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"Die Berlinale ist eine Feier des Kinos"

Jochen Kürten
18. Februar 2017

"Zehn Tage im Februar" von Heike-Melba Fendel ist ein Berlin-Roman, in dem das Kino die Hauptrolle innehat. Was das Buch mit der Berlinale zu tun hat, verrät Autorin und Berlinale-Fan Heike-Melba Fendel im DW-Interview.

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67. Berlinale 2017 - Werbeplakate
Bild: picture-alliance/dpa/J. Kalaene

Heike-Melba Fendel schreibt übers Kino, für Zeitungen und Zeitschriften. Jetzt hat die in Köln und Berlin lebende Autorin und Agenturchefin einen Roman geschrieben: "Zehn Tage im Februar". Eine Frau wird darin von ihrem Mann verlassen - für zehn Tage. Weil dann in der deutschen Hauptstadt die Berlinale tobt. Was macht die Frau? Zwischen Kino und Realität, zwischen Film und Leben sucht sie sich ihren Weg - und denkt über den Sinn des Lebens nach. Ein Gespräch mit der Autorin über das Festival und ihr neues Buch.

Deutsche Welle: Was ist denn das Besondere an der Berlinale?

Heike-Melba Fendel: Die Berlinale ist das größte Publikumsfestival der Welt und abseits dieser Superlative setzt sich das auch im Alltag der Stadt fort. Ab dem Moment, an dem der Vorverkauf beginnt, sieht man wirklich überall Menschen, so lange Schlangen, wie es sie wahrscheinlich nur zu DDR-Zeiten gegeben hat. Ob im Supermarkt oder in der U-Bahn: Man merkt, die Stadt ist im Filmfieber. Und das macht ja was mit einer Stadt. Und dann auch noch mit einem selbst - dass man nicht nur zu einem verschworenen Häufchen gehört, zu Menschen, die irgendwann mal einen ganzen Tag in einem Kino verschwinden. Deshalb sind diese zehn Tage Berlinale im Kinosaal, aber auch in den Straßen der Stadt, eine Feier des Kinos.

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Lange Schlangen in Berlin: "Wie zu DDR-Zeiten" Bild: picture-alliance/dpa/T.Bartilla

Wie würden Sie die Berlinale einordnen, gerade vor dem Hintergrund, dass das Festival ein so großes Angebot hat?

Weil ich Motzen immer wahnsinnig uninteressant finde, beschäftige ich mich lieber mit den Dingen, die mich interessieren. Ich schaue jedes Jahr nahezu den gesamten Wettbewerb. Und es gab Jahrgänge, bei denen ich nach einer Woche dachte: Oh, wow! Das kommt jetzt nahe an verschwendete Lebenszeit heran. Aber man hofft dann immer auf den einen Film, der diese zehn mittelmäßigen bis schlechten wieder wettmacht. Und meistens kommt der ja auch. Die Unwägbarkeit dessen, was da kommt, macht für mich auch einen Teil des Faszinosums Berlinale aus.

…und was sonst noch?

Das andere ist, dass man bei 400 Filmen, die dort laufen, natürlich immer eine ganze Menge findet, was einen beglückt und überrascht. Wenn ich zwei, drei schlechte Wettbewerbsfilme gesehen habe, dann gehe ich abends immer zur Entlastung in die Retrospektive. Da kann man sich darauf verlassen, dass man was Tolles sehen wird. Der Berlinale bin ich auch wegen der Retrospektive enorm dankbar, weil die einen auf so eine Weise beglückt. Das ist wie ein großes Geschenk.

Heike-Melba Fendel
Heike-Melba FendelBild: Jennifer Fey

Sie beschreiben in Ihrem Roman ja auch Reisen zu anderen Festivals: Edinburgh, Hof, auch Cannes, wo immer über das Wetter so geschwärmt wird, im Gegensatz zum winterlichen Berlin. Was unterscheidet die Berlinale von anderen Festivals?

Ja, aber selbst das ändert sich langsam. Letztes Jahr war ja nicht nur der Wettbewerb toll, sondern auch das Wetter gut. Die Berlinale war fast nicht mehr wiederzuerkennen. Und diese Menschenmassen! Am Potsdamer Platz bilden sich am ersten Berlinale-Wochenende Fußgängerstaus - der Platz ist ja so klein nicht -, die Nebenstraßen sind so voll, dass man als Fußgänger nicht mehr über die Bürgersteige kommt. Das kenne ich von keinem anderen Festival: Dass tatsächlich alle auf den Beinen sind und man nicht mehr richtig ins Kino kommt, weil zwischen Autogrammjägern, Akkreditierten und Filmkritikern und anderen ein solches Getümmel herrscht. Das ist auch manchmal lästig, wenn man es eilig hat, aber eigentlich doch ziemlich spektakulär.

Apropos eilig, auch Ihre Heldin im Roman hat es immer sehr eilig in Berlin. Das Buch ist ja auch ein Berlin-Roman.

Ja, weil die Heldin kreuz und quer durch Berlin rast. Sie ist jemand, die offensichtlich genug Geld hätte, um entweder ein eigenes Auto zu haben oder mindestens ständig Taxi zu fahren, die sich aber für ein vollkommen kaputtes Rad entscheidet und dann auf Kleidern auf dem Rad unterwegs ist, die wahrscheinlich dem Wert von drei Top-Rädern entsprechen. Die rast auf so einer Schrottkarre bei Blitzeis und mit High Heels durch die Gegend, weil sie in so einem inneren Aufruhr ist. Sie braucht diese Bewegung, dieses Physische, um ihre aufgeheizte Stimmung und Seele runterzukühlen. Und das geschieht kreuz und quer durch die Stadt, weil ja auch die Spielorte des Festivals über die Stadt verteilt sind. Das geht tatsächlich vom Osten Berlins, von der Karl-Marx-Allee bis runter nach Wilmersdorf zum "Haus der Festspiele". Alles, was dazwischen liegt, das radelt und rast sie ab.

