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Promotionsqualität umstritten

4. März 2011

Die vielen Plagiate in der Doktorarbeit des inzwischen zurückgetretenen Verteidigungsministers zu Guttenberg haben eine heftige Diskussion um die Qualität von Promotionen ausgelöst.

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Eine Wissenschaftlerin schaut durch ein Mikroskop (Foto: Fotolia)
Für viele ein Lebenswerk - die DoktorarbeitBild: Fotolia/Laurence Gough

Rund 24.000 Doktorarbeiten werden jedes Jahr in Deutschland verfasst. Zehn Prozent dieser wissenschaftlichen Aufsätze halten Professoren urheberrechtlich für mindestens fragwürdig. Barbara Messing promovierte vor 15 Jahren im Fach Informatik und entwickelte aus ihren Erfahrungen einen im Buchhandel erhältlichen Ratgeber für ehrliche Doktorarbeiten. Das wichtigste sei bei einer Dissertation, den Aufwand richtig einzuschätzen und nicht zu vergessen, dass nur die Eigenleistung zählt. "Leider aber nimmt das Copy-and-Paste-Verfahren zu", räumt Messing ein. "Für das Kopieren aus den Angeboten des Internets gibt es viel zu wenig Unrechtsbewusstsein", berichtet die Autorin. Die umstrittene Arbeitsweise beginne meist schon bei vielen Magisterarbeiten und fließe schließlich auch in Doktorarbeiten ein. Dass dies zu einem flächendeckenden unredlichen Verhalten unter Wissenschaftler führe, glaubt Autorin Messing jedoch nicht.

Die für Bildung und Forschung zuständige Bundesministerin, Annette Schavan, sieht im Fall der Plagiatsarbeit des zurückgetretenen Bundesverteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenbergs ein gutes Beispiel der Selbstreinigungskräfte der deutschen Wissenschaft. "Der Titel wurde aberkannt, die Fehler beim Zustandekommen der Arbeit und bei der Bewertung sind erkannt worden und die Konsequenzen sind gezogen", erklärte die Ministerin in einem Rundfunk-Interview. Die Bildungsrepublik Deutschland sieht Schavan deshalb nicht in Gefahr, obwohl sie ebenfalls in einem Interview zugab: "Ich schäme mich nicht nur heimlich."

Viele fühlen sich überfordert

Voller Hörsaal an der Karlsruher Universität (Foto: dpa)
Hörsaal an der Karlsruher UniversitätBild: picture alliance/dpa

Der deutsche Hochschulverband, die Vertretung deutscher Professoren, verteidigt die Qualität der Kontrollen an deutschen Universitäten. In allen Fachbereichen würden sehr hohe Maßstäbe an Dissertationen gelegt. Dr. Andreas Archut, Sprecher der Universität Bonn, wehrt sich vor allem gegen die Vermutung von Plagiatsjägern, bei einem Drittel aller Doktorarbeiten sei gepfuscht worden. "Ich glaube nicht, dass man das derart verallgemeinern kann. Ich bin auch ganz zuversichtlich, dass der Doktortitel als solches nicht marginalisiert worden ist." Archut verweist darauf, dass in den meisten Fällen der Vergangenheit Verstöße gegen die Promotionsordnung entdeckt worden seien.

Merkwürdig ist allerdings, dass in vielen Fächern fast 70 Prozent der Doktorarbeiten mit Bestnoten und höchstem Lob ausgezeichnet werden. Betroffen sind vor allem die Bereiche Pharmazie, Chemie, Informatik und Biologie. Der Wissenschaftsrat befürchtet schon eine Noteninflation, die kein echtes Urteil mehr über die wahren Fähigkeiten erlaubt. Hört man sich an deutschen Hochschulen um, bekommt man von Studenten wie Professoren immer wieder erzählt, dass viele Doktoranden und ihre Betreuer mit den Doktorarbeiten überfordert seien. Professoren wollten sich mit der Vergabe von Bestnoten Klagen vom Leib halten und ihre eigene gute Beurteilung durch die Studenten sichern. "Tatsächlich ist die Betreuung von Doktoranden nicht formalisiert; es gibt dazu keine klaren Regeln", weiß Promotionsratgeberin Messing. Deshalb werden inzwischen immer mehr Verträge zwischen den Betreuern von Doktorarbeiten und den Doktoranden über Rechte und Pflichten geschlossen.

