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Hilf, Schwester China

Greta Hamann6. Januar 2015

Dem erdölreichen Venezuela geht es schlecht: Die Preise für den Rohstoff sinken, die Wirtschaft schwächelt. Doch anstatt Reformen anzugehen, macht sich Präsident Maduro auf die Suche nach neuen Krediten.

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Leere Regale in einem Supermarkt in Caracas. (Foto: dpa)
Leere Regale in einem Supermarkt in CaracasBild: picture alliance/ZUMA Press/Becerra

Ohne Milch kein Eis. So einfach sieht in Zeiten der Wirtschaftskrise die Rechnung für eine venezolanische Eisdiele aus. Da hilft es auch nichts, wenn man mit seinen 863 verschiedenen Eissorten im Guiness-Buch der Rekorde steht und Touristen aus der ganzen Welt vorbei kommen. Für die Hochsaison müsse die Eisdiele wegen fehlender Milch geschlossen bleiben, kündigt der Inhaber auf seiner Facebook-Seite an.

Das Beispiel der Eisdiele Coromoto aus der venezolanischen Stadt Mérida ist nur eines von vielen. Es zeigt, mit welchen Problemen die Bevölkerung Venezuelas oft zu kämpfen hat. Ob Toilettenpapier, Butter oder Seife - irgendein Produkt vermissen die Menschen immer wieder in den oft leeren Regalen ihrer Supermärkte.

Eisdiele Coromoto aus Venezuela. (Foto: Facebook-Screenshot)
Die Türen der Eisdiele Coromoto sind geschlossen: "Liebe Touristen und Kunden, es tut uns leid, dass wir sie nicht bedienen können. Grund der Mangel an Milch."Bild: Heladeria Coromoto

Venezuelas Einnahmen stammen zu 96 Prozent aus dem Verkauf von Erdöl. Mit dem Erlös finanziert das Land die Importe fast aller anderen Produkte. Doch der Ölpreis ist so niedrig wie zuletzt im Mai 2009: Ein Barrel der Sorte Brent kostet derzeit 54,44 Dollar, ein venezolanischer Barrel liegt sogar unter der 50-Dollar-Marke. Innerhalb eines halben Jahres ist der Preis um die Hälfte gesunken.

Die Auswirkungen auf die fast vollständig vom Export des Rohstoffs abhängige venezolanische Wirtschaft sind enorm: Analysten sprechen gar von einem drohenden Staatsbankrott. "So schlecht wie jetzt war die Situation lange nicht", sagt auch Nikolaus Werz, Professor für Politikwissenschaften an der Universität Rostock.

Maduro: "Die USA wollen uns zerstören"

Venezuelas Präsident Nicolás Maduro sieht die Schuld für den Preisverfall vor allem beim "US-amerikanischen Imperium". Die USA überschwemmten den Markt mit billigem Fracking-Erdöl und drückten somit die Preise, klagte der Präsident in einer Fernsehansprache zum Neujahr: "Sie haben einen Krieg geplant, um Russland und Venezuela zu zerstören."

Dass man in Venezuela dank der staatlichen Subventionen nur zwei Cent für einen Liter Benzin zahlt und die Inflation von rund 64 Prozent mittlerweile zu den höchsten der Welt zählt, weil weiter Geld gedruckt wird, um die ausländischen Schulden bedienen zu können, erwähnte er jedoch nicht.

"Maduros Ansprache ist ein Versuch, politische Feinde zu kreieren, um die Wirtschaftskrise zu begründen. Es ist eine Strategie, um sich selbst vor Kritik zu schützen", sagt der venezolanische Politikwissenschaftler Victor Mijares. Er lehrt an der Universität Simón Bolívar in Caracas und forscht derzeit am Hamburger GIGA-Institut.

Wachsender Einfluss Chinas

Und so sucht der Präsident die Lösung für die schwere wirtschaftliche Lage seines Landes konsequenterweise auch nicht bei sich selbst, sondern reist nach China, einem der Hauptwirtschaftspartner des Landes. "Es ist eine sehr wichtige Reise", sagte Maduro.

Bereits im Dezember war sein Wirtschaftsminister Marcos Torres bei der "Schwester", wie Maduro China stets nennt. Um die seit 2007 bereits aufgenommenen Kredite in Höhe von 50 Milliarden US-Dollar weiter aufstocken zu können, muss nun doch der Staatschef selbst in den fernen Osten reisen.

Experten gehen davon aus, dass China trotz der unsicheren Lage Venezuelas weitere Kredite vergeben wird, wenngleich die Höhe und die genauen Konditionen unbekannt sind. Mehr als wahrscheinlich ist jedoch der weiter wachsende Einfluss Pekings in Venezuela: "Diese Vorgehensweise erinnert an die chinesische Strategie in Afrika und ist für China auf jeden Fall von Vorteil. Der wirtschaftliche Einfluss wird später auch politischen Einfluss in Venezuela mit sich bringen", sagt Politikwissenschaftler Mijares: "Steigt die Verschuldung Venezueals in China weiter an, könnte sich Venezuela in ein zweites Sudan verwandeln, hier ist der Einfluss bereits heute sehr groß."

Maduro mit Demonstranten (Foto: Reuters)
Präsident Maduro (Mitte) mischt sich gerne unter das Volk. Doch das ist immer unzufriedenerBild: Reuters/C. Garcia Rawlins

Das frische Geld würde Maduro wieder neuen Handlungsspielraum geben: "Ich denke, dass Venezuela voll und ganz auf die weitere Verschuldung in China setzt und somit auch hofft, mehr Öl nach China und weniger in die USA exportieren zu können", glaubt Mijares. Derzeit sind die USA der Hauptabnehmer des venezolanischen Öls.

Den Willen zur Umsetzung dringend nötiger tiefgreifender Reformen sieht der Politologe nicht: "Das Geld wird wohl der Rettungsring für die Regierung Maduros sein, um an der Macht zu bleiben und mit der Politik fast genauso weiter zu machen wie bisher."

Neue Proteste

Für diesen Kurs wird Maduro von zahlreichen Experten kritisiert. So auch von Luis Vicente Leon, dem Präsidenten des renommierten venezolanischen Meinungsforschungsinstituts Dataánalisis: "Einem Problem auszuweichen, anstatt sich direkt darum zu kümmern, macht die Lösung, die sowieso angewandt werden muss, noch teurer", schrieb er im sozialen Netzwerkt Twitter und erhielt viel Zustimmung von seinen zahlreichen Followern.

Sein Institut hatte im Dezember festgestellt, dass nur noch 24,5 Prozent der Venezolaner ihren Präsidenten unterstützen. Damit ist die Zustimmung für Maduros so gering wie nie zuvor. Nur 1,9 Prozent der Befragten hielten Maduros Führungsqualitäten für "sehr gut."

Angesichts dieser Situation sieht Politikwissenschaftler Werz auch die Gefahr für neue soziale Proteste weiter steigen. Mit dieser Einschätzung steht er nicht allein. Sollten die Preise für das Erdöl nicht wieder steigen, seien Unruhen in zahlreichen Erdölstaaten gewiss, schreibt auch die britische Tageszeitung "The Independent": "2015 wird kein langweiliges Jahr."