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Ungleiche Löhne?

Insa Wrede28. März 2012

Eine Studie im Auftrag der Bertelsmann Stiftung heizt die Diskussion um die Entlohnung von Leiharbeitern an. Demnach verdienen sie fast 50 Prozent weniger als normale Beschäftigte. Nicht jeder findet das ungerecht.

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Symbolbild zum Thema Löhne in Deutschland
Bild: picture-alliance/Sven Simmon

Die Situation der Leiharbeiter ist nicht einfach: Sie haben einen Vertrag mit speziellen Leiharbeitsfirmen, die sie für eine befristete Zeit an andere Unternehmen ausleihen. Bricht die Wirtschaftslage ein, verlieren Leiharbeiter als erste ihren Job. Zudem verdienen sie weniger als die Stammbelegschaft, also diejenigen, die direkt bei einem Unternehmen angestellt sind. Das zeigt eine Studie des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) im Auftrag der Bertelsmann Stiftung. Demnach verdient ein Leiharbeiter in Westdeutschland im Schnitt monatlich brutto 47 Prozent weniger und im Osten 36 Prozent weniger als ein Stammarbeiter mit gleichem Bildungsniveau.

Zeitarbeit ist politisch gewollt

Mit dieser Situation müssen sich immer mehr Menschen arrangieren, denn die Leih- oder Zeitarbeit ist seit Jahren ein wachsender Sektor. In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zeitarbeit mehr als verdoppelt. In 2011 waren rund 910.000 Menschen in der Zeitarbeit angestellt, das entspricht etwa drei Prozent aller Beschäftigten. Angeschoben wurde die Branche vor allem durch die Liberalisierung im Zuge der Hartz-Reformen vor neun Jahren. Auf diese Weise sollte Arbeitslosen und Geringqualifizierten der Weg in die Arbeitswelt erleichtert werden. Seitdem können Leiharbeiter unbegrenzt lange und immer wieder befristet entliehen werden.

Zwar regelt das Gesetz, dass Zeitarbeiter genauso behandelt werden müssen wie die Stammbelegschaft der Unternehmen, in denen sie gerade arbeiten. Allerdings können die Zeitarbeitsunternehmen als rechtlich vollwertige Arbeitgeber auftreten und eigene Tarifverträge abschließen. Die haben Vorrang vor dem Gesetz. Die Folge ist, dass die entliehenen Arbeitnehmer in der Regel eine geringere Entlohnung als die Stammbelegschaft erhalten. Immerhin gilt seit 2011 ein allgemeinverbindlicher Mindestlohn in der Zeitarbeitsbranche. In Westdeutschland liegt er bei 7,89 Euro, in Ostdeutschland bei 7,01 Euro.

Sind Lohnunterschiede gerecht oder nicht?

Die Schieflage bei der Bezahlung von Leiharbeitern ist aus Sicht der Bertelsmann Stiftung auf Dauer nicht hinnehmbar. Sie schlägt daher vor, Zeitarbeiter nach drei Monaten wie Stammbeschäftigte zu bezahlen. Das käme etwas mehr als der Hälfte der Leiharbeiter zu Gute und würde Kosten von rund 410 Millionen Euro verursachen, so die Stiftung. Der seit 2011 in der Zeitarbeit geltende Mindestlohn sei ein "erster Schritt in die richtige Richtung, um grobe Schieflagen in der Entlohnung zu beheben", erklärte Aart De Geus, Mitglied im Vorstand der Bertelsmann Stiftung. Der zweite Schritt wäre nun die Einführung von gleicher Bezahlung nach einer Einarbeitungsphase.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) verhandelt darüber im Augenblick mit den Zeitarbeitgebern, bislang noch ohne Ergebnis. "Wir gehen davon aus, dass es demnächst gleiche Löhne für Zeitarbeiter geben wird", sagt Dietmar Flügel, Partner bei der Beratungsgesellschaft RölfsPartner, gegenüber DW. Davon gingen auch die Finanzinvestoren aus, die in Zeitarbeitsunternehmen investieren. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen hat zudem eine gesetzliche Regelung angekündigt, falls sich die Tarifparteien in diesem Frühjahr nicht einigen. "Es ist inakzeptabel, dass Mitarbeiter längerfristig ein und dieselbe Arbeit machen und es dafür unterschiedliche Löhne gibt", sagte die Ministerin gegenüber der Tageszeitung "Die Welt".

