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Osteuropäisches Kino

Silke Bartlick16. Februar 2011

Wie lebt es sich in Osteuropa? Zwanzig Jahre nach dem Ende der Diktaturen? Und was treibt die Menschen dort um? Einblicke geben eine Reihe von Filmen, die in verschiedenen Sektionen der Berlinale laufen.

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Jutro bedzie lepiej | Tomorrow will be better | Morgen wird alles besser, POL/JPN, 2010 Regie: Dorota Kędzierzawska Sektion: Generation Bildbeschreibung: Akhmed Sardalov, Oleg Ryba, Evgeny Ryba © Internationale Filmfestspiele Berlin
Bild: Berlinale 2011

Diese Geschichte soll wirklich passiert sein. Dorata Kedzierzawska weiß nur nicht, ob es zwei oder drei Jungen waren. Die polnische Regisseurin weiß nicht einmal, ob sie Brüder waren. Und ob sie zum ersten oder zum wievielten Mal auch immer geflohen sind. Das einzige, was sie mit Sicherheit weiß, ist, dass diese jungen, abgerissenen, obdachlosen und hungrigen russischen Jungen ihr Leben verändern wollten. Und dass sie es schließlich bis nach Polen geschafft haben, wo dann im Fernsehen darüber abgestimmt wurde, ob sie bleiben können oder nicht. Ungefähr die Hälfte der Zuschauer war dafür, dass diese Jungen abgeschoben werden. Diese Intoleranz in Polen hat Dorata Kedzierzawska dermaßen empört, dass sie beschlossen hat, einen Film darüber zu machen.

Und was für einen Film! "Morgen wird alles besser" heißt er, und erzählt mit unglaublich starken Kinderdarstellern von dem Mut und der Tapferkeit dieser kleinen Helden unserer Gegenwart, die etwas Kostbares mitbringen, nämlich Kraft, Phantasie und Lebenswillen, und die dennoch niemand haben will.

Jutro bedzie lepiej | Tomorrow will be better | Morgen wird alles besser, POL/JPN, 2010 Regie: Dorota Kędzierzawska Sektion: Generation Bildbeschreibung: Oleg Ryba © Internationale Filmfestspiele Berlin
Wird morgen alles besser?Bild: Berlinale 2011

Das polnische Filmdorf, in dem man ihnen kein Asyl gegeben hat, ist arm und mutet mit seinen schiefen Häusern und ausgelaugten Wegen beinahe wie ein Überbleibsel aus anderen Zeiten an. Hier hat die Moderne noch keinen Einzug gehalten. Tatsächlich konzentriert sie sich in Polen eher auf die großen Städte - mit allen Vor- und Nachteilen. Das zeigt beispielsweise Jan Komasa in seinem Film "Suicide Room".

Top, best, einsam

Dominik ist das Produkt eines ehrgeizigen, auf Erfolg fixierten Ehepaares. Er besucht eine Eliteschule und hat noch 100 Tage bis zum Abschluss mit hoffentlich Bestnoten und dann besten Aussichten auf Top-Studiengänge. Er wird gut versorgt, aber Zeit hat nie jemand für ihn, und mit der eigenen sozialen Kompetenz hapert es auch. Dominik stürzt ab, als nach einigen demütigen Erlebnissen mit Mitschülern drastische Online-Kommentare über ihn kursieren. Daraufhin flüchtet er in eine virtuelle Welt, in einen Chatroom für Selbstmörder, in dem ein gefährliches Spiel gespielt wird, dem der verwöhnte Junge schließlich zum Opfer fällt. Erschütternd und beklemmend ist Jan Komasas Film "Suicide Room", ein schonungsloses Portrait der polnischen Oberschicht, die die Menschlichkeit aus dem Auge verloren hat.

Bürgermeister und Herr der Bürger

Nesvatbov | Matchmaking Mayor, CZE/SVK, 2010 Regie: Erika Hníková Sektion: Forum Bildbeschreibung: eine der Protagonistinnen des Films und ihre Mutter auf dem heimischen Sofa. © Internationale Filmfestspiele Berlin
Ledig und bei MutternBild: Berlinale 2011

Von eben dieser Menschlichkeit hat ein Bürgermeister in der ostslowakischen Provinz höchst eigenwillige Vorstellungen. Der schneidige Ex-General, der aus dem Dorf eine propere Mustersiedlung gemacht hat, regiert nämlich ziemlich unverfroren in das Privatleben seiner Mitbürger hinein. Er will alle Singles verheiraten, die über dreißig Jahre alt sind. Er richtet Feste für sie aus und erinnert mit regelmäßigen Lautsprecherdurchsagen daran, dass jeder jemanden fürs Alter braucht und die Welt für Familien gemacht wäre. Das ist keine Realsatire, sondern anzusehen in Erika Hnikovas Dokumentarfilm "Matchmaking Mayor". Auf humorvolle Weise und mit feiner Ironie führt sie die Verkupplungstaktiken des Bürgermeisters vor. Und hat dabei durchaus ein ernsthaftes Anliegen. Die Regisseurin verdeutlicht nämlich, wie sehr dieser vermeintlich so moderne Bürgermeister noch alten Zeiten verhaftet ist. Nicht nur, weil er selbstverständlich die aus kommunistischen Zeiten stammende öffentliche Beschallungsanlage für seine Zwecke nutzt, sondern auch, weil er randvoll ist mit chauvinistischem Gedankengut. Für manche Menschen ist die Wende eben ziemlich spät gekommen. Die haben es nicht geschafft, sich wirklich umzustellen. ´

Autorin: Silke Bartlick

Redaktion: Sabine Oelze