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'Mein Kampf' wird zum Internethit

Anne-Sophie Brändlin12. Januar 2014

Während Deutschland gegen die Verbreitung von Adolf Hitlers Buch "Mein Kampf" vorgeht, erreichen digitale englische Ausgaben von Hitlers Manifest zehntausende Interessierte auf iTunes und Amazon Kindle.

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Blick ins Buch: Adolf Hitlers "Mein Kampf" (Foto: picture-alliance/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Seit fast 70 Jahren ist Deutschlands wohl kontroversestes Buch - Adolf Hitlers "Mein Kampf" - nicht mehr offiziell erhältlich. Doch im Internet ist das eine ganz andere Geschichte: Seit November 2012 kann man dort Hitlers berüchtigtes Werk auf englischer Sprache digital herunterladen. Amazon.com bietet das Ebook für gerade einmal 73 Cents an ($0.99), auf iTunes steht das Werk für 2,20 Euro zur Verfügung ($2,99).

Und die Nachfrage ist groß. In den vergangenen Monaten hat es Hitlers Buch auf die oberen Plätze der Bestsellerlisten von Onlinehändlern geschafft und ist zum Beispiel auf Amazons Kategorie "Propaganda und Politische Psychologie" ganz oben zu finden. Hitlers Buch wurde auf der amerikanischer Website des Onlineshops sogar durchschnittlich mit 3,8 von fünf möglichen Sternen bewertet. Immerhin 354 Kommentare wurden bisher von Lesern hinterlassen - darunter auch solche, die das Buch anpreisen und es als eine "faszinierende Übersetzung" bezeichnen, und andere, die ganz und gar verleugnen, dass die Massenvernichtung von Menschen in den Konzentrationslagern je stattgefunden hat.

Screenshot von amazon.com mit dem Angebot von dem Buch "Mein Kampf" von Hitler (Foto: amazon.com)
Bild: amazon.com

Hitlers Werk in Deutschland verboten

Hitlers Buch erschien zum ersten Mal im Jahr 1925, ein zweiter Teil folgte 1926. In beiden Teilen erläutert der spätere Diktator seine politische Ideologie sowie seine Pläne für Deutschlands Zukunft: eine "Neuordnung". Am Ende des zweiten Weltkriegs war sein Werk mit mehr als 10 Millionen Ausgaben weit verbreitet.

Doch angesichts der Grausamkeiten des Holocausts wird das Buch seit 1945 nicht mehr in Deutschland publiziert. Nach Hitlers Selbstmord am 30. April 1945 ging sein gesamtes Vermögen, inklusive der Rechte zu "Mein Kampf", an den Freistaat Bayern über, da Hitler dort seinen letzten gemeldeten Wohnsitz hatte.

In Absprache mit der deutschen Bundesregierung weigert sich die bayerische Staatsregierung bisher, die Verbreitung oder Publizierung des Buches in Deutschland zu erlauben. Sämtliche Versuche "Mein Kampf" auf den deutschen Markt zu bringen - sei es in annotierter Form oder im Original - wurden bisher vom bayerischen Staat gerichtlich verfolgt.

Doch was mit englischen Ausgaben des Buches geschieht, darauf hat der Freistaat Bayern keinen Einfluss - denn die Rechte an der englischen Fassung des Buches wurden schon vor 1945 an Großbritannien und die USA verkauft.

Sechs Porträtvarianten Adolf Hitlers, die der amerikanische Maskenbildner Eddie Senz für den US-Geheimdienst angefertigt hatte, um im Falle einer Flucht Vorlagen für Steckbriefe zu haben (Foto: ullstein bild - Reuters)
Laut Weinberg ist Hitlers Buch "grässlich und auch nicht gerade die faszinierendste Lektüre"Bild: ullstein bild/Reuters

Heimlich lesen, wenig schämen

Eine englische Ausgabe von "Mein Kampf" erstehen zu können, ist daher nichts Neues. Doch Dank des wachsenden Erfolg von Onlineshops und Online-Buchhändlern ist Hitlers Werk mittlerweile auch in digitaler Form im Grunde weltweit erhältlich und kann bequem via iTunes oder Amazon Kindle heruntergeladen werden. Es findet sich sogar eine kostenfreie englische Version; mehr als 17 Webseiten bieten übersetzte Auszüge oder das Gesamtwerk an.

Doch woher kommt das plötzliche Interesse an Hitlers Buch? Diese Frage stellte sich der Journalist Chris Faraone und startete erst kürzlich eine Debatte in einem Beitrag auf der Website Vocative.com, in dem er nahelegt, dass die plötzliche Nachfrage schlichtweg darauf basiert, dass das Buch mittlerweile digital erhältlich ist.

"Viele Leute haben sich eventuell davor geziert, sich das Buch nach Hause liefern zu lassen, es im Bücherregal stehen zu haben, oder gar dabei gesehen zu werden, wie sie das Buch in der U-Bahn lesen. Doch den Hunderten von Kunden-Kommentaren auf diversen Webseiten nach zu urteilen, mögen es die Leser, dass digitale Ausgaben des Buches im Stillen durchgelesen werden können, um danach in einem Ordner zu verschwinden oder gar gelöscht zu werden", schreibt Faraone in seinem Beitrag.

