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Hip Hopper finden gemeinsamen Beat

15. November 2011

Was verbindet Rapper aus Berlin, Manila oder Bogota? Wer das wirklich herausfinden will, muss sich in Textarbeit stürzen – so wie die 15 Musiker des Projektes "Translating Hip Hop".

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Das Projekt Translating Hip Hop brachte Rapper aus Beirut, Bogota, Nairobi, Manila und Berlin zusammen. Ein Jahr lang trafen sich die Musiker zu mehreren Workshops in einer der beteiligten Städte, um gegenseitig ihre Raps zu übersetzen. Während der Abschlussveranstaltung in Berlin 10. - 12.11.2011 gab es Performances, Filme, Diskussionen und Konzerte rund um Hip Hop. Foto: Nadine Wojcik (DW
Rapper aus Beirut, Bogota, Nairobi, Manila und BerlinBild: DW/Wojcik

So ein Konzert hat es noch nicht gegeben: simultanes Rappen im Haus der Kulturen der Welt in Berlin. In den Kabinen, in denen normalerweise Übersetzer Konferenzen dolmetschen, rappen Hip Hopper auf Spanisch, Deutsch oder Arabisch, während unten auf der Bühne Nazizi aus Nairobi auf Sheng, einer Mischung aus Englisch und Suaheli, einen ihrer Songs zum Besten gibt.

Nazizi ist in Kenia eine Hip Hop-Größe, die mit ihren Texten der perspektivlosen Jugend in ihrem Land Mut machen möchte. Die Köpfe der Zuschauer nicken anerkennend im Takt. Eine automatische, unkontrollierbare Bewegung sobald fette Bässe durch den Saal dröhnen. Im Rhythmus und Gestus sind sich Hip Hopper auf der ganzen Welt gleich. Und auch in ihrer Liebe zur Sprache - die allerdings gleichzeitig zum größten Hindernis werden kann, wenn ein internationales Publikum zuhört.

Nicht so bei "Translating Hip Hop", einem gemeinsamen Projekt des Goethe-Instituts und des Hauses der Kulturen der Welt. Ein Jahr lang besuchten sich gegenseitig Rapper aus Beirut, Bogota, Berlin, Manila und Nairobi, um gemeinsam ihre Texte zu übersetzen. Rayess Bek aus dem Libanon war anfangs skeptisch. "Ich wusste nicht genau, welche Art von Rappern eingeladen worden waren und hatte Sorge, dass ich dumme Texte über dicke Autos und Goldketten übersetzen müsste, wie das viel zu häufig in den Mainstream-Songs aus den USA zu hören ist."

Gemeinsame Lebenseinstellung

Für die gemeinsamen Treffen wählte jeder Künstler zwei bis drei eigene Songs aus, die im Vorfeld wortwörtlich ins Englische übersetzt wurden - und dann meist kaum mehr zu verstehen waren, da Metaphern oder Wortspiele nur schwer zu übertragen sind. Hier setzte die eigentliche Workshop-Arbeit an. So erklärte beispielsweise Rayess Bek seinen Rapper-Kollegen das mühsame Leben im Libanon nach dem Bürgerkrieg. Diana aus Bogota erzählte von ihrem Kampf für Frauenrechte. Tondo Tribe beschrieb den Alltag in den Slums von Manila.

Das Projekt Translating Hip Hop brachte Rapper aus Beirut, Bogota, Nairobi, Manila und Berlin zusammen. Ein Jahr lang trafen sich die Musiker zu mehreren Workshops in einem der beteiligten Städten, um gegenseitig ihre Raps zu übersetzen. Während der Abschlussveranstaltung in Berlin 10. - 12.11.2011 gab es Performances, Filme, Diskussionen und Konzerte rund um Hip Hop, hier (v.l.n.r.) Flaco Flow aus Kolumbien, Tondo Tribe aus Manila und MC Kah aus Nairobi bei einer Podiumsdiskussion. Foto: Nadine Wojcik (DW
Das Projekt Translating Hip Hop brachte Rapper aus Beirut, Bogota, Nairobi, Manila und Berlin zusammen.Bild: DW/Wojcik

Dabei merkten die Musiker: Obwohl ihre Lebenswelten unterschiedlicher nicht sein könnten, so teilen sie doch die gemeinsame Lebenseinstellung, kritisch gegen Ungerechtigkeiten anzurappen, gebündelt mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunft. "Das war wirklich abgefahren. Gleich bei unserem ersten Treffen in Beirut haben wir uns in Diskussionen über unsere Musik vertieft", sagt Mad Maxomom aus Hamburg. "Es gab einfach gar keine Barrieren – und das obwohl wir von vier verschiedenen Kontinenten kommen."

