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Hilfe aus Brüssel?

Nick Amies, Kerstin Steinbrecher, Kay A. Scholz22. Juli 2002

Europa steht vor einer großen Herausforderung. Die Agrarindustrie sorgte in den letzten Monate für eine erschreckende Skandalchronik.

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Das Angebot ist groß, die Sorge ist es auchBild: Bilderbox

Als in der vergangenen Woche in Deutschland 1800 Bauernhöfe gesperrt wurden, war das nur eine neue traurige Folge einer Reihe von Lebensmittel-Skandalen in Europa. Das Vertrauen der Verbraucher ist schwer erschüttert: Hormone und Herbizide in Nahrungsmitteln, BSE, Maul- und Klauenseuche. Verbraucherschützer fordern von den Regierungen und der Agrarindustrie strengere Kontrollen und Schutzmaßnahmen. "Das Problem ist nur, es wird immer skrupellose Menschen geben. Man kann nicht neben jeden Bauern einen Polizisten stellen, der kontrolliert, womit die Tiere gefüttert werden", erklärt Caroline Hayat, Sprecherin des Europäischen Verbraucherverbandes.

Nitrofen und MPA

Im Juni wurde in Deutschland das Pflanzengift Nitrofen in vermeintlich biologisch angebautem Weizen gefunden. Der Weizen diente der Aufzucht von Geflügel, das inzwischen nach Holland, Belgien, Österreich und Dänemark exportiert worden war.

Einen Monat später entdeckten Kontrolleure das Geschlechtshormon MPA in Schweinefutter und Glucosesirup der belgischen Firma Bioland. Betroffen waren zahlreiche Getränkehersteller und Bauernhöfe, auch in Nachbarländern. Am Donnerstag (18. Juli 2002) vergangener Woche wurden 1800 Agrarbetriebe in Deutschland vorübergehend gesperrt. Sie bezogen Futtermittel von zwei Firmen in Nordrhein-Westfalen, die Bioland Sirup verwendet hatten. Inzwischen ist der Milch-Abgabestopp wieder aufgehoben. Fleischprodukte dürfen allerdings auch weiterhin nicht verkauft werden.

Die EU muss handeln

Vielen Unternehmen scheinen niedrige Kosten und hoher Profit wichtiger als die Gesundheit der Verbraucher zu sein. Entsprechend laut sind die Forderungen nach mehr Schutz.

Die Situation kann nur durch ein härteres Vorgehen der Europäischen Union verbessert werden, meint Caroline Hayat. Die meisten Skandale sind nicht mehr nur auf ein Land beschränkt. Die Schuldigen müssen bestraft werden.

Viele Hoffnungen setzen Verbraucherschützer auf die neue Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA). Sie will - von der Produktion, über den Vertrieb bis zum Verkauf im Supermarkt - alle Bereiche der Branche regulieren. Mittels einer breit angelegten Aufklärungskampagne sollen sichere Lebensmittel auf den Markt kommen. Die Behörde soll zudem Ansprechpartner Nummer eins werden, wenn’s um die "richtige" Wurst geht.

Noch arbeitet die EFSA nicht, die Standortfrage ist offen, ein Direktor fehlt. Doch bereits jetzt werden kritische Stimmen laut: 13 der 14 Mitglieder sind EU-Bürokraten, es gibt nur einen Verbraucherschutz-Lobbisten. "Ich setze große Hoffnungen in die EFSA", sagt Caroline Hayat. Die Lage würde sich verbessern, wenn die Behörde schnell und effektiv zu arbeiten beginnt.

Streit um eine Positivliste

Der Vorsitzende des EU-Agrarausschusses, Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf, forderte Verbraucherkommissar David Byrne dazu auf, eine Positivliste mit Inhaltsstoffen zu erlassen. Es könne nicht sein, dass heute alles in Futtermitteln sein dürfe, was nicht ausdrücklich verboten sei, sagte er im Deutschlandradio Berlin.

Byrne lehnte die Forderung nach einer Positivliste, die auch von Verbraucherministerin Renate Künast vertreten wird, erneut als zu kompliziert und "schwer umsetzbar" ab. Seinen Kenntnissen nach müssten darin 10.000 Inhaltsstoffe stehen, sagte er dem Nachrichtenmagazin "Focus". Alle Bauern in der Europäischen Union sollten so schnell wie möglich genau erkennen können, was in den von ihnen verwendeten Futtermitteln enthalten ist, sagte dagegen Künast der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung".