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Hochburg der Kriminalität

Sandra Wolter3. November 2005

Wer Washington besucht, um die Hauptstadt der Vereinigten Staaten zu sehen, bekommt eine gratis Zugabe: eine der Hauptstädte des Verbrechens.

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Ein kleines Bed and Breakfast in Maryland, eine halbe Stunde von Washington entfernt. Am ersten Abend bringen die Besitzer jedem Gast einen Stadtplan auf das Zimmer. Darauf sind alle möglichen Touristenattraktionen grün eingekreist. Das Washington Monument, das Naturhistorische Museum, das Weiße Haus natürlich.

An einigen Stellen finden sich aber auch rote Kreuze. “Da wollen Sie auf keinen Fall hin!”, erklärt der Besitzer dem verdutzten Gast. Möglichst immer im Nordwesten der Stadt aufhalten, nach Einbruch der Dunkelheit nur noch nach Norden bewegen, weg von Downtown, weg vom Südwesten der Stadt, rät er.

Gewalt und die Stadt

Washington, die Hauptstadt, ist nach wie vor auch eine Hauptstadt des Verbrechens in den USA. Der Regierungssitz belegt einen der traurigen, oberen Plätze auf der Liste mit den höchsten Verbrechensraten. Doch Besucher müssen sich nicht erst in die als gefährlich geltenden Gegenden verirren, um das zu merken.

In einem Park, genau gegenüber dem Weißen Haus, wurden in dieser Woche vier Touristen von einem Messerstecher angegriffen, am Wochenende mehrere Jugendliche bei einer Schießerei verletzt. Ein Musiker wurde kürzlich mitten auf einer der Hauptverkehrsstraßen in seinem Auto angeschossen.

Im letzten Jahr wurden in Washington 167 Morde verübt. Das sind nur zehn mehr als in Berlin im gleichen Zeitraum. Jedoch verteilen sie sich in der deutschen Hauptstadt auf 3,39 Millionen Einwohner. In Washington sind es rund eine halbe Million. Die Mordrate: beinahe um das siebenfache höher.

Warum ausgerechnet hier, fragt man sich. Wo Politik gemacht wird, die Einfluss hat auf die USA und den Rest der Welt. In der Stadt mit der größten Politiker- und Anwaltsdichte der Vereinigten Staaten. Wo zu 98 Prozent Neuwagen auf den Straßen zu sehen sind. Allerdings nur auf bestimmten Strassen. Ältere Modelle in besseren Gegenden gelten als verdächtig. In Washington verfährt man sich besser nicht.

Gewalt und die Politik

Vielleicht ist das jedoch der Grund. Vielleicht haben die Verantwortlichen irgendwann den falschen Weg eingeschlagen. Vielleicht ist der Graben zwischen reich und arm jetzt so tief, dass er mit politischen Mitteln nicht mehr zu überbrücken ist. So versagt die Politik ausgerechnet vor der eigenen Haustür.

Als George Bush Senior Anfang der 90er Jahre Präsident war, hielt er während einer Rede einen Beutel mit Kokain hoch, den verdeckte Ermittler kurz zuvor in einem Park in der Nähe des Weißen Hauses gekauft hatten. Damals erklärte er den Drogen den Krieg. 16 Jahre später sieht sich George Bush Junior mit immer weiter steigenden Kriminalitätsraten konfrontiert. Er kämpft in diesen Tagen jedoch an anderen Fronten. Ist dabei, Probleme innerhalb des Weißen Hauses zu lösen. Was auf den Strassen davor geschieht, steht nicht auf Platz Eins der Agenda.

Die Polizei ist derweil überfordert. Die Zahl der Gesetzeshüter wächst nicht gerade proportional zu ihren Aufgaben. Seit 9/11 sind sie damit beschäftigt, die nationale Sicherheit zu gewährleisten. Darauf zu achten, das nirgendwo verdächtige Taschen abgestellt werden. Dafür zu sorgen, dass die Bürger in der Hauptstadt sicher sind. Sicher zumindest vor Terroristen.

Gewalt und die Menschen

Der Tourist hält sich an den Rat des Hotel Besitzers, meidet die “gefährlichen” Gegenden mit dem roten Kreuz, genießt die schönen Seiten der Stadt. Die Washingtoner Bürger leben derweil mit Steckbriefen neben Fahrstuhltüren in den Gebäuden in denen sie arbeiten. “Kennen Sie diesen Mann?” steht da zum Beispiel über einem verschwommenen Foto aus einer Überwachungskamera. Er soll im Gebäude etliche Laptops gestohlen haben. Mitten am Tag. Das Gebäude hat eine Wachmannschaft und es steht in einem “besseren” Teil der Stadt. Es ist schwer, in Washington eine klare Grenze zu ziehen, zwischen sicher und gefährlich.