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Doping gegen Leistungsdruck

Christian Ignatzi25. August 2013

Viele Menschen nehmen leistungssteigernde Mittel, um den Anforderungen im Job zu genügen. Die paradoxe Folge: Die Fehlzeiten steigen. Die EU sieht nun die Arbeitgeber in der Pflicht, etwas zu unternehmen.

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Mann am Arbeitsplatz Symbolbild Stress am Arbeitsplatz
Symbolbild Stress am ArbeitsplatzBild: Fotolia/Joerg Lantelme

Vor seinem Tod hatte er angeblich drei Nächte in Folge durchgearbeitet. Dann wurde Moritz E. leblos unter der Dusche in seinem Londoner Hotelzimmer gefunden. Er war 21 Jahre alt, als er starb. Medienberichten zufolge litt der Praktikant einer Investmentbank unter Epilepsie und hatte sich möglicherweise überarbeitet. Fälle wie dieser versetzen auch die Europäische Kommission in Brüssel in Alarmbereitschaft. Junge Menschen dürften sich nicht selbst ausbeuten, nur um Unternehmen zu mehr Gewinnen zu verhelfen, findet SPD-Europaabgeordnete Jutta Steinruck.

Mehr Fehltage im Job

Das sieht auch die Krankenkasse AOK so, die in der vergangenen Woche ihren Fehlzeitenreport 2013 veröffentlichte. Viele Deutsche nähmen demnach sogar leistungssteigernde Mittel, um mit den Anforderungen im Job zurecht zu kommen. "Um berufliche Stresssituationen zu bewältigen, haben fünf Prozent der Arbeitnehmer in den letzten zwölf Monaten Medikamente wie beispielsweise Psychopharmaka oder Amphetamine zur Leistungssteigerung genommen", sagt der stellvertretende Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO), Helmut Schröder, der Deutschen Welle. Insbesondere die jüngeren Mitarbeiter seien gefährdet, Aufputschmittel zu nehmen, um leistungsfähig zu bleiben. Die Mittel helfen etwa gegen Müdigkeit und Konzentrationsschwäche. Bei den unter 30-Jährigen sei jeder Zwölfte betroffen.

Aufputschmittel können zu Kopfschmerzen und Übelkeit führen, abhängig machen und Organe schädigen. Zwischen 2002 und 2012 ist dem Fehlzeitenreport die Zahl der Arbeitsunfähigkeitstage, die insgesamt durch die Einnahme von Suchtmitteln verursacht wurden, um rund 17 Prozent gestiegen.

Blaue Tabletten liegen auf einem Haufen.(Foto: Fotolia/fullcirclephotos)
Aufputschmittel gehören für manche Menschen zum AlltagBild: Fotolia/fullcirclephotos

Leistungsdruck in Industriestaaten

Das Problem, sagt Europaabgeordnete Steinruck im Gespräch mit der DW, trifft nicht nur Deutschland, sondern alle Industriestaaten. Selbst im Studium erliegen ihr zufolge schon viele dem Reiz der leistungssteigernden Mittel. "Wenn wir zum Beispiel nach Amerika schauen, dann sehen wir Universitäten, in denen 25 Prozent der Studenten zu Dopingmitteln greifen." In Deutschland nähmen fünf Prozent der Studenten regelmäßig diese Mittel. "Das ist schon ein Alarmzeichen, wenn junge Menschen sich so unter Druck gesetzt fühlen", sagt Steinruck.

"Zu viel Stress und eine zu hohe Arbeitsbelastung können psychische Krisen auslösen und damit Suchterkrankungen verursachen", erklärt der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) auf Anfrage der DW. Das betreffe vor allem Konflikte mit Vorgesetzten und Mobbing. Aber auch zu lange Arbeitszeiten führten zu Depressionen und einer höheren Anfälligkeit für Suchtverhalten. "Das trifft vor allem Beschäftigte, die mit einem hohen Pflichtgefühl ihrer Arbeit nachgehen", erläutert Helmut Schröder vom Institut WIdO. Sie seien oft nervös und griffen häufiger zu Tabletten und Alkohol. "Die Unternehmer müssen ihnen helfen, sich vor sich selbst zu schützen", sagt Schröder.

Unternehmen in der Pflicht

Der Deutsche Gewerkschaftsbund sieht vor allem die Arbeitgeber in der Pflicht: "Gute Arbeitsbedingungen sind aus unserer Sicht die beste Suchtprävention. Der alarmierende Anstieg von Suchterkrankungen in Deutschland ist ein weiterer Grund dafür, die Anerkennung von Arbeit durch ausreichende Bezahlung, gute Arbeitsorganisation und Arbeitsplatzsicherheit zu verbessern", teilte der DGB der DW mit. "Betriebs- und Personalräte versuchen zunehmend die psychischen Belastungen im Betrieb zu erfassen und gegen zu viel Druck und Stress vorzugehen, das Engagement der Arbeitgeber ist dabei aber bisher viel zu gering."

Ein Mann arbeitet außerhalb der normalen Bürozeiten an seinem Schreibtisch. (Foto: dpa)
Überstunden sorgen bei den Beschäftigten für StressBild: picture-alliance/dpa

Einfluss auf die Gesundheit der Beschäftigten könne ein Unternehmen auch durch entsprechende Kursangebote nehmen, meint der Geschäftsführer der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen: "Dabei könnte es um Meditation gehen oder um Entspannung und Sport. Diese Kurse könnten entweder in der Arbeitszeit stattfinden oder vom Arbeitgeber mitfinanziert werden", sagte er dem Rundfunk Berlin-Brandenburg.

Auch ein Thema für die Politik

Für die EU-Abgeordnete Steinruck ist klar, dass die Politik handeln muss, um den Zugang zu leistungsfördernden Medikamenten zu erschweren: "Wir müssen die Mittel eingrenzen, die über den Internethandel frei zugänglich sind." Die Politik müsse aber vor allem auf Prävention setzen. Dazu gehöre eine gesetzliche Kontrolle von Arbeitszeiten und eine Festsetzung von Löhnen, die zum Leben ausreichten. "Leiharbeit, Zwang zur Mobilität und Scheinselbstständigkeit müssten auch gesetzlich eingeschränkt werden. Das würde den Arbeitnehmern den Druck nehmen", sagt Steinruck.