Künftig schärfere Promotionskontrollen

Juniorprofessor Eyke Hüllermeier hinter Computern (Foto: dpa)
Juniorprofessor Eyke Hüllermeier kennt die Probleme von DoktorandenBild: picture-alliance / dpa/dpaweb

Normalerweise sucht sich ein Promotionswilliger in Deutschland einen so genannten Doktorvater bzw. eine Doktormutter, also einen Lehrstuhlinhaber, der die geplante wissenschaftliche Untersuchung betreut und beurteilt. Dieses Verfahren sei aber schlicht veraltet, lassen die Studentenvertretungen erklären. "Es gibt bei diesem Verfahren zu viele Glückskomponenten", lautet der Vorwurf von Johannes Staemmler, der gerade selbst an einer Doktorarbeit schreibt. Staemmler hat auch bei der "Doktoranden-Initiative" einen Protestbrief unterschrieben, der an Bundeskanzlerin Angela Merkel geschickt wurde. Rund 60.000 Unterzeichner fordern eine scharfe Verurteilung von Betrug bei Doktorarbeiten. Eine Verharmlosung wie im Fall der Doktorarbeit von zu Guttenberg, dem ehemaligen Bundesverteidigungsminister, könne nicht hingenommen werden. Eine Äußerung der Kanzlerin zu dem offenen Brief steht noch aus.

An vielen deutschen Universitäten wird derweil die Promotionsordnung, also das Regelwerk für Doktorarbeiten, strenger gefasst. Anonyme, fachfremde Prüfer nehmen sich die Doktorarbeiten vor, um Plagiate und Fehler auszumachen. Zusätzlich kommt Spezialsoftware zum Einsatz, mit der die Arbeiten auf Plagiate überprüft werden. Archut von der Universität Bonn bestätigt, dass heute alle Fakultäten in ihren Promotionsordnungen die Mithilfe von Promotionsberatern verbieten würden.

So genannte Promotionsberater bieten völlig ungeniert im Internet und in Zeitungen ihre Leistungen an. In der Vergangenheit wurden sogar gefügige Doktorväter für viel Geld vermittelt. Diese winkten dann bestimmte Doktorarbeiten einfach durch. Über 100 solcher Fälle flogen bei einer Großrazzia vor zwei Jahren in Deutschland auf. Diese Fahndungen laufen weiter.

Hilflosigkeit beenden

Etliche der deutschen Universitäten begegnen der Überforderung vieler Promotionswilliger mit einer so genannten strukturierten Doktorandenausbildung. "Das ist ein eher verschulter Rahmen", erklärt Archut. Es gebe zum Beispiel Gastvorträge von externen Wissenschaftlern und Methodenseminare, die dem einzelnen Doktoranten helfen würden, in seinem Projekt besser voranzukommen.

Am Ende steht natürlich trotzdem die eigene Doktorarbeit. Diese ist aber durch den Rahmen der Graduiertenschule in einen besseren Qualitätsstandard gepackt. "Die Doktoranden, die die Graduiertenschule durchlaufen haben, sind besser ausgebildet und sie genügen einem festgelegten Qualitätsstandard", berichtet Archut nicht ohne Stolz. Gleichzeitig muss er zugeben, dass der Doktortitel außerhalb der Welt der Wissenschaft seine Bedeutung verliert.

Tatsächlich setzen in Deutschland Personalchefs von Unternehmen immer mehr auf eigene ausgeklügelte Auswahltests sowie Fremdsprachenkenntnisse und Auslandserfahrungen der Bewerber. Der Doktortitel spielt eine untergeordnete Rolle. Schon lange garantiert er nicht mehr automatisch Wohlstand, einen besseren Job oder eine steile Karriere.

Autor: Wolfgang Dick
Redaktion: Klaudia Prevezanos