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Der Wald lebt

30. April 2010

Rohstoff, Brennstoff, CO2-Speicher und Artenschützer. Der deutsche Wald hat viele Funktionen. Deshalb wird ihm oft gedacht, wie am Tag des Baumes im April oder mit dem Baum des Jahres. Aber wie steht es heute um ihn?

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UNESCO Biosphärenreservat Bayerischer Wald (Foto: Nationalpark Bayerischer Wald Bachlandschaft)
Die deutschen Wälder wachsen und werden artenreicherBild: Nationalpark Bayerischer Wald

Es knackt und knistert, wenn man über Waldboden läuft. Rechts und links wachsen grüne Sträucher, Bäume ragen in die Höhe und spenden Schatten. Die Waldluft ist frisch und erholsam - und der Wald selbst ein einzigartiger Klimaschützer. Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) hat in einer Studie ermittelt, dass deutsche Wälder von 2002 bis 2008 jährlich Kohlenstoffvorräte von rund 4,7 Millionen Tonnen speicherten. Das heißt, es werden insgesamt 1,2 Milliarden Tonnen Kohlenstoff in der Biomasse der Bäume festgehalten, die sonst in der Atmosphäre den Treibhauseffekt ankurbeln würden.

Ein Arbeiter vermisst in einem Thüringer Waldgebiet einen Eichenstamm (Foto: AP)
Deutschland hat den größten Holzvorrat in EuropaBild: AP

Laut Statistischem Bundesamt ist die Waldfläche in Deutschland seit 1992 jedes Jahr um durchschnittlich 176 Quadratkilometer gewachsen. Dieser Zuwachs übertrifft in seiner Gesamtheit die Fläche des Saarlandes. Damit ist auch der Holzvorrat kontinuierlich gestiegen. Deutschland verfügt heute mit 3,5 Milliarden Kubikmetern über die größten Holzvorräte in ganz Europa. Im vergangenen Jahrhundert ging es dem deutschen Wald dagegen weitaus schlechter.

Der deutsche Wald seit der Industrialisierung

Vor der Industrialisierung waren 98 Prozent des Bodens bewaldet. Nach dem Zweiten Weltkrieg blieb nur noch ein Drittel der Fläche Deutschlands unter schattiger Baumherrschaft. Holz aus deutschen Wäldern musste als begehrter Rohstoff auch für Reparationszahlungen nach den Weltkriegen herhalten. Die so entstandenen Hunderte Hektar großen Waldwunden sollten möglichst schnell wieder geschlossen werden.

Anspruchslose Nadelbäume wie Kiefern und Fichten wurden deshalb massenhaft ausgesät: Sie schossen schnell in die Höhe. Das Nadelholz ging an die Industrie und die Nährstoffe des Bodens gingen verloren. Die ursprünglich wachsenden Kiefern-Birken-Eichen-Mischwälder konnten da nicht mithalten. Doch auch die großflächig angesiedelte Monokultur hatte Nachteile. Sie konnte sich nicht wehren gegen Kieferneule, Spanner und Borkenkäfer, die natürlichen Feinde der Nadelbäume.

Ein Borkenkäfer mit der Bezeichnung Buchbinder arbeitet sich durch die Rinde einer Fichte (Foto: AP)
Ein Schädling: Der Borkenkäfer arbeitet sich durch das Holz einer FichteBild: AP

Kranke Bäume auf nährstoffarmen Boden sind schlecht gerüstet gegen Stürme. Den tierischen Bewohnern bieten sie keinen ausreichenden Schutz. Käfer, Insekten und Vögel verschwinden in andere Lebensräume oder sterben aus. Der Hirschkäfer und der Große Goldkäfer gehören beispielsweise zu den bedrohten Arten im Nürnberger Reichswald, weil ihnen die alten Eichen des natürlichen Waldes fehlen. Für den Schutz dieser und anderer bedrohter Tierarten im Reichswald wurden im Jahr 2006 mehr als 30 Hektar mit 150.000 jungen Eichen und Buchen bepflanzt - eine Annäherung an den ursprünglichen Nürnberger Wald. Sie soll die Artenvielfalt zurückbringen.

Artenreich: Der Bonner Stadtwald

In anderen Regionen Deutschlands ist der Artenreichtum bereits zurück gekehrt. Singvögel und Waldkäuze begrüßen die Besucher des Bonner Stadtwaldes an sonnigen Tagen. Es raschelt unter dem grün-weißen Teppich von Buschwindröschen, die sich großflächig über den Waldboden ziehen. Farne und Gräser siedeln an besonders lichtfreundlichen Stellen auf dem laubmodrigen Boden. Zwischen Stieleichen, Hainbuchen, Birken und Douglasien bieten Lichtlücken jungen Bäumen, Gräsern und Büschen Wachstumsnischen. Diverse Waldbewohner profitieren hier von völlig verschiedenen Nahrungs- und Siedlungsgrundlagen.

Blick auf unzählige gleichartige Baumstämme in einem Waldgebiet bei Zella-Mehlis (Foto: AP)
Eine Wald-Monokultur arbeitet gegen die ArtenvielfaltBild: AP

"Diese unterschiedlichen Schichten zeigen, dass der Wald naturnah ist", kommentiert Christoph Rullmann das grüne Durcheinander auf dem Bonner Venusberg. Der diplomierte Forstwirt ist Bundesgeschäftsführer der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald, einem Verein, der sich seit 1947 für die Belange der Bäume einsetzt.

Zehn Prozent Totholz für den Nährstoffkreislauf

Sturmgeschädigte Bäume erleben im Bonner Stadtwald ihr Ende als Totholz. Statt sie der Industrie zuzuführen, bleiben viele tote Stämme einfach liegen. Sie werden von Käfern und Insekten zerlegt und von Pilzen besiedelt. Die Nährstoffe des Holzes gelangen bei diesem lang andauernden Verwesungsprozess zurück in den Boden. Die winzigen Baumarbeiter locken dann beispielsweise den seltenen Schwarzspecht an, der den morschen Stamm auf der Suche nach Essbarem mit dem Schnabel traktiert und so Eichhörnchen einen vorübergehenden Unterschlupf zimmert.

"Im besten Fall kommen zehn Prozent Totholz auf einen Hektar Wald", rechnet Rullmann vor. Damit die Artenvielfalt im Wald gesichert ist, sollten nur sieben Festmeter Holz jährlich pro Hektar geerntet und neue Bäume für die abgeholzten nachgepflanzt werden. Der deutsche Wald kann so weiter nachhaltig wachsen. Nur eben nicht so schnell wie die Turbonadelwälder der jüngeren Vergangenheit.

Autor: Stefanie Zießnitz
Redaktion: Nicole Scherschun