Dagegen hält Holger Schäfer vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft die Lohnunterschiede teilweise für gerechtfertigt. "Zeitarbeiter sind häufig noch nicht lange im Beruf, sondern sind Berufs- oder Wiedereinsteiger. Daher sind sie nur vorübergehend im Betrieb eingesetzt", sagt Schäfer im DW-Gespräch. "Dementsprechend nehmen sie weniger Verantwortung war und sind weniger beteiligt an betrieblichen Prozessen. Insofern ist die Stammbelegschaft produktiver." Auch die Autoren der RWI-Studie weisen darauf hin, dass sie Unterschiede in der Produktivität der Arbeitnehmer, die sich beispielsweise aus der Berufserfahrung oder aus der wöchentlichen Arbeitszeit ergeben, nicht berücksichtigt haben.

Das Heer der Leiharbeiter wird größer

"Die Zeitarbeitsbranche wird in diesem Jahr gegenüber dem Vorjahr um etwa zehn Prozent wachsen", sagt Wirtschaftsberater Dietmar Flügel. Neben der wirtschaftlichen Entwicklung liege das an immer kürzer und heftiger werdenden Konjunkturzyklen, die Unternehmen nur mit einem flexiblen Personalbestand abfedern könnten, um international wettbewerbsfähig bleiben zu können. Im Konjunkturaufschwung würden in den Unternehmen zuerst Überstunden gemacht, dann gegebenenfalls Zeitarbeiter angestellt. Wenn es weniger Aufträge gibt, können Zeitarbeiter schnell wieder freigesetzt werden. Dauert der Aufschwung dagegen länger, würden Unternehmen die Zeitarbeiter auch gerne übernehmen und fest anstellen. 2011 sei das bei etwa 300.000 Leiharbeitern der Fall gewesen, so Flügel. "Dadurch entstand den Zeitarbeitsfirmen in den Jahren bis Anfang 2008 ein zunehmendes Problem. Denn damals konnten sie nicht mehr genügend Mitarbeiter finden."

Auch die Studie des RWI kam zu dem Ergebnis, dass Zeitarbeiter nicht die Stammbelegschaften verdrängen. Nur selten sei zu beobachten, dass Unternehmen Zeitarbeiter einstellen und gleichzeitig ihre Stammbelegschaft abbauen. Selbst während der Wirtschaftskrise in den Jahren 2008 und 2009 sei dies nur bei drei Prozent der Kunden von Zeitarbeitsfirmen der Fall gewesen. Dagegen verringerten weit mehr Firmen die Zahl der Zeitarbeiter und erhöhte die Zahl der Stammkräfte. Denkbar sei daher, dass Zeitarbeit sogar helfe, die Stammbelegschaft zu sichern oder zu erhöhen, heißt es in der Studie.

Anderer Meinung ist man jedoch bei der IG Metall. Laut einer Studie der Gewerkschaft wird die Stammbeschäftigung zunehmend durch Leiharbeit verdrängt. 85 Prozent der Neueinstellungen erfolgen demnach durch Leiharbeit oder befristete Einstellungen.

Zeitarbeit sollte besseres Image bekommen

Ingesamt habe die Zeitarbeit in Deutschland immer noch ein eher negatives Image, sagt Wirtschaftsberater Flügel, das aber nur eine einseitige Betrachtung widerspiegele. Er kenne genügend Beispiele, wo die entliehenen Arbeiter sehr zufrieden mit ihrer Situation seien. Es gäbe spezialisierte Zeitarbeitsunternehmen, bei denen hochqualifizierte Mitarbeiter angestellt seien, die problemlos auch eine Direktanstellung finden könnten, aber sich bewusst für die Zeitarbeit entschieden hätten. So könnten Arbeitnehmer in verschiedenen Unternehmen und verschiedenen Berufsbereichen Erfahrungen sammeln. "In Holland, wo die Zeitarbeit viel älter ist als in Deutschland, genießt sie ein hohes Renommee und wird bewusst von Akademikern genutzt, beispielsweise um einen familienfreundlichen Arbeitsplatz zu finden", so Flügel.