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Hoffnung auf den inneren Zerfall des Assad-Regimes

14. Februar 2012

Die Arabische Liga fordert den Einsatz von UN-Blauhelmen in Syrien. Doch das Assad-Regime will keine Einmischung. Einige Möglichkeiten der Einflussnahme erklärt Politikwissenschaftler Heiko Wimmen im Interview.

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Bild: SWP

Deutsche Welle: Syriens Präsident Baschar al-Assad sagt, er wird keine Blauhelme ins Land lassen. Aber wollen die Blauhelme, will die internationale Gemeinschaft überhaupt in Syrien intervenieren? Schließlich besteht die Gefahr, in einen unübersichtlichen Konflikt hineingezogen zu werden.

Heiko Wimmen: Wenn die Arabische Liga sagt, sie wolle eine Neuauflage der Beobachtermission, aber jetzt bitte mit internationaler Beteiligung, dann würde sich die internationale Gemeinschaft dem sicher nicht verschließen, wenn die Syrer das akzeptieren würden. Dem könnte man sich ja gar nicht entziehen.

Was gäbe es neben einer erneuten Beobachtermission noch für Optionen in Syrien?

Man könnte so genannte "Safe Havens" einrichten, also Schutzzonen. Das sollte man sich allerdings sehr gut überlegen. Wir haben in der Vergangenheit gesehen, dass diese Schutzzonen auch schon zu Todesfallen geworden sind: Ich erinnere an Srebrenica. Wenn man aber nicht bereit ist, seine militärische Macht einzusetzen, lädt man möglicherweise einiges an Schuld auf sich.

Wie sieht es mit einem militärischen Einschreiten der internationalen Gemeinschaft zum jetzigen Zeitpunkt aus?

Ich erwarte das nicht. In Amerika finden im Herbst Wahlen statt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich Barack Obama auf so ein Abenteuer einlässt. Die Situation ist ganz anders als in Libyen: Man müsste sich militärisch deutlich stärker engagieren. Es gibt keine befreiten Gebiete oder Armeeeinheiten, die komplett mit allen Kontroll- und Kommandostrukturen übergelaufen wären, denen man wie in Libyen - salopp formuliert - "nur Feuerschutz" geben müsste.

Man müsste also amerikanische Truppen zur Verfügung stellen. Oder man müsste die Türken zu einem Einschreiten ermutigen. Ich glaube aber nicht, dass die Türken die Kastanien für andere aus dem Feuer holen wollen, die sich selbst nicht trauen. Zum jetzigen Zeitpunkt wäre ein militärisches Einschreiten aus meiner Sicht also abwegig.

Syrische Panzer in Bab Amro bei Homs am 12. Februar 2012. (Foto: Reuters)
Die oppositionellen Truppen sind nicht in der Lage, der syrischen Armee in offener Feldschlacht zu begegnen.Bild: Reuters

Wie sieht man die Lage Syriens in Israel?

Die Israelis haben bis jetzt sich sehr zurückhaltend über das geäußert, was in Syrien passiert. In Israel befürchtet man, dass Muslimbrüder an die Macht kommen würden. Den Israelis ist dieser Aufstand also eher unheimlich.

Die Leute in der amerikanischen "Foreign Policy Community", denen es wichtig ist, die Interessen Israels zu berücksichtigen, drängen bisher auch nicht auf eine Intervention. Und wenn die das nicht tun, dann wird Obama auch schwer in der Lage sein, etwas in Bewegung zu setzen. Da spielen natürlich auch wahltaktische Überlegungen eine Rolle, nicht nur die humanitären. Und die wahltaktischen Überlegungen sind entscheidend. Obama wird ja immer wieder dafür angegriffen, die Interessen Israels angeblich nicht ausreichend zu berücksichtigen. Und für die Israelis steht eindeutig das Problem Iran an erster Stelle, und nicht Syrien.

Gibt es denn noch Einflussmöglichkeiten auf Russland und China?

Die gibt es sicherlich. Ich glaube nicht, dass den Russen so wohl bei der Sache ist, der Buhmann zu sein. Die Russen werden aus meiner Sicht im Übrigen über Gebühr kritisiert. Denn selbst wenn sich Russen enthalten würden, wäre das Problem noch lange nicht gelöst. Aber mit dem russischen und chinesischen Veto kann man den beiden Ländern recht bequem den Schwarzen Peter zuschieben. Da kann man sagen: Na ja, wir würden ja gerne, aber die Russen und die Chinesen lassen uns leider nicht.

Was kann man dann tun?

