich verändert hat. Ich war vor drei Jahren schon einmal da. Heute gibt es mehr Autoverkehr und auch mehr Vergnügungseinrichtungen. Da merkt man offensichtlich die Hand von Kim Jong Un, der Delfinarien, Zoos und ähnliches errichten lässt.

Sie sind zum zweiten Mal in Nordkorea gewesen. Mit welchen Erwartungen sind Sie gefahren, und inwieweit wurden diese Erwartungen erfüllt?

Im Vorfeld der Reise waren wir vorsichtig optimistisch. Es hatten sich ein paar Entwicklungen ergeben, aus denen wir den Eindruck hatten, dass sich zum Beispiel auch im Hinblick auf die Sechs-Parteien-Gespräche (über ein Einfrieren des nordkoreanischen Atomprogramms, zwischen Nord- und Südkorea, Japan, China, Russland und USA, liegen seit 2009 auf Eis, Anmerk. der Red.) etwas tun könnte. Nord- und Südkorea hatten ihren jüngsten Grenzkonflikt Ende August relativ schnell beigelegt. Und aus China gab es Signale, dass Peking in Richtung Sechs-Parteien-Gespräche gehen wollte. Deshalb war bei uns ein gewisser Optimismus da.

Den hat aber das Gespräch bei der Partei - und das ist ja in einem solchen Land das entscheidende Gespräch - absolut zunichte gemacht. Die Nordkoreaner haben sehr deutlich gesagt: Die Sechs-Parteien-Gespräche sind bedeutungslos. Wir haben darauf hingewiesen, dass China da eine vollkommen andere Position vertritt. Darauf haben sie geantwortet: Das interessiert uns nicht, wir sind unabhängig von China. Das war dann schon sehr ernüchternd. In Nordkorea muss man immer auch damit rechnen, dass wieder mal eine andere Seite in den Machtauseinandersetzungen innerhalb der Führung die Oberhand gewinnt.

Bärbel Höhn (Mitte) und weitere Mitglieder der deutsch-koreanischen Parlamentariergruppe gemeinsam mit nordkoreanischen Gesprächspartnern beim Gruppenbild in Pjöngjang (Foto: Frank Zauritz)
Nichts wird in Nordkorea dem Zufall überlassen - jeder Termin ist genau geplant, bis hin zum obligatorischen GruppenfotoBild: Frank Zauritz

Sie haben angedeutet, dass Sie mit Parteivertretern gesprochen haben. Was waren daneben die thematischen Schwerpunkte der Reise?

Mit der Partei spricht man in so einem Land eigentlich immer. Aber es gab natürlich auch inhaltliche Schwerpunkte, die gerade aus meiner Sicht sehr wichtig waren. So haben wir auch mit Vertretern des Landwirtschaftsministeriums geredet. Dort habe ich nochmal sehr deutlich auf einen Widerspruch hingewiesen: Wenn Nordkorea auf der einen Seite immer wieder sagt, dass die Ernte-Erträge nicht ausreichend sind, dann muss man auf der anderen Seite fragen, warum sie nicht mehr Privat-Initiativen zulassen. Gerade, was Hausgärten angeht. Dadurch könnten die Leute ihre Produkte verkaufen. Das muss einfach verstärkt werden.

Und warum weisen sie einen Entwicklungshelfer aus, der über Jahre bei Projekten geholfen hat, die Ernteerträge zu vergrößern und dann die Ernte richtig zu lagern, damit sie nicht verschimmelt und als Ernährungsquelle zur Verfügung steht? Die Antwort war sehr deutlich: Zuerst kommt der Staat. Er steht sozusagen über der Ernährungssicherheit der Bevölkerung. Das war schon eine sehr ehrliche Antwort.

Sie sind sich der Probleme bewusst und sehen auch, was man verbessern und verändern könnte. Und selbst in einem Land wie Nordkorea gibt es den einen oder anderen - gerade auch in den ländlichen Regionen -, der vor Ort natürlich an einer Verbesserung der Situation für die Bevölkerung interessiert ist. Von daher ist es ganz entscheidend, dass man nicht nur in Pjöngjang bleibt, sondern auch in den ländlichen Raum fährt.

Sie haben über die Sechs-Parteien-Gespräche gesprochen und über die Ernährungssituation - beides durchaus heikle Themen für die Führung. Inwieweit hatten Sie das Gefühl, dass Ihre Gesprächspartner offen mit Ihnen gesprochen haben?