Das Projekt Translating Hip Hop brachte Rapper aus Beirut, Bogota, Nairobi, Manila und Berlin zusammen. Ein Jahr lang trafen sich die Musiker zu mehreren Workshops in einer der beteiligten Städte, um gegenseitig ihre Raps zu übersetzen. Hier beim Abschlusskonzert in Berlin. Foto: Nadine Wojcik (DW
Bild: DW/Wojcik

"Hip Hop ist das beste Beispiel für globalisierte Kultur", sagt Susanne Stemmler vom Haus der Kulturen der Welt und Initiatorin des Projektes. Seit vielen Jahren beschäftigt sie sich mit Hip Hop, hat auch wissenschaftlich darüber gearbeitet und unter anderem in New York geforscht. "In fast jedem Land, in jeder Sprache gibt es heute eine Hip Hop-Szene." Gleichzeitig bringe aber jede Szene auch ihre eigenen lokalen Besonderheiten mit. Bei "Translating Hip Hop" gehe es daher nicht nur um eine rein sprachliche Übersetzung, sondern "vor allem um eine Übersetzung von Lebenswelten und Kontexten". Für Susanne Stemmler sind Rapper nicht nur Musiker, sondern vor allem auch "Geschichtenerzähler ihrer Welten".

Von anderen Sprachen lernen

Als sich die Rapper bei der Textarbeit über eben jene Lebenswelten unterhielten, verspürte Mad Maxomom oftmals ein Schamgefühl. "Wenn uns die jeweiligen Gastgeber durch ihre Stadtteile führten und alle sich gegenseitig bestätigten, dass auch sie einen Alltag von Gewalt und Angst kennen, fühlte ich mich als Deutscher schon ziemlich fehl am Platz. Von so einem Leben haben wir in Deutschland überhaupt keine Ahnung." Daher entschied er sich, den Song seiner libanesischen Kollegin Malikah nicht einfach nur ins Deutsche zu übersetzen, sondern stattdessen ihre Lebensrealität seinen banalen Alltagsorgen gegenüber zu stellen.

"Malika kämpft jeden Tag, wenn sie morgens erwacht,
gegen die Bilder in ihrem Kopf und die Dämonen der Nacht,
auch ich schlag meine Schlacht, kämpfe morgens um acht,
damit ich aus dem Bett komm, und den Bus nicht verpass."

Ziemlich anregend empfand der Hamburger Rapper die detailgenaue Auseinandersetzung mit den so unterschiedlichen Sprachen. "Die Slang-Sprache Sheng aus Nairobi ist fast schon tagesaktuell. Es werden Worte erfunden, die eine Woche später schon wieder out sein können. Im Vergleich dazu lassen wir uns von der deutschen Sprache wirklich ganz schön einschränken."

Zukunftsmusik

Das Projekt Translating Hip Hop brachte Rapper aus Beirut, Bogota, Nairobi, Manila und Berlin zusammen. Ein Jahr lang trafen sich die Musiker zu mehreren Workshops in einer der beteiligten Städte, um gegenseitig ihre Raps zu übersetzen. Während der Abschlussveranstaltung in Berlin 10. - 12.11.2011 gab es Performances, Filme, Diskussionen und Konzerte rund um Hip Hop. Foto: Nadine Wojcik (DW
Translating Hip HopBild: DW/Wojcik

Ziemlich uneingeschränkt konnten die Besucher des Abschlusskonzertes von "Translating Hip Hop" in Berlin die Songtexte genießen. Ausgerüstet mit Kopfhörer konnte zwischen den Übersetzungskanälen und damit auch zwischen den Sprachen hin- und hergesprungen werden. Die Rapper selbst wechselten während des Konzertes ständig zwischen Bühne und Dolmetscherkabinen, die via Leinwände auch im Saal zu sehen waren.

Auch wenn das Projekt nun offiziell beendet ist – eine Fortsetzung gibt es bereits schon. Vier Rapperinnen aus Berlin, Bogota, Beirut und Nairobi haben sich zu der Band "Lyrical Roses" zusammengeschlossen und hatten vor einigen Wochen bereits ihren ersten gemeinsamen Auftritt in Kolumbien vor rund 40.000 Menschen. "Wir sind während des Projektes einfach eine Familie geworden", sagt Nazizi. "Wie haben eine gleiche Mission und gleiche Schwingungen. "Translating Hip Hop" ist jetzt zwar vorbei – aber wir machen definitiv weiter."

Autorin: Nadine Wojcik

Redaktion: Gudrun Stegen