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Noch ein Jahrzehnt

Das Interview führte Ranty Islam28. November 2006

Der Westen wird sich langsam bewusst, dass der Afghanistan-Einsatz noch lange dauern wird. Er kann sich nicht leisten, dass er scheitert, sagt Professor Herfried Münkler.

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DW-WORLD.DE: Wie schätzen Sie die Situation in Afghanistan ein? Ist der NATO-Einsatz gescheitert?

Professor Herfried Münkler: Ein so generelles Urteil wird man zum jetzigen Zeitpunkt sicherlich nicht treffen können. Wir müssen innerhalb Afghanistans differenzieren, was die Frage des Erfolges und der Risiken des Nato-Einsatzes anbetrifft. Die Lage im Südosten und Süden stellt sich völlig anders dar als im Norden. Die jetzt aufgekommene Diskussion hat mehr etwas damit zu tun, dass man sich von den USA bis in die west- und mitteleuropäischen Länder hinein bewusst wird, dass dies ein Einsatz ist, der nicht nur ein paar Monate oder Jahre, sondern noch mindestens ein Jahrzehnt dauern wird und der mehr ist als nur die physische Präsenz von Streitkräften, die sich in einem rotierenden System immer nur ablösen. Es schließt auch ein, dass man bereit ist, gegebenenfalls noch einmal mehr Truppen hineinzustecken. Die NATO wird alle Anstrengungen unternehmen müssen, dass dieser Einsatz nicht scheitert. Andernfalls wäre das für den Westen und seine Sicherheit eine Katastrophe.

Gibt es konkret, aber auch im generellen politisch-strategischen Bereich Dinge, die man radikal ändern müsste, um die Situation in Afghanistan umzudrehen oder zu verbessern?

Das erste, was wir brauchen, ist mehr Gelassenheit und eine Zurückdrängung dieser hektischen Geschwätzigkeit, die sich da teilweise aus dem Bereich der notorischen Inkompetenz breit gemacht hat. Die beiden Missionen - Enduring Freedom und die Stabilisierung Afghanistans durch die ISAF-Truppe - sind eine Zeit lang nebeneinander gelaufen. Nach fünf Jahren stellt sich jetzt die Frage, ob das noch Sinn macht, oder ob man nicht ein Gesamtkonzept braucht, also eine Zusammenführung von Enduring Freedom und ISAF. Man muss sich drüber verständigen, wie dies geschehen soll.

Dann sind da auch noch gewisse Nicklichkeiten und Animositäten unter den Koalitionsmitgliedern. Die Länder, die im Süden eingesetzt sind, insbesondere die Briten, Dänen und Niederländer, sind beunruhigt angesichts der Lage im Norden, die offenbar sehr viel einfacher und unproblematischer ist als im Süden. Dies war allerdings von Anfang an so zu erwarten gewesen, das ist nichts Überraschendes. Möglicherweise ist auch im Süden zu sehr auf den Gebrauch des Militärs und zu wenig auf administrative, soziale und ökonomische Stabilisierung geschaut worden.

Von Seiten einiger anderer NATO-Länder wurde eine Diskussion angestoßen, dass Deutschland militärisch im Süden Afghanistan eingreifen sollte. Muss sich Deutschland dort engagieren?

Na ja, gemessen an den bescheidenen Zielvorgaben sind die Deutschen im Norden ja einigermaßen erfolgreich. Es ist aber so, dass im Norden von den dort eingesetzten Soldaten andere Kompetenzen und Fähigkeiten verlangt werden als im Süden. Ich habe erhebliche Zweifel, ob das gut geht, wenn man Einheiten aus dem Norden im Bedarfsfall mal in den Süden wirft, wo sie für zwei, drei Wochen in einen Kampfeinsatz gehen und dann wieder in den Norden zurück gehen sollen. Dafür müsste die Bundeswehr eigene Kräfte in den Süden verlegen, die besser auf Kampfeinsätze eingerichtet sind. Das wäre in der deutschen Öffentlichkeit gegenwärtig kaum durchzusetzen.

Insofern müssen die lieben Freunde in Kanada, in den Niederlanden und Großbritannien akzeptieren, dass wir es hier weiterhin mit der ursprünglichen Aufgabenverteilung zu tun haben, die ja gemeinsam festgelegt worden ist. Es ist ausgesprochen schlechter Stil, wenn sie jetzt glauben, durch Sticheleien und Ähnliches auf der NATO-Parlamentarier-Versammlung die Probleme in ihrem eigenen Sektor dadurch lösen zu wollen, dass sie die Deutschen da noch mit hineinziehen.

Richtig ist andererseits, dass Deutschland mittelfristig sicherlich ein Problem haben wird. Wir sehen diese Einsätze zu sehr unter dem Gesichtspunkt einer Kombination von technischem Hilfswerk und Sozialarbeit und haben uns noch nicht darauf eingestellt, dass das auch wirklich Enforcement - also Erzwingungseinsätze - werden können. Aber das kann man in der deutschen Gesellschaft nicht von jetzt auf gleich durchsetzen. Dazu brauchen wir Zeit.

Herfried Münkler
Bild: dpa

Professor Dr. Herfried Münkler leitet den Lehrbereich Theorie der Politik an der Humboldt Universität zu Berlin