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Konflikt in Kolumbien betrifft ganze Region

Fernand Caulyt / Julia Maas18. Oktober 2012

Ein Friedensabkommen zwischen den Farc-Guerillas und der Regierung würde Kolumbien von einem 50 Jahre dauernden Konflikt befreien. Ein Erfolg der Verhandlungen liegt im Interesse der ganzen Region.

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Tauben fligen auf, im Hintergrund die kolumbianische Flagge (Foto: AFP)
Kolumbien Flagge und TaubenBild: LUIS ACOSTA/AFP/Getty Images

Zwei Tage später als geplant, beginnen am Donnerstag (17.10.2012) die Friedensverhandlungen zwischen der kolumbianischen Regierung und den Revolutionären Streitkräften Kolumbiens (Farc) in Oslo. Beobachter sind sich einig, dass sich ein Friedensschluss auf die gesamte Region auswirken würde. Das Verhältnis Kolumbiens zu seinen Nachbarländern leidet unter anderem darunter, dass Farc-Mitglieder auf der Flucht vor Regierungstruppen mehrfach in benachbarte Territorien eingedrungen sind.

Zudem sorgt die kolumbianische Regierung mit ihrem hohen Militärbudget zur Bekämpfung der Farc für Unmut in anderen Ländern Südamerikas, die ebenfalls ihre Rüstungsausgaben hochgefahren haben - unter anderem um ihre Grenzen zu sichern. "Insofern würde ein Friedensabkommen Lateinamerika nicht nur in politischer, sondern auch in wirtschaftlicher Hinsicht stärken", meint Hubert Gehring, Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Kolumbien. "Die Regierungen könnten dann viel Geld in andere Projekte investieren."

Finanzieller Spielraum

Argemiro Procópio, Professor für internationale Beziehungen an der Universidade de Brasília (UnB), stimmt dem zu: "Die Länder werden Investitionen, die für das Militär eingeplant waren, für Entwicklungsprojekte und das Gesundheitssystem verwenden können. Umwelt- und soziale Fragen können bevorzugt behandelt werden.“

León Valencia, Vorsitzender der kolumbianischen Nichtregierungsorganisation Corporación Nuevo Arco Iris, meint dazu: "Das Paradoxe ist: Im Prinzip ist der Konflikt mit der Farc ein marginales Problem, das auch in Kolumbien nur eine Minderheit direkt betrifft. Dennoch hat er über die vergangenen 20 Jahren die nationale und die internationale Politik in eindrucksvoller Weise beeinflusst." Das von den Farc besetzte Gebiet umfasst etwa die Fläche der Schweiz, das entspricht einem Dreißigstel von ganz Kolumbien.

Ein Farc-Guerilla richtet im Dschungel seinen Granatwerfer auf ein unbekanntes Ziel. (Foto: dpa)
Schwerbewaffnete Guerillas dringen auch in Nachbarländer einBild: picture-alliance/dpa

Gescheiterte Verhandlungsversuche

Drei Versuche, mit der Guerilla zu verhandeln, sind in den vergangenen drei Jahrzehnten gescheitert. Die letzten Gespräche brach die kolumbianische Regierung vor zehn Jahren mit der Begründung ab, die Guerilla habe den Abzug der Regierungstruppen aus dem Farc-Territorium ausgenutzt, um sich zu verstärken. Dieses Mal hat der kolumbianische Präsident einen Waffenstillstand ausgeschlossen, bis ein verbindliches Abkommen ausgehandelt wird.

Die Liste der Diskussionspunkte, die bis Juli 2013 ausgehandelt werden sollen, ist lang. Und die fünf zentralen Punkte, auf die sich beide Parteien im Vorfeld verständigt haben, verdeutlicht ihre Tragweite: die Neuverteilung der Agrarflächen, die Garantie für eine politische Teilhabe der ehemaligen Guerilleros, die Entwaffnung der Farc, die Rechte der Opfer des Konflikts und schließlich der Drogenhandel. "Besonders dieser Punkt ist für die ganze Region von eminenter Bedeutung", betont Gehring.

Drogenhandel und andere Verbrechen

Gegründet bei einem Volksaufstand 1964 als politische Bewegung, stehen die Aktivitäten der Farc heute vor allem in engem Zusammenhang mit Drogenanbau und -handel. Kolumbien ist nach Peru und Bolivien der drittgrößte Produzent von purem Kokain in Südamerika. "Voraussichtlich wird das Land auch ohne die Farc ein großer Drogenexporteur bleiben", vermutet der Brasilianer Procópio, "aber vielleicht würde zumindest die Gewalt abnehmen."

