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"Hülse ohne Kern"

Michael Knigge4. Dezember 2002

In Paris tagt derzeit eine Organisation, deren Existenz auf der Kippe steht: Denn seit Ende des Kalten Kriegs sucht die Westeuropäische Union (WEU) verzweifelt nach einer neuen Aufgabe.

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EU statt WEU heißt es auch beim Aufbau von SpezialeinheitenBild: AP

Die Rednerliste klingt imposant. Neben den französischen und griechischen Verteidigungsministern und dem portugiesischen Außenminister haben sich auch zahlreiche Parlamentarier aus verschiedenen EU-Staaten für die dreitägige Versammlung der WEU im Pariser Palais d´ Iéna angesagt. Die Politiker werden über die Europäische Verteidigungspolitik und die anstehende EU-Erweiterung diskutieren und über einen Budget-Vorschlag für die WEU-Versammlung für 2003 abstimmen. Im nächsten Jahr trifft man sich dann an gleicher Stelle wieder, um sich erneut über ähnliche Fragen auszutauschen.

Überflüssiges Diskussionsforum

Konkrete Ergebnisse oder Entscheidungen der Versammlung sind aus Paris weder in diesem noch im nächsten Jahr zu erwarten. Denn seit 1999 ist die WEU praktisch arbeitslos. Damals beschloss die EU auf dem Gipfel von Köln die Aufstellung von Krisenreaktionskräften selbst zu übernehmen und beraubte der ursprünglich als militärischer Arm der EU gedachten WEU ihre letzte verbliebene Aufgabe. "Mit der Entscheidung der EU aus dem Jahr 1999 ist die WEU weitgehend überflüssig", beschreibt der Kölner Politikwissenschaftler Udo Diedrichs im Gespräch mit DW-WORLD das Problem der nach dem Zweiten Weltkrieg gegründeten Organisation.

Ihre Existenz verdankt die WEU derzeit noch zwei Aufgaben, die eher symbolischen Charakter als praktische Bedeutung haben: Die Beistandsklausel sieht eine kollektive Verteidigung der WEU-Staaten im Falle eines Angriffs auf ein Land vor. Sie wird faktisch aber schon von der NATO abgedeckt, da alle zehn WEU-Vollmitglieder auch der Atlantischen Allianz angehören. Die zweite Aufgabe der WEU ist die Rüstungskoordination der Mitgliedsstaaten. Aber auch die Koordination und Beschaffung militärischer Güter kann nach Einschätzung von Experten durchaus von anderen Organisationen übernommen werden. "Die WEU ist eigentlich nur noch eine leere Hülse ohne Kern," betont Diedrichs.

Einzigartige Aufgabe

Dem widerspricht Michael Hilger, Pressesprecher der WEU-Versammlung. "Die EU hat die Beistandsklausel der WEU noch nicht übernommen und deswegen ist die WEU keinesfalls überflüssig", sagt Hilger im Gespräch mit DW-WORLD. Zudem sei die WEU das einzige Forum, bei dem nationale Abgeordnete der EU-Staaten den EU-Regierungen auf die Finger schauten. Diese wichtige Aufgabe werde von keiner anderen Organisation geleistet, ergänzt Hilger.

Dagegen ist die WEU für Hennig Riecke von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik eine Organisation mit Verfallsdatum. Seiner Meinung nach sollte die WEU allerdings noch so lange bestehen bleiben, bis auch die Beistandsklausel offiziell von der EU übernommen worden ist. "Aber um das zu gewährleisten, braucht man keine parlamentarische Versammlung und den ganzen dazugehörigen Apparat", sagt der Sicherheitsexperte im Interview mit DW-WORLD.

Auch der derzeit in Paris stattfindenden Meinungsaustausch über europäische Verteidungspolitik ist für Politikwissenschaftler kein ausreichender Grund zur Erhaltung der WEU. Schließlich gebe es keinen Mangel an europäischen Diskussionsforen zu diesem Thema, betonen die Experten mit Verweis auf die parlamentarischen Versammlungen der OSZE und NATO sowie das Europäische Parlament.

Organisation ohne Perspektive

"Die Versammlung der WEU ist ein Forum auf dem Gespräche geführt werden, aber kein Signal, dass die WEU neue Funktionen übernehmen soll", sagt Politikwissenschaftler Diedrichs und fügt hinzu: "Stattdessen ist die spannendste Frage, wie man künftig die Krisenreaktionskräfte der EU und NATO vernetzen und koordinieren kann. Und dabei ist die WEU nicht hilfreich." Wenn die Prognose des Kölner Politikwissenschaftlers zuftrifft, könnten die für Juni und Dezember 2003 angesetzten Versammlungen der WEU bereits die letzten sein. "Die WEU hat keine Perspektive mehr und wird in naher Zukunft zu Grabe getragen werden."