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Herbststimmung

18. Januar 2012

Von Tunesien über Ägypten bis an den Golf rebellierten die Menschen gegen ihre Regime. Doch der Freiheitskampf könnte an konservativen Kräften ersticken, meint DW-Chefredakteurin Ute Schaeffer.

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Ute Schaeffer, Chefredakteurin der Deutsche Welle (Foto: DW)
Ute Schaeffer, Chefredakteurin der Deutsche WelleBild: DW

Ein altes Vorurteil scheint sich bitter zu bestätigen: Dass die arabischen Länder nur die Wahl haben zwischen autoritären Regimen oder Islamisten. In Ägypten ist der autoritäre Mubarak zwar weg. Doch geführt wird das Land von den Generälen des Militärrats. Sie kontrollieren die Sicherheit und damit auch die Menschen, die sich gegen ihren autoritären Kurs wenden. Um jeden Preis: Sicherheitskräfte schießen auf Demonstranten, Journalisten werden festgesetzt, in Ägyptens Gefängnissen und Polizeiwachen wird gefoltert. Und nun haben islamistische Parteien bei der Parlamentswahl die Nase vorn.

Die Geister der Diktatur lassen sich so leicht nicht abschütteln: Nicht die Vielzahl der konkurrierenden Geheimdienste in Syrien, nicht das über Jahrzehnte allmächtige Militär in Ägypten, nicht die übermächtige Schreibtischherrschaft eines Millionenheers von staatlichen Beamten. "Das, was Du kennst, ist besser als das, was Du nicht kennst." Auch in Ägypten ist das ein geflügeltes Wort. Ägypten und die Ägypter – wie die Mehrzahl der Menschen in den arabischen Ländern – kennt keine Demokratie: Seit dem Ende der Kolonialzeit kennt man nur Monarchien, Militärherrschaft und autoritäre Präsidenten. Um es deutlich zu sagen: Die arabische Welt hat die Moderne verschlafen!

Drohende Szenarien

Kein Grund zur Arroganz: Vieles davon hat der Westen mit verschuldet, in dem er die Region noch über das Ende des Kalten Krieges hinaus zum Spielball der eigenen Interessen machte. Wenn der Westen die Gesellschaften und demokratischen Regierungen in der arabischen Welt jetzt nicht entschiedener unterstützt, wird auch das nächste Jahrzehnt ein verpasstes Jahrzehnt für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der Region.

Welche Risiken drohen, wenn der demokratische Aufbruch nicht gelingt, wurde bereits deutlich: Mit dem Sturm auf die israelische Botschaft in Kairo, mit den Ausschreitungen, Gewalttaten und Morden an der christlichen Minderheit der Kopten, mit der anhaltenden Gewalt gegen Andersdenkende. Bei einem Scheitern der Revolutionen könnte sich all das als Vorspiel für weitere Eskalationen erweisen. Die Gefahr eines Bürgerkriegs und völliger Anarchie ist da. Nicht nur in Ägypten ist die Frage entscheidend, ob die Protestbewegung eine breite Basis hat. Deutlich ist: Die ländliche Bevölkerung stützt die islamistischen Strömungen, wählt konservativer. Militär und Islamisten haben die jungen Demokraten und die liberale Mittelklasse zum gemeinsamen Feindbild erkorenen und üben den Schulterschluss. Zurzeit ist fraglich, ob diese konservative Festung von den demokratischen Kräften eingenommen werden kann.

Hürden überwinden

Damit läuft die arabische Welt Gefahr, einen weiteren Modernisierungsschritt zu verpassen. Das grenzt an politisch gewollte Sabotage an der eigenen Entwicklung. Schon heute liegt das Bruttoinlandsprodukt aller arabischen Länder unter dem Italiens! Die Arbeitslosigkeit in Ägypten liegt bei 20 Prozent. Die Region liegt bei allen Entwicklungsindikatoren zwar noch vor Afrika, aber hinter den meisten anderen Weltregionen. Die arabische Region ist bereits Teil eines weltweiten Austauschs: über Satelliten-TV, Facebook und Twitter ist gerade die jüngere Generation global vernetzt. Weder lassen sich deren Verbindungen kappen, noch lässt sich dieser Generationswechsel auf Dauer aufhalten. Solange jedoch Generäle, Apparatschiks, Geheimdienste und radikale Ideologen genau das um des kurzfristigen Machterhalts willen versuchen, solange wird es in der Region keinen echten Frieden geben, keine wirtschaftliche und soziale Entwicklung. Auf diesen Missstand hat die Demokratiebewegung den Blick gelenkt – es wird Zeit, dass auch die selbst ernannten Eliten darauf kommen.

Autorin: Ute Schaeffer
Redaktion: Birgit Görtz