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"Hexenbesen" in luftiger Höhe

20. Dezember 2001

Um die Mistel ranken sich viele Geheimnisse. Ob als Heilpflanze, Geisterabwehr oder Sitz von Kobolden – im Volksglauben sind die Hexenbesen schon lang für ihre geheimnisvollen Kräfte bekannt.

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Bild: AP

Der griechische Arzt Hippokrates wusste sie ebenso als Arznei zu schätzen wie der Naturforscher Theophrast. "Omnia sanatem" - die alles Heilende - wurde sie vom römischen Schriftsteller Plinius genannt - die immergrüne Pflanze, die büschelweise einem Vogelnest gleich zwischen dem Baumgeäst wächst. Stehen Pappel, Birke, Weide, Robinie oder Apfelbaum im Winter ohne Blätter da, dann sind diese lederblättrigen "Baumgeister" in Kugelform weithin sichtbar. In der Advents- und Weihnachtszeit sind sie auch als Dekoration beliebt.

Eine Pflanze mit Zauberkräften

Die Pflanze spielt seit Urzeiten im Volksglauben eine besondere Rolle, weil Misteln über geheimnisvolle Kräfte verfügen sollen. Schon früher waren sie in der Medizin gebräuchlich. Pfarrer Kneipp empfahl sie gegen hohen Blutdruck, der französische Arzt Gaulthier wollte das Immunsystem des Menschen mit Mistelextrakt stärken. Die Volksmedizin schwor darauf, dass das ewige Grün im Baumwipfel ein unermüdlicher Kraftspender sei sowie gegen Verkalkung und Schwindel helfen könne. Wegen ihres großen gesundheitlichen Nutzens wurde sie auch Gutheil genannt.

Die Lebensumstände der Mistel sind indes merkwürdig: Die Pflanze ist nämlich allein nicht lebensfähig. Misteln brauchen Bäume als Partner, auf denen sie ihre Wurzeln zapfenartig ins Holz absenken und in luftiger Höhe Wasser mit Mineralstoffen tanken. Allein würden Misteln rasch verdorren. Das Leben hoch oben in der Baumkrone hat einen guten Grund: Dort gibt es das meiste Licht, was die Pflanze zur Photosynthese benötigt.

Ein Hexenbesen entsteht

Im Frühjahr bilden sich unscheinbare Blüten, die von der Wirtspflanze bestäubt werden. Daraus entstehen zum Jahreswechsel weiße Beeren, die eine willkommene Nahrung für viele Vögel darstellen. Die klebrigen Samen scheiden die Tiere wieder aus oder wetzen sie gleich in einer Astgabel ab. Rasch keimen die Samen. Mit einem Saugfuß halten sich diese am Ast fest und bilden den Grundstock für einen neuen "Hexenbesen". An der Zahl der Knoten lässt sich das Alter des Mistelnestes bestimmen. Erst nach 20 Jahren ist es kugelrund; ungestört im Baum kann sie ohne weiteres 200 Jahre alt werden. Vom Sturm geschädigt oder von Menschenhand abgeschnitten, geht die Mistel ein.

Aberglauben um die Donnerkugel

Ihr ungewöhnliches Dasein im Baum gab schon zu Urzeiten Anlass für Spukgeschichten, Aberglauben und geheimnisvolles Brauchtum. Misteln wachsen "zwischen Himmel und Erde". In den Baumkronen sollten nach altem Volksglauben die Götter und Kobolde ihren Sitz haben. Den Druiden-Priestern der Kelten waren Misteln heilig, weil sie angeblich vom Mond gefallen und von Göttern in die Bäume gesetzt worden waren. Deshalb opferte man ihnen die mit einer goldenen Sichel am sechsten Tag nach Neumond geschnittenen Gewächse, legte sie auf weiße Tücher und betrachtete sie als Zauberruten für den Weg in die Unterwelt. Eine grüne Pflanze, die auch tiefsten Temperaturen widerstand, musste magische Kräfte besitzen, meinten die Menschen und nannten sie Donnerbesen - dem Gewittergott Donar geweiht. Misteln auf dem Dach galten als Blitzableiter.

Zur Bezeichnung Hexenbesen kam es, weil die Triebe förmlich "um die Ecke wachsen" und - mit etwas Fantasie - eine Hexentreppe zum Absprung in die Lüfte bilden könnten. Ein aus Misteln geschnitztes Kreuz sollte im Volksglauben gegen den "bösen Blick" helfen. In einem "Kreuterbuch" aus dem Jahr 1551 wird zudem empfohlen, Kindern Misteln um den Hals zu hängen, "damit ihnen kein Gespenst schade". Noch um 1850 war es Brauch, Häuser, Ställe und Scheunen mit den Zweigen der Pflanze als Schutz vor Verhexung zu behängen.

Talisman, Friedensstifter und Freundschaftsbeweis

Eisenbahnen führten im 19. Jahrhundert nicht selten als Talismane Mistelzweige "gegen das Entgleisen" auf der Lok mit. In England ist es Brauch, sich zur Weihnachtszeit unterm "mistletoe" zu küssen, eine Huldigung an die Liebesgöttin die mythische Kräfte noch lebendig erscheinen lässt. Schutz und Segen sollte der Schmuck um die Jahreswende für Mensch, Tier, Haus und Hof bringen und die Winterdämonen verjagen. Im übrigen gelten Misteln als Friedensstifter: Wer einem mürrischen Zeitgenossen einen Mistelzweig überreicht, darf auf Versöhnung hoffen. Und wer seinem neuen Nachbarn ein Mistelbüschel schenkt, bietet ihm die Freundschaft an.