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Keine Gerechtigkeit

18. Februar 2010

Die meisten Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte stammen aus Russland. Noch immer ignoriert das Land die Umsetzung der meisten Urteile, wie der Fall der ehemaligen Richterin Olga Kudeschkina zeigt.

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Portrait von Olga Kudeschkina, die wieder als Richterin arbeiten möchte (Foto: DW)
Olga Kudeschkina will wieder als Richterin arbeitenBild: O.Kudeshkina

Russland ist in den zwölf Jahren, seit es die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte unterzeichnet hat, zum Hauptlieferanten von Fällen für den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg geworden. Die Richter haben eine Menge zu tun: Etwa 100.000 russische Kläger warten auf die Prüfung ihrer Fälle. Lediglich rund 800 hat der Gerichtshof bislang bearbeitet.

Gebäude des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg (Foto: DW)
Zehntausende Russen hoffen auf den Europäischen Gerichtshof für MenschenrechteBild: DW/ Daphne Grathwohl

Einer davon ist der Fall der ehemaligen Richterin am Moskauer Stadtgericht, Olga Kudeschkina. 2003 hatte sie in der Presse Kritik an der russischen Justiz geübt und angeprangert, dass viele Richter Urteile, vor allem in brisanten Fällen, unter dem Druck der Staatsmacht fällten. Kurz darauf wurde sie entlassen, wegen Verstoßes gegen das russische Richter-Gesetz. Dieses schreibt den den Richtern vor, "alles zu vermeiden, was die Autorität der Justiz mindern würde". Ein Richterkollegium in Moskau befand, Kudeschkina habe "das Recht auf Schutz durch Gerichte in Russland in Zweifel gezogen".

Kudeschkina, die seit fast zwei Jahrzehnten als Richterin arbeitet, kritisiert bis heute das Vorgehen gegen sie: "Hier wurden meine Rechte als Mensch und Bürger, aber auch als Richterin verletzt, denn Richter haben wie alle Bürger der Russischen Föderation das Recht auf freie Meinungsäußerung."

Kampf für unabhängige Justiz

In ihrem Kampf zog sie bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und bekam im Februar 2009 Recht. Kudeschkinas Entlassung stelle einen Verstoß gegen Artikel 10 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte dar und sei somit gesetzwidrig, befand das Gericht. Darüber hinaus wurde Russland verpflichtet, Kudeschkina eine Entschädigung in Höhe von 10.000 Euro zu zahlen. Das Oberste Gericht Russlands wollte das Urteil anfechten, aber der Antrag wurde in Straßburg abgelehnt.

Darüber ist Kudeschkina glücklich. Ohne die Unterstützung ihrer Familie hätte sie den Kampf bisher nicht ausgehalten: "Ich wurde stark unter Druck gesetzt. Man versuchte sogar, ein Strafverfahren gegen mich einzuleiten. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs stärkt mich moralisch und gibt mir die Hoffnung, dass ich weder Energie, Zeit noch Gesundheit vergeblich investiert habe. Der Kampf für eine unabhängige Justiz in Russland ist wichtig und wird respektiert."

Kritik an russischen Behörden

Im September 2009 erhielt Kudeschkina die ihr zustehende Entschädigung. Da im Urteil des Straßburger Gerichtshofs nicht festgelegt ist, innerhalb welcher Fristen es umgesetzt werden muss, zögert das Oberste Gericht Russlands die volle Umsetzung des Urteils einfach hinaus. Noch immer ist Kudeschkina nicht in den Richterstand wieder aufgenommen und kann nicht als Richterin arbeiten.

Portrait der russischen Menschenrechtsanwältin Karina Moskalenko (Foto: AP)
Anwältin Karina Moskalenko hilft bei Klagen in StraßburgBild: Imago

Damit will sie sich nicht abfinden. Unterstützt wird sie von der Anwältin Karina Moskalenko, der Leiterin der Bürgerrechtsorganisation "Zentrum zur Hilfe bei internationaler Verteidigung", das russische Bürger bei Klagen vor dem Menschenrechts-Gerichtshof unterstützt. Moskalenko meint, indem Russland Entschädigungen zahle, aber sich weigere, die Lage in der russischen Justiz grundlegend zu verbessern, erkaufe sich Russland das Recht, auch künftig Menschenrechte zu verletzen. Anfang März soll eine Anhörung stattfinden. Dort soll beraten werden, ob Kudeschkina wieder in den Richterstand aufgenommen wird. Weder die ehemalige Richterin noch ihre Anwältin gehen davon aus, dass die Entscheidung zu Kudeschkinas Gunsten ausfällt.

Autor: Jegor Winogradow / Markian Ostaptschuk
Redaktion: Nicole Scherschun