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Fremde Freunde?

20. Februar 2012

Was verbindet Deutsche und Israelis? Was trennt beide Gesellschaften? Diese Fragen diskutierten Experten aus Deutschland und Israel bei einer Konferenz der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin.

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Die deutsche (r) und die israelische (l) Nationalflagge wehen vor dem Brandenburger Tor in Berlin im Wind. Anlass: der Besuch des israelischen Staatspräsidenten Schimon Peres im Jahr 2010. Foto: Robert Schlesinger dpa/lbn
Bild: picture alliance / dpa

Nitzan Horowitz erinnert sich gerne an den Sommer 2006. Damals berichtete der Journalist für das israelische Fernsehen von der Fußballweltmeisterschaft in Deutschland. Voller Begeisterung für das fröhlich-bunte Sommermärchen versuchte er Abend für Abend, seinen Landsleuten das neue, das selbstbewusste und heitere Deutschland nahezubringen. Die Israelis sollten sich nicht fürchten vor den Fernsehbildern, die zeigten, wie deutsche Fahnen geschwenkt würden, sagte er fast beschwörend. Dies sei kein Ausweis des deutschen Nationalismus, sondern stehe nur für die Unbeschwertheit der Fußballweltmeisterschaft und für die Gastfreundschaft der Deutschen.

Deutsch-israelische Freundschaft

Heute sitzt Nitzan Horowitz als Abgeordneter für die kleine Meretz-Partei im israelischen Parlament. Die deutsch-israelischen Beziehungen sind ihm inzwischen ein zentrales politisches Anliegen.

Der israelische Knesset-Abgeordnete Nitzan Horowitz von der Meretz-Partei. Quelle: Wikipedia
Nitzan Horowitz

"Ich denke, dass Deutschland heute ein Anker der Demokratie ist", sagt er im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Nicht nur in Europa, in der ganzen Welt. Deutschland ist heute – und das sage ich als Knesset-Abgeordneter und als Journalist, ein starker demokratischer und stabiler Staat und ein gutes Beispiel für andere."

In beiden Ländern gäbe es eine neue Generation, die in die Zukunft schaue und nicht in die Vergangenheit. Diese jüngere Generation pflege einen regen Austausch auf allen Ebenen, sowohl auf politischem, als auch auf wirtschaftlichem, wissenschaftlichem und kulturellem Gebiet. Darüber hinaus gäbe es zahlreiche private Freundschaften zwischen Deutschen und Israelis, die zu einem vertieften Verständnis zwischen beiden Nationen führten.

Diesem positiven Blick auf das bilaterale Verhältnis widerspricht der deutsch-israelische Historiker Michael Wolffsohn vehement. "Zwischen Deutschland und Israel gibt es keine Freundschaft", stellt er nüchtern fest. Seit 1981 wachse die Distanz zwischen beiden Ländern. Das lasse sich klar aus Umfragen ablesen. Nach dem Sechstagekrieg von 1967 habe Israel in Deutschland einen außergewöhnlich guten Ruf genossen, der nach dem Yom-Kippur-Krieg von 1973 jedoch gelitten habe. Zu einem tiefen Bruch sei es dann im Jahr 1981 gekommen, als sich an geplanten deutschen Waffenlieferungen an Saudi-Arabien eine heftige Kontroverse zwischen den beiden damaligen Regierungschefs Menachem Begin und Helmut Schmidt entzündet hatte. Heute zähle Israel in der deutschen Öffentlichkeit zu einem der unbeliebtesten Staaten der Welt.

Der deutsche Historiker Michael Wolffsohn, Professor für Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr in München und Sachbuchautor mit Spezialgebiet Israel und deutsch-jüdische Beziehungen.
Michael WolffsohnBild: dpa

Fremde Freunde

Ihre gegensätzlichen Ansichten präsentierten Wolffsohn und Horovitz bei einer Veranstaltung der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin. Unter der Überschrift "Fremde Freude" diskutierten die Teilnehmer aus Deutschland und Israel einen Tag lang, was beide Länder eint und was sie trennt. Für den ehemaligen israelischen Botschafter in Deutschland, Shimon Stein, steht fest: "Was uns verbindet, ist die Shoah." Die Vernichtung der europäischen Juden durch Nazi-Deutschland werde die Beziehungen zwischen beiden Ländern noch lange überschatten, sagt er. Aus der historischen Verpflichtung heraus bekräftigten deutsche Politiker immer wieder ihr Bekenntnis zum Existenzrecht und zur Sicherheit Israels. Doch was bedeute dies konkret? Werde Deutschland zum Beispiel an der Seite Israels stehen, wenn die israelische Armee den Iran angreife, um die Entwicklung des iranischen Atomprogramms zu stoppen? Auf diese Frage habe er als Botschafter nie eine klare Antwort bekommen.

