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9. Oktober 2010

"Mein größter Erfolg und meine größte Niederlage liegen nah beieinander", sagt Carla del Ponte, ehemalige Chefanklägerin des Jugoslawientribunals. "Und beide haben mit der gleichen Person zu tun, mit Slobodan Milosevic."

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Carla del Ponte, langjährige Chefanklägerin der Internationalen Strafgerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda (Foto: Britta Radike)
Bild: Britta Radike

Vor zehn Jahren wurde der serbisch-jugoslawische Staatschef Slobodan Milosevic durch einen Volksaufstand in Serbien gestürzt. Ein Jahr später wurde er verhaftet und dem UN-Tribunal in Den Haag überstellt. Er wurde beschuldigt, die Kriege im ehemaligen Jugoslawien angezettelt und dabei schwere Kriegsverbrechen begangen zu haben.

Der frühere jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic auf der Anklagebank des UN-Tribunals in den Haag 2002 (Foto: dpa)
Milosevic vor dem KriegsverbrechertribunalBild: dpa

"Seine Verhaftung war mein größter Erfolg", sagt die ehemalige Chefanklägerin Carla del Ponte im Gespräch mit der Deutschen Welle rückblickend. Milosevics Tod am 11. März 2006, noch bevor das Verfahren beendet und er verurteilt werden konnte, sei dagegen ihre größte Niederlage gewesen.

Fehlende Unterstützung

Doch es gab noch andere Niederlagen in ihrem Leben als Chefanklägerin, einen Posten, den die Schweizerin acht Jahre lang innehatte, von 1999 bis 2007. Denn immer wieder warb sie in diesen Jahren vergeblich um die Unterstützung der internationalen Staatengemeinschaft, von Regierungen und Behörden. Sogar der Vatikan ließ sie abblitzen, als sie um Hilfe bei der Festsetzung eines gesuchten kroatischen Kriegsverbrechers bat, der sich in einem katholischen Kloster versteckt hatte. So gelang es ihr nicht, den früheren jugoslawischen General Ratko Mladic vor Gericht zu stellen. Er gilt, zusammen mit Radovan Karadzic, als Hauptverantwortlicher für das Massaker an Tausenden muslimischen Männern in Srebrenica vor 15 Jahren.

Karadzic wurde im Juli 2008 verhaftet und nach Den Haag gebracht, wo im Oktober 2009 der Prozess gegen ihn begann. Mladic dagegen konnte nicht verhaftet werden, obwohl die Ermittler immer wieder vielversprechende Hinweise auf seinen Aufenthaltsort hatten. Aber das serbische Militär hielt seine schützende Hand über ihn und auch die Regierung in Belgrad arbeitete nur widerwillig mit dem Tribunal zusammen.

Carla del Ponte ließ sich von diesem Misserfolg nicht entmutigen. Sie sei zuversichtlich, dass auch Ratko Mladic und mit ihm der andere noch gesuchte mutmaßliche Kriegsverbrecher, Goran Hadzic, bald gefunden und vor das internationale Gericht gebracht werde, sagte die heute 63-jährige Juristin bei einem Besuch in Berlin.

Rückblick ohne Zorn

Carla del Ponte am Rednerpult bei der Verleihung des Theodor-Wanner-Preises in Berlin (Foto: Britta Radike)
Bei der Verleihung des Theodor-Wanner-Preises in BerlinBild: Britta Radike

Vier Jahre nach dem Ende ihrer Tätigkeit als Chefanklägerin schaut sie mit Optimismus in die Zukunft und mit Gelassenheit zurück auf ihre achtjährige Tätigkeit als Chefanklägerin. Im Jahr 1999 war die geborene Schweizerin von UN-Generalsekretär Kofi Annan zur Nachfolgerin von Louise Arbour bestellt worden, zuständig für die Anklage in den Tribunalen für Ruanda und das ehemalige Jugoslawien. Im Jahr 2003 musste sie den Posten der Chefanklägerin im Ruanda-Tribunal im Zuge einer Umstrukturierung der Anklagebehörde aufgeben.

Bis zu ihrer Ernennung als Chefanklägerin hatte sich del Ponte in der Schweiz und auch international bereits einen Namen als Mafiajägerin und Kämpferin gegen das organisierte Verbrechen gemacht. Als Schweizer Bundesanwältin hatte sie eng mit dem legendären italienischen Richter Giovanni Falcone zusammengearbeitet, der im Jahr 1992 zusammen mit seiner Frau von der Mafia ermordet worden war. Von ihm habe sie viel gelernt, schrieb sie in ihrer 2008 erschienenen Autobiographie. Er habe ihr gezeigt, wie man mit der "muro di gomma" umgehen müsse, der Gummimauer, die einem Ermittler entgegen schlage, der sich mit Wirtschaftskriminalität befasse. Besonders stolz sei sie gewesen, als Falcone sie "die Hartnäckigkeit in Person" genannt habe.

Auszeichnung in Berlin

Carla del Ponte und die ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts Jutta Limbach in Berlin ( Foto: Britta Radike)
Carla del Ponte und Jutta Limbach, ehemalige Präsidentin des BundesverfassungsgerichtsBild: Britta Radike

Anfang Oktober erhielt Carla del Ponte, die derzeit Botschafterin ihres Landes in Argentinien ist, in Berlin den Theodor-Wanner-Preis des Instituts für Auslandsbeziehungen. Nach Daniel Barenboim, der den Preis im Jahr 2009 erhalten hat, ist sie erst die zweite Preisträgerin. Ausgezeichnet wurde sie für "ihr herausragendes Engagement im Dienste des Dialogs der Kulturen", wie es offiziell hieß. In ihrer Laudatio sagte die ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts Jutta Limbach, Frau del Ponte sei ein Ausbund von Willenskraft und Kampfgeist, von Beharrlichkeit und Furchtlosigkeit, von Gerechtigkeitssinn, Selbstdisziplin und Durchsetzungsvermögen, "ein Ensemble von Eigenschaften, das einem Alphamann zur Ehre gereichen würde." Für ihre Gegner dagegen sei sie ein Quälgeist und eine unkontrollierbare Rakete, so Limbach. Diese zweifelhaften Komplimente zeigten, dass die ehemalige Anklägerin Mafiabosse und Verbrecher das Fürchten gelehrt habe.

Carla del Ponte selbst schaut selbstbewusst und nachdenklich zurück auf ihre juristische Laufbahn. Sie habe versucht, bei den Ermittlungen gegen mutmaßliche Kriegsverbrecher die Emotionen beiseite zu lassen. Gefühle habe sie sich nur im Kontakt mit den Opfern erlaubt. Trotzdem habe sie manchmal angesichts der Schwierigkeiten und der Anfeindungen, denen sie sich gegenüber sah, darüber nachgedacht, das Handtuch zu werfen und ihren Posten zu räumen. Diese Gedanken habe sie aber immer mit einer guten Nachtruhe erfolgreich bekämpfen können.

Autorin: Bettina Marx
Redaktion: Kay-Alexander Scholz