Ich denke, man darf nie das Gefühl haben, dass sie offen mit einem reden. Vielleicht nur im kleinsten Kreis, und selbst dann wahrscheinlich auch nur, wenn man wirklich über Jahre eine gewisse Art von Vertrauen aufgebaut hat, so weit das überhaupt möglich ist. Am besten geht das wohl mit Leuten, die auch Deutsch können und bei denen man nicht auch noch einen Dolmetscher braucht. Denn der Dolmetscher ist ja in der Regel auch schon ein Kontrolleur.

Aus meiner Sicht waren wir sehr offen, auch in der Art, wie wir die Gegenüber konfrontiert haben. Das hatten wir vorher auch beim deutschen Botschafter abgesichert, weil man das natürlich klären muss, wie weit man da gehen kann. Mein Eindruck war: Auch wenn man die Nordkoreaner mit Wahrheiten konfrontiert, wird man keine ehrliche Antwort bekommen. Aber sie werden es sich eben anhören, und es gibt auch den einen oder anderen, der daraus seine Schlüsse zieht.

Haben Sie auch unangenehme Reaktionen erfahren?

Nein, das nicht. Wenn wir eine unangenehme Frage gestellt haben, gab es einfach gar keine Reaktion darauf, null. Da sind sie in der Antwort ausgewichen.

Bärbel Höhn gemeinsam mit Nordkoreanern bei einem Picknick (Foto: Frank Zauritz)
Beim Besuch der alten Kaiserstadt Kaesong stieß die Delegation auf ein Picknick. "Zuerst wollte die Gruppe direkt aufbrechen, dann aber ließen sie sich fotografieren und boten Speisen und Getränke an"Bild: Frank Zauritz

Hatten Sie zu irgendeinem Zeitpunkt der Reise die Gelegenheit, etwas Ungeplantes zu tun, also am Rande mit nicht vorher ausgewählten Personen zu sprechen?

Nein, so etwas halte ich auch für undenkbar. Erst einmal muss man davon ausgehen, dass derjenige, der dolmetscht, auch gleichzeitig kontrolliert. Über diesen Dolmetscher ist immer auch eine Kontrolle dabei, und es wäre sehr ungewöhnlich, wenn man jemanden zufälligerweise trifft, der so gut deutsch oder englisch spricht, dass er sich ohne Dolmetscher mit uns unterhalten könnte.

Ich möchte ein Beispiel erzählen. Auf unserem Weg zur Universität hieß es plötzlich, es würde sich alles um eine halbe Stunde verzögern, wir sollten uns vorher noch etwas anderes anschauen. Offensichtlich war der Grund dieser Verzögerung, dass es dort einen Stromausfall gab - ausgerechnet in dem Bereich der Universität, wo wir hinwollten. Der Fahrstuhl funktionierte auch nicht. Und das hätten wir natürlich gemerkt. Das wollte man aber vor uns verbergen und hat dann den Professor und die drei Studenten in einen ganz anderen Raum gebracht.

Da wird alles penibel vorher geklärt, damit nicht irgendwie ein falscher Blick entstehen könnte. Und das ist auch etwas, was man lernen muss. Denn das, was einem vorgeführt wird, ist sehr viel positiver als die Realität. Wenn man das nicht weiß, könnte man denken: So schlecht ist das alles hier ja gar nicht. Das heißt, man muss auch Hintergrundwissen haben, um das richtig einordnen zu können.

Haben Sie das Gefühl, dass Sie nach der Reise tatsächlich mehr wissen darüber, wie es um Nordkorea derzeit steht und wie es den Menschen geht?

Ich habe schon das Gefühl, dass ich einiges mehr verstanden habe. Aber alles wird man dort nie verstehen. Die entscheidende Frage ist für mich: Warum fahre ich dorthin und was ist das Ziel, das man dort erreichen will? Ich fahre hin, weil ich in der deutsch-koreanischen Parlamentariergruppe bin und weil es sehr wenig Begegnung mit Delegationen aus anderen Ländern gibt, die dort hinfahren. Aber aus Deutschland gibt es diese Begegnungen eben. Es hat ja auch immer sehr enge Beziehungen zwischen Nordkorea und der DDR gegeben. Insofern gibt es auch viele Menschen im Parteiapparat oder in Machtpositionen, die deutsch sprechen.

Wir können da nicht groß Einfluss nehmen, aber vielleicht können wir den einen oder anderen Rat erteilen oder die eine oder andere Botschaft vermitteln. Und das ist für mich der Rahmen, in dem man tätig werden kann.

Bärbel Höhn ist stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion von Bündnis 90 / Die Grünen und Mitglied der deutsch-koreanischen Parlamentariergruppe.