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Der Abgrund des Endlichen

22. April 2010

Drei Menschen machen sich auf die Suche nach der großen Erfüllung auf Erden. Diese zu finden aber ist schwierig. Und so bleibt ihnen nur das kleine Glück des Unerreichbaren.

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Buchcover Hartmut Lange: 'Der Abgrund des Endlichen' (Diogenes)

Hartmut Lange ist ein leiser Erzähler. Seine Geschichten sind von einer grundlegenden Traurigkeit und Melancholie geprägt, aber auch von einer feinsinnigen Situationskomik. In jeder seiner drei Novellen, die er in dem Band "Der Abgrund des Endlichen" versammelt hat, herrscht respektvolle Diskretion. Wenn es für die Protagonisten peinlich wird, zieht sich der Berliner Autor zurück.

Die Liebe zu einem Gipskopf

So etwa in der ersten Geschichte, die von einem homosexuellen Studienrat berichtet, der sich auf merkwürdige Weise in einen weiblichen Gipskopf am Giebel einer alten Kutscherwohnung in der Nachbarschaft verliebt. Nach erfolglosen Versuchen, an den Kopf im Hinterhof zu gelangen, begibt sich Johannes Feldmann eines Abends frustriert in die nahegelegene Bar und schleppt den Barkeeper in einen dunklen Pavillon im Park ab. Der Erzähler nimmt diskret auf der Parkbank Platz und hört nur von außen die Geräusche wilder, sexueller Begegnung, bis schließlich die Tür auffliegt und zunächst der Barkeeper, dann Johannes Feldmann mit blutver­schmiertem Gesicht wieder die Bühne der Erzählung betreten. Diese in allen drei Novellen angewandte Technik der Nähe und der Distanz geben dem Erzählwerk etwas Ruhiges, Unaufgeregtes und gleichzeitig immer wieder etwas Komisches, Leichtes.

Zwischen Gestern und Heute

Bild der Hildegard von Bingen im Kloster St. Hildegard (Foto: dpa)
Hildegard von BingenBild: dpa

Nicht weniger tragisch ergeht es Alexander Friedrich, der sich allerdings nicht nach einem Frauenkopf aus Gips sehnt. Friedrich ist mit einer Ärztin liiert, die für seine Forschungen zur musikalischen Dichtung der Hildegard von Bingen wenig Verständnis aufbringt. Während sie versucht sich auf die Gegenwart zu konzentrieren, "verschwendet" ihr Freund - so sieht sie es - seine Zeit mit der Erforschung des Vergangenen. Eines Tages erleidet Friedrich einen Schwächeanfall, seine Freundin diagnostiziert eine wahrscheinlich tödliche Krankheit. Doch anstatt ums Überleben zu kämpfen, zieht Friedrich sich fortan aus der Welt zurück und beschäftigt sich noch intensiver mit der Hildegard von Bingen und ihrer Lieddichtung. Das Hin und Her zwischen Vergangenem und Gegenwärtigem, zwischen Tod und Leben, legt Lange geschickt an. Allerdings sind die Anspielungen in der zweiten Novelle nicht besonders feinsinnig, etwa wenn die aus der griechischen Mythologie bekannte Fähre des Charon, die die Toten in ihr Reich, den Hades, befördert, etwas platt durch die Glienicker Brücke zwischen Potsdam und Berlin ersetzt wird.

Ein seltsamer Mörder

Stark sind die Novellen von Hartmut Lange aber immer da, wo es um die Thematik und ihre strenge Durchführung geht. Es gibt keine Ausschweifungen oder unnötigen Gefühlsausbrüche. Auch nicht, wenn der Ich-Erzähler in der letzten Novelle Post von dem Mörder seines Bruders bekommt. Eher unwillig verschiebt er seinen Urlaub, um den Mörder zu treffen. Und nun findet ein geradezu witziger Rollentausch statt. Nicht etwa der, der seinen Bruder verlor, wird zum Ankläger, sondern der Mörder selbst fordert seinen eigenen Tod. Doch so einfach ist das nicht: Der Ich-Erzähler weigert sich, dem Mörder den Strick um den Hals legen. Entnervt setzt er den ungebetenen Besucher ins Auto, um ihn zum Flughafen zu bringen, wo der Unglückliche dann aber doch noch erlöst wird. Auch hier lässt Hartmut Lange seine Figuren genüsslich über dem Abgrund des Endlichen am seidenen Faden hängen, ehe er ihnen mit einem Augenzwinkern Erlösung widerfahren lässt.

Trotz aller Melancholie und offenbarer Unzufriedenheit der Hauptpersonen, stellt sich zum Schluss immer eine gewisse Erleichterung ein. Eine Last der Vergangenheit fällt ab, und wenn es das eigene Leben ist. Das große Glück werden Langes Protagonisten im Leben nicht finden. Aber ein kleiner Hauch von Glück weht durch die Geschichten und ein Versprechen liegt in dem, was sie alle drei nicht erreichen: das Unerreichbare.

Autor: Peter Klaiber

Redaktion: Petra Lambeck

Hartmut Lange: "Der Abgrund des Endichen. Drei Novellen". Diogenes Verlag. 135 Seiten. 19,90 Euro.