Man kann sicher die Russen versuchen zu beeinflussen. Teile der syrischen Opposition versuchen das auch. Dabei sollten sie den Russen vermitteln, dass sie deren strategische Interessen in der Region anerkennen, ebenso wie die Sorge darum, wer denn nach einem Regimewechsel die Macht übernimmt. Die Rebellen teilen diese Sorge mit den Russen ja vielleicht sogar. Trotzdem müssen sie den Russen klar machen, dass Assad gehen muss.

Vielleicht ist das ja sogar im Interesse der Russen. Denn wenn in Syrien irgendwann vielleicht eine gewählte Regierung an der Macht ist und sich alle nur noch daran erinnern, dass die Russen bis zum bitteren Ende an dem alten Diktator festgehalten haben, ist es mit dem strategischen Einfluss der Russen nicht mehr gut bestellt. Ich denke, dass sich der Kreml darüber auch seine Gedanken macht. Wenn man in Moskau den Eindruck gewinnt, dass Assads Strategie nicht aufgeht, wird man sich die Sache möglicherweise doch noch einmal anders überlegen.

Bashar al-Assad und der russische Außenminister Lawrow am 7. Februar in Damaskus. (Foto: AP)
Strategischer Einfluss: Außenminister Lawrow mit Assad in DamaskusBild: AP

Was für Möglichkeiten hat die internationale Gemeinschaft denn noch? Das Aufrüsten der Opposition und der Rebellen ist ja auch kein Königsweg - es könnte zu einem Bürgerkrieg und einem noch längeren Blutvergießen führen…

Die Opposition und die Freie Syrische Armee wollen Waffen, sie schreien nach Waffen. Das ist sicherlich auch verständlich. Aber das heißt nicht unbedingt, dass es klug wäre, ihnen welche zu geben. Man muss sich gut überlegen, was man damit strategisch erreichen kann. Die Freie Syrische Armee (FSA) kann der syrischen Armee zwar das Leben schwer machen, aber sie ist nicht in der Lage, der syrischen Armee in offener Feldschlacht zu begegnen. Die FSA ist ein Störfaktor für das Regime, und deren Angriffe zehren an der Moral der Armee, mehr aber auch nicht. Und durch weitere Waffenlieferung würde man an diesem Umstand auch nichts ändern.

Wie kann man das Blutvergießen denn überhaupt verhindern - oder zumindest verkürzen?

Ich denke, es gibt nur einen vernünftigen, beziehungsweise einen wünschenswerten Ausweg. Man muss davon ausgehen, dass Baschar al-Assad bereit ist, das bis zum bitteren Ende durchzuziehen und noch weitere 7000 Menschenleben zu opfern. Da könnte es sinnvoll sein, innerhalb der syrischen Funktionärsschicht die Tendenz zu stärken, die Seiten zu wechseln. Vor rund vier Wochen hat ein hoher syrischer Funktionär eine Dienstreise nach Ägypten genutzt, um sich abzusetzen. Dabei sagte er, dass rund 80 Prozent seiner Kollegen über genau diesen Schritt nachdächten, sich aber nicht trauten.

Es ist ja bekannt, dass das Regime die Menschen mit Sippenhaft unter Druck setzt. Jeder, der die Seiten wechselt, muss nicht nur um sich, sondern um die ganze Familie Angst haben. Aber wenn das stimmt, dann könnte man Desertionen in den politischen und administrativen Strukturen erwirken. Wenn das einmal in Gang ist, kann das sehr schnell zu einem Selbstläufer werden. Wenn genug Leute davon überzeugt sind: Jetzt fällt das Regime in sich zusammen, dann ist das eine selbsterfüllende Prophezeiung.

Syrien Demonstration Freie Syrische Armee Soldaten in Khalidieh bei Homs Flagge
Syrische Soldaten desertieren aus Assads Armee, aber noch hält das RegimeBild: dapd

Wie könnte man einen solchen Vorgang begünstigen?

Man könnte zum Beispiel der Opposition in Aussicht stellen, dass es in einem solchen Fall keine "De-Baathifizierung" geben würde wie im Irak, wo ab einer relativ niedrigen administrativen Ebene die Köpfe des alten Regimes gerollt sind. Die Opposition müsste also eine ganz klare Erklärung abgeben, dass es keine Kollektivbestrafungen geben wird, sondern dass nur individuelle Verfehlungen untersucht werden: Nur wer Blut an den Händen hat, wird belangt. Es ist ein diffiziler Prozess, aber es ist eine Möglichkeit.

Interview: Lewis Gropp
Redaktion: Daphne Grathwohl

Heiko Wimmen ist Politikwissenschaftler und als Nahost-Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin tätig. Derzeit arbeitet er als Koordinator des Projektes "Elitenwandel und neue soziale Mobilisierung in der arabischen Welt". Zuvor war er Stellvertretender Direktor im Regionalbüro Mittlerer Osten der Heinrich Böll Stiftung in Beirut.