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Hardlinerin im Kampf für die Menschenrechte

Alexandra Leipold30. September 2005

Carla del Ponte könnte für die Länder Ex-Jugoslawiens der Schlüssel zur EU sein. Die Chefanklägerin des UN-Kriegsverbrechertribunals macht es den Balkanländern jedoch nicht leicht.

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Streitbare Verhandlungspartnerin: Carla del PonteBild: AP

Wenn Carla del Ponte am Donnerstag und Freitag (29. / 30.9.) wieder einmal durch das ehemalige Jugoslawien reist, um ihre aktuelle Beurteilung über die Zusammenarbeit der kroatischen und serbischen Regierung mit dem UN-Kriegsverbrechertribunal vorzustellen, dürften beide Staaten keine Überraschungen erwarten. Wer die oberste Vertreterin des Internationalen Strafgerichtshofs kennt, der kann sich ausrechnen, dass del Pontes Darlegung der Sachlage nur einer Rüge gleichkommen kann.

Ante Gotovina, wird der Kriegsverbrechen in Kroatien beschuldigt
Der kroatische Ex-General Ante GotovinaBild: AP

Seit ihrem Amtsantritt in Den Haag im Jahr 1999 kämpft die engagierte Juristin unermüdlich für die Auslieferung etlicher Kriegsverbrecher aus der Balkan-Region. In Serbien heißt das rote Tuch, das Carla del Ponte schnellstmöglich beseitigt wissen will, Ratko Mladic. In Kroatien gilt ihr Engagement der Ergreifung des flüchtigen Ex-Generals Ante Gotovina. Beide ehemaligen Armeemitglieder hatten während der Balkankriege in den 1990er-Jahren schwere Kriegsverbrechen begangen und sind weiter flüchtig. Nach Ansicht del Pontes unternehmen die jeweiligen Regierungen zu wenig, um die Gesuchten aufzuspüren.

Nicht immer Einigkeit

Diese Einschätzung der UN-Chefanklägerin hatte bereits mehrmals in der Vergangenheit zu Zusammenstößen mit den Balkanregierungen geführt, zumal die Schweizer Juristin halbe Kompromisse und Geduld bei ihrer Arbeit nicht gelten lässt. Die Prinzipien der 58-Jährigen verlaufen so geradlinig wie auch ihre eigene Karriere verlaufen ist.

Das Erfolgsrezept von del Ponte ist einfach: Fleiß, Ehrgeiz, gute Kontakte und eine Portion Glück, die dafür gesorgt hat, dass sie zur richtigen Zeit am richtigen Ort war. Und dann gibt es noch etwas mehr. Dieses etwas mehr drückt sich vor allem in einem etwas weniger aus. Frau del Ponte hat etwas weniger Angst vor Konflikten, sie besitzt etwas weniger Anpassungsfähigkeit und Nachsicht ist auch nicht unbedingt ihre Stärke.

So erklärt sich, warum die Absolventin eines Schweizer Mädchenpensionats nach einer erstklassigen juristischen Ausbildung in Großbritannien, Bern und Genf sehr bald von dem routinierten Arbeitsfeld einer Strafverteidigerin auf die Gegenseite wechselte. Statt "schuldige Strafverbrecher zu verteidigen", wollte die gebürtige Schweizerin nach ihrer Wahl zur Staatsanwältin durch die Freisinnig-Demokratische Partei im Jahr 1985 lieber der Gerechtigkeit auf die Sprünge helfen.

Erste Erfolge in der Verbrechensbekämpfung

Falcone ermordet
Ausgebrannte Autowracks nach dem Bombenanschlag auf Giovanni FalconeBild: AP

Das tat del Ponte in den Folgejahren auch ausgiebig, was besonders die organisierte Kriminalität zu spüren bekam. Die Zerschlagung eines Geldwäscher-Rings der sizilianischen Mafia bildete den ersten Meilenstein ihrer Karriere, hatte aber auch ihren Preis. Bei einem Treffen mit dem italienischen Richter Giovanni Falcone im Jahr 1992, mit dem sich del Ponte über den weiteren Kampf gegen die Mafia beraten wollte, entging die couragierte Juristin nur knapp einem Attentat.

