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Henke: "Rechtslage bei Sterbehilfe unverändert"

Christoph Strack, 19. Juli 2012

Wie bewerten deutsche Ärzte das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Sterbehilfe? Einer der führenden Repräsentanten der deutschen Ärzteschaft äußerte sich im Interview der Deutschen Welle.

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Der Vorsitzende des Marburger Bundes, Rudolf Henke (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Nach dem Straßburger Urteil zur aktiven Sterbehilfe müssen sich vermutlich bald wieder deutsche Richter mit dem Streit um deren Zulassung befassen. Denn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat den Fall an die deutsche Justiz zurückgegeben. In einem Interview der Deutschen Welle schildert Rudolf Henke die ablehnende Haltung der deutschen Ärzteschaft zur aktiven Sterbehilfe. Henke ist Vorsitzender der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, Präsident der Ärztekammer Nordrhein und seit 2009 CDU-Bundestagsabgeordneter.

Deutsche Welle: Herr Henke, was folgt nach Ihrer Einschätzung aus dem Straßburger Urteil?

Rudolf Henke: Das Urteil hat ein paar Einwände gegen den formalen Rechtsschutz für den Kläger zu Tage gefördert. Insoweit hat der Kläger Recht bekommen. In der Sache hat sich dadurch für die deutsche Einschätzung zum assistierten Suizid nichts geändert. In der konkreten Frage, ob wir organisierte Suizidbeihilfe in Deutschland haben wollen, daraus womöglich sogar ein gewerbliches Geschäft machen wollen, hat das Urteil keinen Fingerzeig gegeben.

Erwarten Sie trotzdem eine neue Debatte über aktive Sterbehilfe in Deutschland?

Nein, dazu wird dieses Urteil nicht führen.

Warum?

Die deutsche Rechtslage ist unverändert. Der Gesetzgeber diskutiert ja zur Zeit in Deutschland darüber, ob er gewerbliche Suizidbeihilfe unterbinden soll. Dafür wirbt auch die Ärzteschaft, es gibt einen entsprechenden Beschluss des Deutschen Ärztetages. Als Ärzte sind wir dafür, dass man organisierte Assistenz beim Suizid unterbindet. Denn es darf keine Praxis werden, dass es gewissermaßen der Sinn einer Tätigkeit ist, anderen Menschen dabei zu helfen, sich selbst das Leben zu nehmen.

Könnte die Berufung auf die Privatsphäre, die der Kläger angeführt hat, nicht doch mittelfristig die in Deutschland geltenden Regelungen in Frage stellen und zu einer Neuordnung führen?

Ich glaube das nicht. Und ich würde es in keiner Weise empfehlen. Und ich glaube auch nicht, dass Menschen in einer Gesellschaft, in der sie zusammenleben, so isoliert sind, dass ihr Leben und Sterben eine ausschließliche Privatsache wäre. Das würde ja bedeuten, dass wir gegenseitig aufeinander keinen Einfluss hätten. Der Wunsch nach Suizid in einer Gesellschaft ist etwas, was von Person zu Person springen kann, das ist gewissermaßen eine infektiöse Kondition.

Wie meinen Sie das?

Wir wissen ja davon, dass überall, wo Suizid propagiert wird, sich auch Menschen finden, die sich davon auch angereizt fühlen, sich selbst das Leben zu nehmen. Insofern glaube ich, dass es schon für uns alle wichtig ist, dafür zu sorgen, dass das kein etabliertes Muster wird. Dann würde es plötzlich heißen: Palliativmedizin, die liebevolle Betreuung eines Kranken auf seinem Weg ist uns zu teuer oder zu aufwendig. Deshalb treiben wir lieber Menschen in die Selbsttötung und assistieren noch dabei. Das sollte nicht die Linie sein, die die Gesellschaft verfolgt.

Sie sind auch CDU-Bundestagsabgeordneter. Sollte das Parlament aktiv werden?

Ich bin sehr für eine gesetzliche Klarstellung. Diese Klarstellung sollte sich in meinen Augen auf jede Form organisierter Unterstützung beim Suizid richten - nicht nur gewerbliche oder kommerzielle Formen, sondern jede organisierte Form der Unterstützung sollte untersagt werden. Falls man das nicht erreichen kann, weiß ich nicht genau, ob es nicht sogar besser wäre, die Rechtslage so zu belassen, wie sie jetzt ist.