Film Sue Lost in Manhattan / Anna Thomson
Eine Figur wie "Sue" (Anna Thomson in dem Film von 1997) von Amos Kollek habe ihr vorgeschwebt, sagt die AutorinBild: picture-alliance/United Archives

Was ist das für eine Frau, die zwischen Kino und Film und dem Leben hin- und herpendelt?

Sie kommt nicht damit klar, dass das Leben nicht wie das Kino ist, in dem die Intensität immer in festgelegte Zeiteinheiten gepackt ist. Da sie so eine Träumerin ist, die sich zwischen Leben und Kino nicht richtig entscheiden kann, kommt sie nicht damit klar, dass sie auf einmal in einer Wirklichkeit steckt, die auch etwas mit Ewigkeit zu tun hat: einem Eigenheim, dass gekauft und saniert wurde und einem Mann, der sich zu ihr bekennt und ein Leben lang mit ihr zusammen sein will. Das ist ja vielleicht sogar ein romantisches Ideal. Für sie wirkt das aber zuerst vollkommen beunruhigend, dann sogar fatal. Weil sie mit diesem Konzept von Dauer nicht zurecht kommt. Dass sie nicht damit klarkommt, hat was damit zu tun, weil sie ihr Leben immer der Fiktion übereignet hat, die sie natürlich im Film findet.

Wovor hat die Frau Angst?

Ich fand interessant, dass eine Frau, die scheinbar alles hat, was so im landläufigen Sinne erstrebenswert ist, nichts damit anfangen kann, weil sie sich lieber in irgendeinem Irrsinn verfängt, in einer Flüchtigkeit, die sie sogar unglücklich macht, als in einem Glück. Ihr macht das Glück nicht Angst, aber ihr macht Angst, dass etwas für immer so sein soll.

Buchcover Zehn Tage im Februar Roman von Heike-Melba Fendel
"Zehn Tage im Februar": Erschienen im Aufbau Verlag, Berlin 2017, 206 Seiten, ISBN 978-3-351-05037-5

Es gibt ja diesen Poesiealbumspruch bzw. einen Wunsch, den manche Menschen äußern: "Bleib so, wie Du bist!". Ich glaube, dieser Frau zu sagen, "Bleib so, wie Du bist", wäre für sie fast so etwas wie ein Todesurteil. Und sie hat nun mal einen Mann, der gerade nichts anderes will als diese Frau. Aber da sie kein Konzept davon hat, wer sie ist, hat sie auch kein Konzept davon, wie man sie so lieben kann, wie sie ist.

Wie würden Sie das Frauen- und Männerbild in Ihrem Roman beschreiben?

Mein Eindruck ist, dass viele Frauen eine einzige Leidenschaft haben, und das ist der Mann. Deswegen heißt der Mann im Buch auch "der Mann", weil er auch stellvertretend für so ein Traumbild Mann steht. Mich hat eine Frau interessiert, deren große Leidenschaft nicht der Mann ist und die Ehe und die Familie, sie ist ja auch kinderlos, sondern deren große Leidenschaft die Geschichten sind, die das Kino erzählt. Aber auch der einzelne Film, der im Kino gesehen wird. In einem Kino, wo man hingeht und wo man sich übrigens vom Kino auch bevormunden lässt, was ja das Gegenteil von Netflix und Co. ist.

Ihr Roman ist ein Festival-Roman, ein Berlin-Roman, ein Frauen-Roman - und zu guter Letzt auch ein Roman über die Regisseurin Jane Campion, die in dem Buch eine wichtige Rolle spielt.

Ich kenne Jane Campion. Man muss ja nicht immer so tun, als ob in dem Buch alles aus der Luft gegriffen ist, dass es total egal ist, was wahr ist und was nicht. Die entscheidende Frage ist ja: Funktioniert die Geschichte? Ich kenne das Œuvre von Jane Campion sehr gut.

Michael Nyman Komponist Pianist Fotograf
1993 gewann Jane Campions in Cannes die Goldene Palme für "Das Piano"Bild: picture alliance/kpa

Was mich aber an ihr interessiert, ist, dass sie immer ihren eigenen Weg gegangen ist und dass dieser Weg sie zu sehr großen Erfolgen geführt hat. Sie ist bisher immer noch die einzige Frau, die Cannes gewonnen hat. Und genauso hat es sie zu krassen Misserfolgen geführt. Sogar in serielle Misserfolge, drei, ja fast vier Filme hintereinander sind brutal gefloppt. Gleichwohl steht sie mit jedem Film, inhaltlich wie künstlerisch, neu auf. Aus meiner Sicht ist sie eine neugierigen Frauen zugewandte Filmemacherin, die ihren Interessen folgt und auch etwas herausfinden will mit ihren Filmen.

Das Zweite ist, dass sie als feministische Filmemacherin gilt. Das sieht sie selbst ein bisschen ambivalenter. Aber ich fand das für das Buch total interessant, dass sie, eine starke, produktive Filmemacherin mit der sehr flusigen, auch Starlethaften Drifterin so ein Gegenüber hat, die Campion zu einer Art Guru erklärt. Diese beiden Weiblichkeitskonzepte haben mich interessiert. Weil Jane Campion ja auch eine Frau und Regisseurin ist, die sich genau für solche driftenden Frauen interessiert.

 

Das Gespräch führte Jochen Kürten.