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Hitlers Festung Größenwahn

Rafael Heiling17. August 2003

Was sollte auf dem Gelände angeblich nicht alles entstehen: eine Waffenfabrik - eine Ufo-Forschungsbasis. "Projekt Riese", einst von Adolf Hitler als Mammut-Festung geplant, ist heute Mysterium und Abenteuerspielplatz.

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Reste des "Riesen-Bunkers"Bild: J. Heckenthaler

Der Plan war schon damals verrückt. Im November 1943, als Adolf Hitler das Wasser schon bis zum Hals stand, mussten 15.000 Zwangsarbeiter damit beginnen, Tunnel in den Berg zu sprengen. Bei Wroclaw (früher Breslau) in Polen sollten sie dem Diktator ein neues Führerhauptquartier bauen, über- wie unterirdisch und von enormen Ausmaßen. Fertiggestellt hätte das Projekt "Riese" eine knapp 200 Quadratkilometer große Fläche eingenommen. "Dort sollte die gesamte Reichsführung untergebracht werden, insgesamt 25.000 Leute", berichtet der Historiker Jürgen Heckenthaler, der eine Staatsexamens-Arbeit über "Riese" geschrieben hat. "Es gibt sechs oder sieben voneinander getrennte unterirdische Anlagen". 150 Millionen Reichsmark kostete das wahnwitzige Vorhaben – fertig wurde es nie.

Wenig Wissen, viele Theorien

Heute ist das Gelände verfallen, viele der Gänge sind voll Wasser, obwohl die Europäische Union laut Heckenthaler 80.000 Euro Anschubfinanzierung gezahlt hat. Bisher gibt es keine Dokumentationsstätte, ohnehin "ist die Aktendecke sehr dünn", sagt Heckenthaler. Die Augenzeugen sterben nach und nach, die Erinnerungen landen auf dem Schuttabladeplatz der Zeit.

"Riese" wird vergessen - oder verklärt. Inspiriert durch zugemauerte Tunnel und im Nichts endende Schächte. "Noch drei Jahre nach dem Krieg wollen manche von unten angeblich Gewehrschüsse gehört haben", erklärt der Historiker. Dabei habe in den rohen, nur teilweise mit Beton verschalten Gängen nie jemand gehaust. Andere vermuten in den Tunneln das verschollene Bernsteinzimmer, ein Ufo-Forschungszentrum der Nazis, eine Produktionsstätte der V2-Rakete, eine Waffenfabrik – "alles kompletter Blödsinn."

Riese: Fahrstuhlschacht
Reste eines begonnenen Fahrstuhlschachtes auf dem "Riese"-GeländeBild: J. Heckenthaler

Kriegsspiele, wo Menschen starben

Laut Heckenthaler kommen etwa 50.000 Touristen pro Jahr, um das Gangsystem zu besichtigen. Einige lassen sich in die Tunnel abseilen, andere erforschen die Gänge mit dem Schlauchboot. Es gibt auch Verrückte, die ihr Leben riskieren und auf eigene Faust in den Höhlen nach angeblichen Schätzen suchen. Ein polnischer Pensionsbesitzer habe das Grundstück in Teilen gepachtet, erzählt Heckenthaler. "Der sammelt Relikte aus den Weltkriegen, sogar einen russischen T34-Panzer hat er da - für die Touristen. Aber das Ganze ist noch nicht sehr professionell aufgezogen."

Der Mann hat die Stollen aufgegraben, um das Wasser ablaufen zu lassen. Auch der unbefestigte Waldweg auf dem Gelände dürfte bald zu einer Straße werden. Nicht, damit man zum Museum fahren kann, sondern für Action-Spiele, die in einigen Monaten stattfinden sollen, "nach dem Motto, wir spielen hier so ein bisschen Krieg". Bei diesen Spielen schießen die Abenteurer dann wahrscheinlich mit Farbmunition aufeinander. "Und das, wo hier 5000 Zwangsarbeiter sterben mussten. Sehr, sehr, sehr fragwürdig", findet der Historiker. Ein Forschungskollege habe ein Angebot, den zentralen Bereich der Anlage für ein Dokumentations-Zentrum zu pachten. Heckenthaler ärgert sich: "Das verblasst doch hinterher neben schießwütigen Dummköpfen."