1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Hippler: "Vorsicht ja, Angst nein."

Martin Koch25. Juli 2013

Nach der Befreiung von Hunderten Gefangenen im Irak durch Al-Kaida sieht Interpol die globale Sicherheit bedroht. Der Irak-Experte Jochen Hippler vom Institut für Entwicklung und Frieden mahnt zu Besonnenheit.

https://p.dw.com/p/19EMF
Der Friedensforscher Jochen Hippler vom Institut für Entwicklung und Frieden der Universität Duisburg (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/ dpa

Deutsche Welle: Mit einer generalstabsmäßig geplanten Aktion, bei der auch schwere Waffen eingesetzt wurden, hat Al-Kaida Hunderte Gefängnisinsassen befreit. Mindestens 40 Wärter und Häftlinge wurden dabei getötet. Was ist über die Flüchtigen bekannt?

Jochen Hippler: Es ist davon auszugehen, dass Schwerstkriminelle genauso dabei waren wie Al-Kaida-nahe Extremisten. Das war ja wohl auch der Grund dafür, dass man diese Befreiungsaktion durchgeführt hat. Aber natürlich liegt es nahe, dass dann auch alle möglichen Leute diese Gelegenheit nutzen, ebenfalls zu fliehen.

Interpol hat eine Sicherheitswarnung herausgegeben, der Ausbruch könne die globale Sicherheit gefährden. Was sagt das über den Hintergrund der Ausgebrochenen aus?

Es herrscht große Besorgnis. Also "globale Sicherheit" ist schon eine ziemlich große Formulierung. Zum ersten Mal in den vergangenen ein bis zwei Jahren haben wir im Irak selbst ein sehr massives Ansteigen der Gewalt. Inzwischen werden wieder bis zu 700 oder 800 Menschen pro Monat getötet. Das ist immer noch deutlich unter dem Stand von 2006/2007, aber schon das Vier- bis Fünffache von dem, was wir vor zwei Jahren noch hatten. Und die Gewalt wird noch weiter ansteigen. Durch die Gefangenenbefreiung werden sich bestimmt auch einige Ausbrecher den terroristischen Gruppen anschließen.

Außerdem haben wir, das hat gerade der UNO-Beauftragte für den Irak erklärt, eine Situation, in der die Schlachtfelder in Syrien und im Irak kaum noch zu trennen sind. Es gibt Verbindungen, so dass kaum noch klar ist, wo der syrische Bürgerkrieg anfängt, wo er aufhört und wie er sich mit den Konflikten im Irak überlappt. Das heißt, es ist ziemlich sicher anzunehmen, dass ein Teil dieser Ausbrecher sich jetzt in den syrischen Bürgerkrieg einmischen wird.

Ist damit zu rechnen, dass auch westliche Inhaftierte dabei waren? Konvertiten, die jetzt nach Europa oder in die USA zurück gehen?

Das ist in Einzelfällen nicht auszuschließen, aber ich kann im Moment nicht sehen, dass die Zahl von solchen Leuten in Haftanstalten im Irak besonders hoch wäre. Wir haben im Irak eine Situation, die vergleichbar ist mit den 1980er Jahren und danach in Afghanistan. Das Land war eine Art Durchlauferhitzer für Dschihadisten, die aus Algerien, dem Jemen, Saudi-Arabien, Ägypten und sonst wo her kamen. Diesen Prozess hatten wir eine Zeitlang auch im Irak und jetzt möglicherweise in Syrien und nun offenbar wieder im Irak. Insofern würde ich mir schon Sorgen machen, wenn die befreiten Gefangenen aus bestimmten Herkunftsländern kommen. Wenn da drei oder vier Deutschstämmige sitzen, würde man die sicher im Auge behalten müssen.

Das Problem ist tatsächlich, dass es eine frei vagabundierende Szene von internationalisierten, regionalisierten Dschihadisten gibt, die je nach Konjunktur mal in Afghanistan, mal in Pakistan, Syrien oder im Irak und dann vielleicht auch mal in einem europäischen Land zuschlagen können.

Welche Rolle spielt Al-Kaida im Irak?

Wieder eine etwas stärkere. Al-Kaida hatte sich eigentlich durch schwere politische Fehler selbst wesentlich geschwächt. Unter anderem, weil der irakische Ableger der Terrororganisation sich - sogar nach Ansicht der Al-Kaida-Zentrale im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet - zu stark mit Gewalt gegen Schiiten diskreditiert hat. Zum Beispiel durch abstoßende symbolische Gewalt, etwa durch Enthauptungen von Menschen vor Videokameras im Internet. Und dann haben sich die Al-Kaida-Leute im Irak auch so aufgeführt, als wären sie eine Besatzungstruppe im eigenen Land und haben dadurch sunnitische Stämme und Aufständische gegen sich aufgebracht. Vor diesem Hintergrund konnten die US- und dann die irakischen Truppen Al-Kaida wesentlich zurückdrängen.

Aber in den vergangenen ein, zwei Jahren, als Ministerpräsident Maliki stärker wieder selbst angefangen hat, die konfessionelle Karte zu ziehen und stärker auf schiitische Diskurse zu setzen, da kam es tatsächlich wieder zu einer teilweisen Erstarkung von Al-Kaida im Irak.

Ist die irakische Regierung in der Lage, die Geflohenen zu fangen und wieder für Ruhe zu sorgen?

Ich würde vermuten, dass sie einige von ihnen einfangen, aber nicht alle. Die irakische Regierung ist in vielerlei Hinsicht einfach gelähmt. Herr Maliki hat versucht, an seinen Regierungspartnern vorbei und manchmal sogar am Staatsapparat vorbei eine private Machtpolitik zu betreiben. Die verschiedenen Ministerien arbeiten nicht gut zusammen. Wenn sie von verschiedenen politischen Parteien geprägt werden, dann kooperieren sie einfach nicht.

Hat der Westen die Möglichkeit einzugreifen? Oder muss er hoffen und bangen, dass die Gewalt nicht zu ihm rüberschwappt?

Ich wüsste wirklich nicht, was man da machen kann. Wir haben eine regionale Gesamtdestabilisierung. Libanon macht sich Sorgen, ob es zurück an den Rand des Bürgerkriegs gelangt, die libanesische Situation ist mit dem syrischen Bürgerkrieg sehr stark verknüpft und dieser wiederum mit dem irakischen Konflikt. Insofern würde ich mir grundsätzlich Sorgen machen, aber die Eingriffsmöglichkeiten westlicher Politik sind sehr begrenzt. Man kann durch politische Erklärungen wenig bewirken, man kann in einer so instabilen Lage auch wirtschaftlich nur begrenzt etwas bewirken. Und militärisch könnte man Sachen zerstören, aber keine stabilen Strukturen schaffen. Die müssen von den Leuten in den Ländern selbst aufgebaut werden. Und erst, wenn so ein Prozess in Gang gesetzt worden ist, glaube ich, dass der Westen wieder eine Chance hat, irgendwas Konstruktives beizutragen.

Jochen Hippler ist Politikwissenschaftler und Friedensforscher am Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) an der Universität Duisburg-Essen. Arbeitsschwerpunkte sind unter anderem die Rolle von nationalen, ethnischen und religiösen Identitäten im Kontext von Konflikten und Kriegen sowie bei der Demokratisierung von Gesellschaften, interkulturelle Dialoge sowie der Nahe und Mittlere Osten.