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"Hier krieg ich den Stoff, den ich brauche"

Ina Rottscheidt 18. Dezember 2003

Heroin, Betteln und Obdachlosigkeit - davon waren viele Jahre im Leben von Peter K. geprägt. Jetzt bekommt er seinen Stoff von der Bonner Heroinambulanz – Hoffnung auf ein besseres Leben inklusive.

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Der tägliche Weg zur Heroinambulanz

"Ganz zottelig und verlottert sah er anfangs aus", erinnert sich Linde Wüllenweber, psychosoziale Leiterin der Bonner Drogenambulanz, an ihren Schützling Peter K.*. Jetzt ist er rasiert, hat kurze Haare, und "an Körpergewicht ordentlich zugelegt", wie sie zufrieden feststellt. Und manchmal kann Peter K. auch schon lächeln.

Drogen nimmt er, seit er 14 ist. Erst nur ein paar Joints, dann immer mehr Stress zu Hause und schließlich rutschte er über seinen Onkel in die Drogenszene ab. Sieben Jahre hängt er nun an der Nadel, vier davon hat er sich auf der Straße durchgeschlagen. "Der Tag auf der Straße ist öde", erinnert er sich. Tage und Nächte seien bestimmt vom Kreislauf der Sucht, nach jedem "Druck" stelle sich die alte Frage: "Woher das Geld für neuen Stoff?" - Immerhin rund 100 Euro am Tag. Eigentlich habe er gar nicht betteln wollen, aber irgendwann "haben die Drogen meinen Stolz gebrochen".

Kontrollierte Heroinabgabe

Heroinambulanz Bonn Vergaberaum
Blick in den InjektionsraumBild: Heroinambulanz Bonn

Mittlerweile betritt er zwei Mal täglich die Bonner Heroinambulanz. In einem sterilen, weiß gekachelten Raum erhält er aus einer Durchreiche, die an den Kassenschalter einer Bank erinnert, seine fertig aufgezogenen Spritzen: Diaphin, also reines Heroin, in Wasser gelöst, das er sich unter Aufsicht von Krankenpflegern spritzt. Die Drogenvorräte lagern im Tresor, die Trennscheibe zum Injektionsraum ist aus Panzerglas.

Heroinambulanz in Bonn
Utensilien zur Herstellung von konsumfähigen Heroin in der AmbulanzBild: dpa

Als erste von sieben Kommunen hat die Stadt Bonn im März 2002 mit dem Modellprojekt zur kontrollierten Abgabe von Heroin unter ärztlicher Aufsicht begonnen. Untersucht wird, ob auf diese Weise die soziale und gesundheitliche Lage der Schwerstabhängigen verbessert werden kann. Laut Linde Wüllenweber richtet sich die Studie vor allem an jene, bei denen andere Therapieangebote nicht anschlagen. Bis jetzt sei man zufrieden, man habe die Teilnehmer von der Straße geholt und deren Gesundheitszustand haben sich erheblich gebessert. Abgesprungen sei noch keiner.

Auch der brodelnde Unmut der Anwohner ist verebbt: Im Vorfeld waren Bürgerinitiativen gegen die Einrichtung in ihrer Nachbarschaft Sturm gelaufen. Drogenumschlagsplatz, herum hängende Junkies und Spritzen auf Kinderspielplätzen – keine der Befürchtungen hat sich bewahrheitet. "Wir haben wegen der Proteste sogar schon Entschuldigungsbriefe von den Anwohnern bekommen", berichtet Linde Wüllenweber.

Vorsichtiger Optimismus

Auch Peter K.' s Leben ist anders geworden: Kein Betteln und kein Klauen mehr. Aus freien Stücken hat er seinen Konsum auf zwei Spritzen täglich reduziert – und durchgehalten. Und er schafft es, seinen eigenen kleinen Haushalt zu schmeißen. "Er hat mir ganz stolz erzählt, als er sich das erste Mal Putzmittel gekauft hat. Was für uns selbstverständlich, müssen die Abhängigen erst wieder neu lernen", erklärt Linde Wüllenweber.

Für solche alltäglichen Dinge ist auch die psychosoziale Betreuung im Rahmen der Studie gedacht: Schuldenabbau, Regulierung von Haftstrafen und Gruppenprogramme sollen das Zurechtkommen im Alltag und den Umgang mit der Abhängigkeit fördern.

Peter K. kann wieder in die Zukunft gucken. Gerne würde er jetzt auch arbeiten, umso mehr freut er sich schon auf die Arbeitstrainingsmaßnahmen im Januar. Die soll ermitteln, wie belastbar die Studienteilnehmer sind und welche Fähigkeiten und Stärken sie haben. Darüber muss Peter K. nicht lange nachdenken: "Ich würde gerne etwas mit Computern machen, da fühle ich mich sicher und habe das Gefühl, dass ich was kann."

* Name von der Redaktion geändert