Aus der Vergangenheit in die Gegenwart

Gerhard Weinberg ist emeritierter Professor für Geschichte an der Universität North Carolina und brachte 1961 Hitlers zweites Buch heraus. Der mittlerweile 86-Jährige, der 1938 aus Nazi-Deutschland floh, denkt, dass eine Reihe von Faktoren für den plötzlichen Erfolg von Hitlers Buch im Internet verantwortlich sind.

"Zunächst einmal liegt das einfach an Neugierde. Für Zeitgenossen ist Hitler eine Figur aus der Vergangenheit, über die sie sehr viel gehört haben. Und jetzt ist es ihnen plötzlich möglich von ihrem Computer aus für wenig oder sogar überhaupt kein Geld sein wichtigstes und größtes Werk zu lesen", erklärt Weinberg in einem Interview mit der Deutschen Welle.

An eine Hauswand ist "Heil Hitler" geschmiert (Foto: AFP PHOTO PHILIPPE MERLE/Getty Images)
Weinberg: "Ein Anstieg an Antisemitismus ist in vielen europäischen Ländern und zu einem gewissen Grad auch in den USA deutlich spürbar"Bild: Philippe Merle/AFP/Getty Images

"Ein zweiter Faktor könnte meiner Meinung nach sein, dass manche Menschen eventuell denken, dass Hitler bei vielen Dingen Recht hatte. Und das ist nun ein Weg herauszufinden, was genau er gedacht hat - ohne sich dabei vor anderen zu blamieren, die die eigene positive Sichtweise auf Hitler nicht teilen", so Weinberg.

Könnte Deutschland dem Wahn erneut verfallen?

Das Buch im Internet zu verbieten, ist laut Weinberg jedoch keine Antwort auf das Problem. "Selbst wenn man besorgt ist, dass die Nazi-Ideologie wieder auflebt und Menschen diese annehmen und ihr folgen, so bin ich nicht sicher, dass dem besonders Einhalt geboten wird, indem das Buch im Internet verboten oder nur sehr teuer angeboten wird", so Weinberg.

Das Buch "Mein Kampf" (Foto: picture-alliance/Karl Schöndor)
Über 10 Millionen Ausgaben von "Mein Kampf" wurden bis Ende des Zweiten Weltkriegs verkauft, was Hitler zu viel Geld verhalfBild: picture-alliance/Karl Schöndor

"Wenn jemand wirklich eine Ausgabe möchte, dann ist diese auch irgendwie erhältlich. Und etwas, das angeblich verboten ist, hat auch immer einen gewissen abenteuerlichen Reiz - obwohl das Buch tatsächlich ja sowieso in Büchereien auf der ganzen Welt erhältlich ist", erläutert Weinberg.

Während Weinberg keine ausreichenden Gründe sieht das Buch im Ausland zu verbieten, so macht er bei Deutschland doch eine Ausnahme. "Ich sag mal so: Wenn jemand irgendwann einmal Tuberkulose hatte, dann ist es sehr wichtig die Gesundheit regelmäßig zu überprüfen, um sicherzugehen, dass die Krankheit nicht wieder auftritt. Und da in Deutschland eine sehr große Anzahl an Menschen schon einmal an einer Art politischer Tuberkulose erkrankt ist, so muss man dort vielleicht vorsichtiger sein als in anderen Ländern", so Weinberg.

Deutschland jedenfalls lockert auch im elektronischen Zeitalter die Restriktionsmaßnahmen des Buches nicht. Auf der deutschen Webseite von Amazon ist "Mein Kampf" beispielsweise nicht erhältlich. Das Buch auf der amerikanischen oder britischen Webseite des Onlineshops zu bestellen ist nicht möglich, wenn man eine deutsche Adresse angibt. Und auf einen Kindle eReader, der in Deutschand regisriert ist, kann man Hitlers Buch ebenfalls nicht herunterladen.

"Mein Kampf" als historische Quelle

Dr. Richard Wetzell, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Deutschen Historischen Instituts in Washington, findet dieses Limitierung des Internetzugangs zu dem Werk nicht sinnvoll. Stattdessen sollte man lieber eine Version des Buches veröffentlichen, die mit Kommentaren von Historikern versehen ist, so Wetzell.

"Das Buch ist eine historische Quelle, also sollte es auch der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Aber natürlich gibt es da die Sorge, dass viele Leute es aus den falschen Beweggründen lesen". Daher, fährt Wetzell fort, sei es sinnvoll, das Buch in Kontext zu stellen und eine historisch und kritisch kommentierte Fassung zu veröffentlichen.

Und das könnte sogar relativ bald geschehen, denn das Urheberrecht, das bisher noch beim bayrischen Staat liegt, verfällt offiziell Ende nächsten Jahres - 70 Jahre nach Hitlers Tod. Eine Neuveröffentlichung einer kommentierten Fassung des Buches für Bildungszwecke wäre dann wieder möglich und wurde bereits vorgeschlagen, zum Beispiel vom Institut für Zeitgeschichte in München (IfZ).

"Wenn die Deutschen klug wären", findet Richard Wetzell, "dann würden sie auch eine digitale Ausgabe zur Verfügung stellen."