Auch zu diesem Zeitpunkt war es wieder dieses etwas weniger, das del Ponte auf die nächste Sprosse der Karriereleiter beförderte. Mit etwas weniger Angst, ausgeprägter Kritikresistenz und noch mehr persönlichem Engagement nahm die unnachgiebige Schweizerin, die vier Sprachen fließend spricht, nach der Berufung durch die Schweizer Regierung ihre Arbeit als oberste Strafverfolgerin des Landes auf.

In diesem Amt musste del Ponte trotz vieler Erfolge auch erste größere Rückschläge hinnehmen. Als sie im Jahr 1994 im Zusammenhang mit einem Fall von Waffenhandel kurzerhand die Durchsuchung der Redaktionsräume einer Schweizer Zeitung anordnete, hagelte es Kritik gegen diesen "krassen und unverhältnismäßigen Eingriff in die Pressefreiheit". Auch bei der Konfiszierung des Schweizer Kontos von Raul Salinas de Gortari, dem Bruder des früheren mexikanischen Präsidenten, zog del Ponte gegenüber dem obersten Schweizer Gericht den Kürzeren.

Die Endstation Den Haag

Kofi Annan verlangt UN-Reform
Kofi Annan brachte del Ponte an den Haager StrafgerichtshofBild: AP

Zu diesem Zeitpunkt, im August 1999, hatte allerdings bereits jemand anders die eigenwillige und streitbare Juristin im Visier. UN-Generalsekretär Kofi Annan holte del Ponte an den Internationalen Strafgerichtshof nach Den Haag und eröffnete ihr als Chefanklägerin des UN-Kriegsverbrechertribunals einen neuen Wirkungskreis. Den fortdauernden Kampf für die Verurteilung von Kriegsverbrechern aus dem ehemaligen Jugoslawien und zeitweise aus Ruanda scheint die oberste Vertreterin der Institution seitdem - ganz ihrem Wesen entsprechend - mehr als Berufung denn als Beruf zu sehen: gut für das Ansehen des Strafgerichtshofes, schlecht für all diejenigen, die nach del Pontes Ansicht nicht mit ihr kooperieren.

Das bekam im Jahr 2001 vor allem Serbien zu spüren. Carla del Ponte übte solange Druck aus, bis der damalige Ministerpräsident Zoran Djindjic und Präsident Boris Tadic den, zum betreffenden Zeitpunkt unter Hausarrest stehenden Milosevic nach Den Haag auslieferten. Angesichts dieses Triumphes konnte die Chefanklägerin des UN-Kriegsverbrechertribunals wohl auch den Verlust des Vorsitzes im Anklage-Tribunal für Ruanda im August 2003 verkraften.

Diesen musste sie abgeben, als einige Monate zuvor der Eindruck aufkam, del Ponte wolle nicht nur Hutus, sondern auch Tutsis für den Völkermord in Ruanda zur Rechenschaft ziehen. Die amtierende ruandische Tutsi-Regierung protestierte. Nicht zuletzt auf Druck der USA musste del Ponte sich zurückziehen.

Antriebsmotor für die EU-Beziehungen?

In Europa ist der Einfluss der Chefanklägerin aus Den Haag jedoch unbeschnitten. Von ihrer aktuellen Einschätzung der Lage in den Balkanländern, die sie bei ihrem anstehenden Besuch in Serbien-Montenegro und Kroatien vorstellen wird, hängt daher auch maßgeblich die weitere Beziehung zwischen der EU und Ex-Jugoslawien ab.

Ratko Mladic, der bosnisch-serbische Militärgeneral mit Ton Karremans
Ein weiterer Reibungspunkt für del Ponte: Ratko Mladic (links im Bild)Bild: AP

Nachdem die Beitrittsverhandlungen mit Kroatien nicht zuletzt wegen des Stillstands im Fall Gotovina vom März 2005 auf den Herbst vertagt wurden, will die zuständige EU-Kommission nun am 5. Oktober über einen Beginn möglicher Gespräche entscheiden. Wichtige Impulse vom Besuch del Pontes in Ex-Jugoslawien könnten aber auch in Bezug auf Serbien ausgehen. Von einem EU-Beitritt ist man dort zwar noch weit entfernt, die serbische Regierung hofft aber zumindest auf eine Annäherung an Brüssel. Ohne die Ergreifung und Auslieferung des flüchtigen Ratko Mladic und das Wohlwollen der Hardlinerin del Ponte sieht es für Belgrads Pläne aber düster aus.