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Hektische Betriebsamkeit in Brüssel

Alexander Kudascheff12. November 2003

Die EU-Kommission in Brüssel erhält 2004 zahlreiche Neuzugänge. Das verursacht in der Stadt mit den vielen Privilegien hektische Betriebsamkeit unter den amtierenden Kommissaren, hat Alexander Kudascheff beobachtet.

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Kein Hauch von Novemberdepression ist in Brüssel zu spüren. Stattdessen eine geradezu hektische Aktivität. Kein Tag ohne Pressekonferenzen, ohne Mitteilungen, ohne Richtlinien, ohne Weißbücher der europäischen Kommission. Das Dezemberfieber hat Brüssel bereits im November erreicht.

Ob Anna Diamantopoulou, die sich für die Gleichberechtigung in ganz Europa schlägt, oder Günter Verheugen, der die Fortschritte aller Beitrittsländer ein letztes Mal akribisch durchmisst, ob Antonio Vitorino, der eine Agentur zum Schutz der Außengrenzen der EU gründen will, oder Margot Wallström, die alle Chemikalien auf ihre Gefährlichkeit analysieren und eventuell verbieten will (auf Kosten der Industrie versteht sich), ob Philip Busquin, der mit einem Weißbuch die europäische Bildungs- und Forschungslandschaft durchstreift, oder Mario Monti und Frits Bolkestein, die sich mit den Abschreibungen von Verlusten im italienischen Fußball befassen - alle sind gleichermaßen aktiv wie hektisch.

Schaulaufen

Alle Kommissare scheinen zu einem Schaulaufen der Fähigkeiten angetreten zu sein - wobei der Blick zuerst dem heimischen Publikum gilt. Und warum?

Nächstes Jahr ziehen 25 neue Kommissare nach Brüssel. Zum ersten Mal müssen die großen Länder (Deutschland, England, Frankreich, Spanien und Italien) sich nur noch mit einem Kommissar zufrieden geben statt mit zwei. Und viele Kommissare ahnen, dass sie - da sich die politischen Mehrheiten zu Hause geändert haben - wohl keine Chance haben, noch einmal in die Hauptstadt Europas mit all ihren Privilegien entsandt zu werden. Also heißt es, sich jetzt bereits um einen guten Abgang oder um einen guten Neuanfang zu bemühen.

Die wahren Ziele

Das beginnt beim Präsidenten selbst. Romano Prodi, der unglücklich agierende Professor aus Bologna, weiß dass ihn die Staats- und Regierungschefs nicht noch einmal wählen werden. Also baut er sich auf - als oppositioneller Gegenkandidat zu Silvio Berlusconi. Praktisch jede seiner Handlungen zielt inzwischen mehr auf Italien als auf Europa.

Die deutsche Haushaltskommissarin Schreyer wiederum weiß bestimmt: sie wird nicht mehr entsandt, das dämpft ihren Ehrgeiz wie ihre Lust am öffentlichen Auftritt. Günter Verheugen dagegen weiß: Er kommt noch einmal nach Brüssel, vorausgesetzt, die Regierung in Berlin hält. Das gibt ihm neue Autorität und Wirkungslust und hat nebenbei Fischer als ersten europäischen Außenminister verhindert.

Bei den Spaniern ist die Lage unklar: Regieren die Konservativen weiter, hat nur die Verkehrskommissarin de Palacio eine Chance, auf dem europäischen Parkett weiter zu tanzen. Pedro Solbes, der Mann harter Finanzen, wird ausgemustert - und seinen bröckelnden Einfluss spürt man bereits.

Zeichen setzen

Beide Engländer, Patten und Kinnock, sind Kommissare auf Abruf, beide Franzosen vielleicht auch, obwohl Lamy eigentlich unersetzbar scheint - doch er ist nicht konservativ. Und die Kommissare aus kleinen Ländern? Wie der Belgier Busquin, der Däne Nilsson, die Luxemburgerin Reding? Sie suchen nach Unterstützung zu Hause, aber ihre Posten wackeln alle. Auch der der beliebten und umtriebigen Umweltkommissarin Margot Wallström aus Schweden.

Also heißt es Zeichen setzen, aktiver werden, sich auf der politischen Bühne tummeln. Ein Feuerwerk veranstalten. Doch das vertreibt erst einmal nur die Novemberdepression. Aussicht auf Wiederkehr verspricht es nicht unbedingt. Da muss man den nicht nur politischen Frühling abwarten, der meistens in Brüssel allerdings auch nur regnerisch ist.