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Handel statt Menschenrechte

Miodrag Soric9. Oktober 2003

Das wichtigste Thema der deutsch-russischen Gespräche war wie zuvor die Wirtschaft. Beide Länder haben Interesse, die Handelsbeziehungen auszubauen. Eine Debatte über die Lage in Tschetschenien würde da nur stören.

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Euphorie. Das ist es, was sich bei deutschen Wirtschafts-Kapitänen breit macht, wenn sie - wie bei den Regierungskonsultationen in Jekaterinburg - über die Perspektiven des Russland-Geschäfts räsonieren. Tatsächlich sind die Zahlen vielversprechend: Im ersten Halbjahr 2003 wuchs die russische Volkswirtschaft um satte sieben Prozent. Im Safe des Kremls stapeln sich Devisenreserven von 60 Milliarden Dollar. Russland kann also mühelos seine Auslandsschulden - auch die gegenüber Deutschland - bedienen. 2003 wird das Ausland voraussichtlich mehr als acht Milliarden Euro in die russische Volkswirtschaft stecken. Zum Vergleich: Das ist mehr Geld als in einen der EU-Beitrittskandidaten investiert wird. Kurzum, die russische Wirtschaft boomt, nicht zuletzt auch wegen der hohen Erlöse durch den Export von Erdöl und Erdgas.

Verschwundene Zweifel

Kein Wunder also, dass Deutschlands Unternehmer - das gilt für die Groß-Industrie und den Mittelstand gleichermaßen - von diesem "Aufschwung im Osten" profitieren wollen und gerne der Einladung des Bundeskanzlers folgten, ihn bei den Regierungskonsultationen im Ural zu begleiten. Vergessen scheint die nach wie vor existierende Rechtsunsicherheit und Korruption im größten Land der Erde, verdrängt die Investitionsruinen der Vergangenheit. Die leuchtende Zukunft möglicher Gewinne auf dem russischen Markt überstrahlt alles, lässt Zweifler und Bedenkenträger verstummen.

Da passt es zum Gesamtbild, dass sich die Regierungen der beiden größten Völker Europas auch auf politischem Gebiet gut verstehen. Schon bald werden die Nachschubwege zu den deutschen ISAF-Truppen in Afghanistan über russisches Territorium führen. Auch in der Irak-Politik sind sich Kanzler Gerhard Schröder und Präsident Wladimir Putin einig: Beide wünschen sich eine größere Rolle der Vereinten Nationen (UNO) im Mittleren Osten. Gleiches gilt übrigens auch für Frankreich.

Auch wenn es kein deutscher Politiker laut sagen würde: In der Irak-Politik hält die Achse Moskau-Berlin-Paris. Versuche des amerikanischen Präsidenten, mal Deutschland, mal Russland auf seine Seite zu ziehen hat es mehrfach gegeben - bislang ohne Erfolg. Bei den Regierungskonsultationen in Jekaterinburg haben sich Schröder und Putin gegenseitig versichert, an der bisherigen Linie in der Irak-Politik festzuhalten. Amerika wird es in den kommenden Wochen schwer haben, eine neue UN-Resolution im Sicherheitsrat durchzusetzen.

Austausch und Ausbildung

Einig sind sich Schröder und Putin auch bei anderen Themen: Der Jugendaustausch wird intensiviert, es soll in den kommenden Monaten zu Visa-Erleichterungen kommen, Deutschland beteiligt sich finanziell bei der Entsorgung von Atom-U-Booten, bei der Ausbildung von russischen Managern.

Das einzige Thema, dass den deutsch-russischen Gipfel hätte belasten können, lautete: Tschetschenien. Am Sonntag (5.10.2003) fanden in der Kaukasus-Republik Präsidentschaftswahlen statt. Sie waren weder frei, noch fair, noch demokratisch. Dafür trägt Putin die Verantwortung. Geschickt umging es Schröder, den russischen Präsidenten wegen der Scheinwahlen in Tschetschenien zu kritisieren. Der Kanzler versteckte sich hinter einer entsprechenden Erklärung der Europäischen Union, die mit wohlgesetzten, diplomatischen Floskeln das Bedauern über die Missstände bei den so genannten Wahlen zum Ausdruck brachte.

Tschetschenien nicht erwähnt

Schröder scheut den Konflikt mit Putin wegen einer Menschenrechtsfrage. Das Wort Tschetschenien wurde bei der Abschlusspressekonferenz nicht einmal erwähnt. Berater des Kanzlers verweisen in diesem Zusammenhang auf die deutschen Interessen, die der deutsche Regierungschef zu vertreten habe. Und schon sind auch sie wieder beim Thema Wirtschaftsboom in Russland.