Shimon Stein, Israels Botschafter in Deutschland, aufgenommen am 27.05.2005 in Bremen. Foto: DPA/Ingo Wagner
Shimon SteinBild: dpa

Gemeinsame Werte

Der Tel Aviver Historiker Gadi Algazi möchte Deutschland im Fall eines israelischen Angriffs auf den Iran jedenfalls nicht an der Seite Israels sehen. Ein Militärschlag gegen das Atomprogramm des Iran wäre verheerend, erklärt er. Deutschland sollte eine solche Politik auf keinen Fall unterstützen. Seiner Meinung nach sind die besten Freunde Israels jene jungen Aktivisten, die an der Seite von Palästinensern und Israelis im Westjordanland gegen die Besatzung demonstrieren. "Man könnte das, was wir von Israel aus verlangen, so zusammenfassen: ein Ende der Kolonisierungspolitik von Israel. Solange Israels Siedlungspolitik weiter besteht, werden wir keinen Frieden im Nahen Osten haben. Das ist das Herz unserer Tragödie. Deshalb braucht es ökonomischen, politischen Druck auf Israel, bis das Land sich verpflichtet, mit der Kolonisierungspolitik ganz aufzuhören."

Bei der Veranstaltung "Fremde Freunde" der heinrich-Böll-Stiftung über das deutsch-israelische Verhältnis in Berlin am 17.2.2012 diskutieren deutsche und israelische Experten. Auf dem Bild sind zu sehen von links nach rechts: Omid Nouripour (Die Grünen), Shimon Stein, ehemaliger isr. Botschafter in Deutschland, Marc Berthold, Büroleiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Tel Aviv, Gad Algazi, Historiker aus Tel Aviv und Ralf Fücks, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung. Foto: DW/Marx
Bei einer Konferenz in Berlin diskutieren Israelis und Deutsche über ihr VerhältnisBild: DW

Eine ähnliche Meinung vertritt die Politikwissenschaftlerin und ehemalige Knesset-Abgeordnete Naomi Chazan. "Was uns verbindet, ist nicht die Vergangenheit, sondern die Zukunft", ist sie überzeugt. Die Deutschen seien daran gewöhnt, ihre Beziehung zu Israel von der Geschichte bestimmen zu lassen. Sie halte jedoch die gemeinsamen Werte für wichtiger als die geschichtliche Last. Die Freunde Israels sollten die israelische Gesellschaft in ihrem Ringen um Demokratie, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und soziale Gerechtigkeit unterstützen. Ohne Demokratie habe Israel keine Lebensgrundlage und keine Zukunft, so Chazan. Als Präsidentin der Nichtregierungsorganisation "New Israel Fund" setzt sie sich für eine pluralistische und egalitäre Gesellschaft in Israel ein und wurde deswegen zur Zielscheibe wütender Angriffe der politischen Rechten in ihrem Land.

Kritik ist erlaubt

Auch der aus der Schweiz stammende Psychoanalytiker und Autor Carlo Strenger ist in Israel wegen seiner Kritik an der Politik der Regierung unter Beschuss geraten. Dies halte ihn jedoch nicht davon ab, seine Meinung weiterhin zu publizieren, unterstreicht er im Interview mit der DW. Das Gleiche erwarte er auch von deutschen Israelfreunden. Kritik an der israelischen Politik sei erlaubt und vertrage sich durchaus mit Freundschaft zu Israel. Er verstehe, dass es deutschen Politikern schwer falle, Israel zu kritisieren. Gerade Bundeskanzlerin Angela Merkel leiste jedoch gute Arbeit. Sie verstecke die deutsche Vergangenheit nicht, schrecke jedoch auch vor berechtigter Kritik nicht zurück.

Autorin: Bettina Marx
Redaktion: Peter Stützle