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Hinfälliges Regelwerk

Alexander Kudascheff24. Juni 2003

Belgiens Regierung hat angekündigt, ihr weitreichendes aber heftig kritisiertes Kriegsverbrechergesetz zu entschärfen. Den Ausschlag gab Druck aus Washington. Ein lange fälliger Schritt, meint Alexander Kudascheff.

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Der Druck aus Washington, die unverblümte Drohung des amerikanischen Verteidigungsministers Donalds Rumsfeld, hat gewirkt. Belgiens Regierung ändert ihr umstrittenes Kriegsverbrechergesetz, das seit zehn Jahren für Aufregung sorgt. Denn in Belgien konnte jeder vor Gericht ziehen, um besonders schwere Fälle von Kriegsverbrechen, Völkermord oder Verbrechen gegen die Menschenrechte an- und einzuklagen. Und die Liste der Angeklagten war lang: Sie reichte von Ariel Scharon bis zu George Bush senior, von Nonnen in Ruanda bis zu US-General Tommy Franks.

Denn das Gesetz, das aus der Sicht der Belgier eine letzte Möglichkeit sein sollte, Völkermörder oder Verantwortliche von Massakern anzuklagen und zu verurteilen, wurde instrumentalisiert: von Anwälten, von Emigranten, von politischen Exilgruppen - von palästinensischen Studenten ebenso wie von den Resten der kurdisch-kommunistischen Partei PKK. Wer genug Geld hatte, wer einen Anwalt fand - es war meistens derselbe - konnte sich wenigstens vorübergehend spektakuläre Schlagzeilen sichern.

Auffällig war im übrigen, wer alles fehlte auf den belgischen Bänken des imposanten Brüsseler Justizgebäudes: Fidel Castro, Wladimir Putin, afrikanische Potentaten, Saddam Hussein, Kim Il Jong. Die belgische Regierung hat ihr weltweit einzigartige Gesetz immer verteidigt, auch wenn sie manchmal ahnte, dass es missbraucht wurde und dass es auch juristisch fragwürdig war. Denn spätestens seit es den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gibt - mit nur einem Ziel: der Anklage und Verurteilung von Kriegsverbrechern - war das belgische Kriegsverbrechergesetz hinfällig. Doch die Koalition aus Liberalen, Sozialisten und Grünen hielt eisern am Gesetz fest, auch wenn sie es unter der Hand änderte. Bis der amerikanische Verteidigungsminister beim NATO-Treffen Mitte Juni in Brüssel in gewohnt deutlicher Weise lospolterte.

Die USA, so der Tenor seines Kommentars, könnten nicht an Brüssel als Standort der NATO festhalten, wenn Amerikaner befürchten müssten, hier verhaftet zu werden, bloß weil hier eine läppische Anklage vorliege. Und so lange es dieses Gesetz gebe, so lange werde Washington für den dringend benötigten Neubau der NATO in Brüssel kein Geld zuschießen. Das war klar und deutlich eine Warnung an Brüssel und Belgien. Und welch ein politisches Wunder: Die sonst so starrköpfige Regierung bewegte sich. Sie wird das Gesetz nachhaltig ändern, so dass nur noch jemand vor Gericht stehen wird, wenn die Tat und die Täter einen eindeutigen Bezug zu Belgien haben. Damit ist das Regelwerk nur noch ein innerbelgisches Gesetz.

Das allerdings kann die Regierung treffen. Denn angeklagt ist auch Belgiens Außenminister Louis Michel - ein vehementer Gegner des Gesetzes - weil er zugestimmt hat, dass Nepals Regierung belgische Waffen erhielt - die sie dann völkerrechtswidrig einsetzte. Das wäre dann wirklich der Treppenwitz des moralisch ambitionierten Gesetzes: Die Verfahren werden eingestellt, nur das gegen Michel läuft weiter. Und Washington zahlt vielleicht doch nicht für den Neubau der NATO, weil die Kosten der Kalkulation davonlaufen und auf das Doppelte angestiegen sind. Aber davon hat Rumsfeld nichts gesagt.

So oder so: Das neue Gesetz ist ein Gesetz wie alle anderen in anderen Ländern auch. Nicht mehr und nicht weniger. Und vielleicht beschleunigt das schmähliche Ende des Gesetzes wenigstens ein anderes Verfahren: Das gegen den belgischen Kindermörder Marc Dutroux, der seit bald acht Jahren auf seinen Prozess wartet – wie die Eltern der umgebrachten Kinder auch. Eine Tortur für die Betroffenen, über die man in Belgien nicht gerne redet.