Eine Menschenmenge hält große Fotos von vermissten oder entführten Personen in die Höhe. (Foto: AP/dapd)
Demonstranten halten Bilder von vermissten und entführten Angehörigen hoch. Immer wieder protestieren die Kolumbianer gegen den gewalttätigen Konflikt zwischen Farc und Regierung.Bild: dapd

Auch Gehring glaubt nicht an ein plötzliches Ende der Drogenkriminalität in Kolumbien, da einige Mitglieder der Farc weiterhin in anderen kriminellen Vereinigungen den Drogenhandel weiter betreiben dürften. Allerdings sieht er ohne die Farc bessere Chancen für eine internationale Allianz von Mexiko bis Brasilien, die im Kampf gegen die Drogenmafia erfolgreich sein könnte.

León Valencia, Vorsitzender der kolumbianischen NGO Corporación Nuevo Arco Iris, sieht bei einem Friedensschluss ebenfalls kein Ende, aber eine Reduzierung des Drogenhandel in Sicht. "Was entfallen würde, ist sein Einfluss auf die Politik, in Form der Finanzierung des bewaffneten politischen Widerstandes. Ohne Zweifel aber wird das international organisierte Verbrechen weiterhin sowohl den Anbau als auch die Weiterverarbeitung des Kokains in Kolumbien vorantreiben."

Schwäche der Farc

Die ursprünglich marxistische Ausrichtung der Farc ist im Laufe der Zeit verblasst. So steht die größte und älteste Guerillatruppe Südamerikas heute vor allem für Drogenhandel, Entführungen und andere Gewaltverbrechen. Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch werfen der Farc unter anderem die Rekrutierung von Kindersoldaten und das Auslegen von Antipersonenminen vor. Schätzungen zufolge haben die fast 50 Jahre währenden Konflikte mehr als 200.000 Menschen das Leben gekostet.

Mit Unterstützung der Vereinigten Staaten führte der ehemalige kolumbianische Präsident Álvaro Uribe (2002 bis 2010) einen blutigen Kampf gegen die Rebellen, bei dem beide Seiten gegen Menschenrechte verstoßen haben sollen. Der derzeitige kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos, unter Uribe Verteidigungsminister, behielt die Politik des Kampfes gegen die Guerilla weitgehend bei, zeigt sich jedoch bereit zum Dialog.

Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos hebt die Hand zum Gruß. (Foto: EPA)
Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos will verhandelnBild: picture-alliance/dpa

"Ich glaube, die Farc ist zu dem Entschluss gekommen, dass ihr Modell etwas veraltet ist, vor allem, da sie jetzt einen besonderen Moment in Lateinamerika erleben, an dem eine kolumbianische Regierung zu Gesprächen bereit ist“, meint der Brasilianer Argemiro Procópio. Schätzungen zufolge zählt die Bewegung derzeit nur noch rund die Hälfte ihrer einst 15.000 bis 18.000 Mitglieder.

Gute Chancen auf ein Abkommen

Insofern sei die Ausgangssituation so gut wie nie, meint KAS-Leiter Gehring. Dazu trügen neben der militärischen Schwäche der Farc auch die verbesserten Beziehungen der Regierung zu Venezuela bei. Zudem sei ihr offiziell marxistisches Dogma nicht mehr zeitgemäß.

Andersherum habe auch der kolumbianische Staat eingesehen, dass der Krieg auf militärischem Wege nicht zu gewinnen ist, meint der Kolumbianer León Valencia, "trotz der Schwäche der Guerilleros". Die Verhandlungen werden sich voraussichtlich bis Mitte des kommenden Jahres hinziehen und in der kubanischen Hauptstadt Havanna zum Abschluss kommen.

Indians hold up command staffs at the start of a meeting among various tribes in Piendamo, in Colombia's southern Cauca state, Saturday, Aug. 11, 2012. Colombia's Indians are caught in the middle of a decades-old conflict between leftist rebels and government forces which is threatening their cultural heritage, and are fighting to keep rebels and government forces away from their lands. The Indian communities hope to meet with government officials next week. (Foto:Juan B Diaz/AP/dapd)
Auch indigene Stämme geraten zwischen die FrontenBild: AP