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Haslinger: "Dieser Brief nutzt die Gunst der Stunde"

Marcus Lütticke 6. Februar 2014

In einem "offenen Brief" kritisieren zahlreiche Autoren die Zensur in Russland. Josef Haslinger ist der Präsident des deutschen PEN-Zentrums. Er sagt, warum einige bekannte Namen fehlen und was der Brief erreichen soll.

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Josef Haslinger, Präsident PEN Deutschland (Foto: picture-alliance/dpa)
Bild: picture alliance/dpa

DW: Herr Haslinger, der Internationale Schriftstellerverband PEN hat in einem offenen Brief die Einschränkung der Meinungsfreiheit in Russland angeprangert. Wie kam es zu diesem Brief?

Josef Haslinger: Russland steht schon seit einiger Zeit unter der Beobachtung des Internationalen PEN. Es gab immer wieder Vorkommnisse. Es gab Angriffe auf Journalisten, es gab mysteriöse Morde, die offensichtlich im Zusammenhang standen mit Veröffentlichungen. So kam Russland in den letzten Jahren immer wieder in den Fokus der internationalen menschenrechtlichen Beobachtung. Nachdem sich der Internationale PEN im besonderen Maße für die Freiheit des Wortes einsetzt - das war ja seine Gründungsintention und ist nach wie vor seine Hauptaufgabe - kam es dazu, dass man sich diese Gesetze der letzten Jahre näher ansah. Dazu gehörten auch die Paragraphen, nach denen "Pussy Riot" verurteilt wurde. Vielleicht ist auch die große Amnestie von Putin jetzt ein Anlass, da noch einmal hin zu schauen. Es ist ja nicht so, als hätte man es mit einer großen liberalen Geste zu tun. In Wahrheit stehen im Hintergrund Gesetze, die die freie Meinungsäußerung knebeln.

Mit welchen konkreten Erwartungen wurde der Brief veröffentlicht?

Es gibt mehrere Resolutionen des Internationalen PEN und des deutschen PEN zu Russland, die nicht so viel Beachtung fanden wie dieser Brief. Dieser Brief nutzt die Gunst der Stunde, dass Russland durch die Olympischen Spiele in Sotschi in den Mittelpunkt der Berichterstattung geraten ist. Nachdem die Amnestien auch einen zeitlichen Zusammenhang mit Sotschi haben und die Weltöffentlichkeit beruhigen sollten, ist das auch ein guter Grund dagegen zu halten und zu sagen: Passt auf, diese Gesetze gibt es immer noch. Und die Menschen, die jetzt amnestiert werden, können jederzeit für die gleichen Vergehen wieder bestraft werden.

Mit dem Brief wurden auch die Namen der Unterzeichner veröffentlicht. Einige Namen von prominenten PEN-Mitgliedern fehlen aber. Wollten diese Mitglieder nicht unterschreiben oder durften sie nicht, weil man die Anzahl von Beginn an begrenzt hat?

Durften ist gut (lacht). Es war keine Frage von dürfen. Es war so, dass der Internationale PEN diese Aktion von vornherein auf eine Auswahl von Namen angelegt hat. Einige Nobelpreisträger wurden direkt angerufen. Als ich mich an Elfriede Jelinek wandte stellte sich heraus, dass sie schon direkt vom PEN International gefragt worden war. Ich wurde als deutscher PEN-Präsident gebeten, einige Namen zu dieser internationalen Liste beizutragen. Das ganze erfolgte in relativ kurzer Zeit. Ich habe zum Beispiel heute eine Antwort in einer Mail vorgefunden, die dann nicht mehr berücksichtigt werden konnte. Nicht jeder sitzt ständig am Computer und kann sofort reagieren. Es ist eine Auswahl von Namen, die international bekannt und geachtet sind.

Gab es schon Reaktionen auf den Brief?

Mir liegen bislang keine Reaktionen aus Russland vor. Aber je mehr Beachtung dieser Brief in der Weltöffentlichkeit findet, desto größer wird der Druck sein, darauf in irgendeiner Form zu reagieren. Denn es ist ja doch ein massiver Vorwurf. Es ist der Vorwurf, dass es in Russland durch bestimmte Gesetze eine Einschränkung der freien Meinungsäußerung gibt.

Glauben Sie, dass die Austragung der Olympischen Winterspiele in Sotschi einen Einfluss auf die Meinungsfreiheit in Russland haben wird?

Ich denke, man muss solche Gelegenheiten nutzen, um auf Menschenrechtsprobleme aufmerksam zu machen. Für uns ist das eine Selbstverständlichkeit. Es ist ein günstiger Anlass, mit solchen Fragen stärkeres Gehör zu finden. Selbstverständlich gibt es auch die Dankbarkeit von russischer Seite - von russischen Autoren, vom russischen PEN-Zentrum usw. - dass hier eine Unterstützung der Weltöffentlichkeit vorliegt.

Haben Sie eigene Erfahrungen mit der momentanen Situation in Russland sammeln können?

Nein. Ich habe beim letzten internationalen PEN-Kongress in Reykjavik Kontakte mit russischen Kollegen gehabt und bin über die verschiedenen Untersuchungen, die es zur Situation in Russland gibt, informiert. Diese werden ja auch auf der Website des Internationalen PEN kommuniziert. Aber im Wesentlichen geht es ja um Sachen, die ohnehin in der Öffentlichkeit bekannt sind. Was zum Beispiel Homosexuelle betrifft: Da gibt es eine riesige Einschüchterung in Russland. Das geht so weit, dass es schon als Propaganda gilt, wenn sie sich als solche kenntlich machen. Sie sind einer massiven Bedrohung ausgesetzt - zum Teil werden sie richtiggehend attackiert. Das Gleiche gilt für die sogenannte Blasphemie. Das ist ja eigentlich eine fast mittelalterliche Konstruktion, wo die Religion in Fragen der öffentlichen Meinungsäußerung die Oberhand behält und eine andere Position nicht zugelassen wird. Wenn man über religiöse Inhalte nicht andere Meinungen verbreiten darf und beispielsweise keinen atheistischen Standpunkt vertreten darf, dann führt das zu einem massiven Problem. Das ist in Russland leider der Fall.

Josef Haslinger ist seit Mai 2013 Präsident des Schriftstellerverbandes PEN-Zentrum Deutschland. Neben seiner Tätigkeit als Autor ist der Österreicher seit 1996 Professor für Literarische Ästhetik am Deutschen Literaturinstitut der Universität Leipzig.