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Hoffnungsträger Bioökonomie

Richard A. Fuchs, Berlin 26. November 2015

Kurz vor dem Weltklimagipfel in Paris gibt sich Berlin grün: Beim ersten Welt-Bioökonomie-Gipfel haben 850 Delegierte aus 82 Staaten darüber beraten, wie ein Wirtschaftssystem ohne fossile Brennstoffe aussehen könnte.

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Teilnehmer stehen an einem Tisch beim ersten Bioökonomie-Gipfel und zeigen Programmhefte Foto: Bioökonomierat Deutschland
Eine Botschaft in Berlin lautet: Grüne Wirtschaft wird überall anders aussehenBild: Bioökonomierat Deutschland

Eiscreme aus Lupinenprotein, Hightech-Garn aus Spinnenseide oder Dämmstoffe aus Holzfasern: Das ist die schöne, neue Welt der Bioökonomie, von der zuletzt immer häufiger in Wissenschaft und Politik die Rede ist. Diese Woche füllte der letzte Schrei in der Umweltpolitik sogar Kongresshallen: Beim ersten Weltgipfel der Bioökonomie in Berlin trafen sich die Teilnehmer, um über etwas zu sprechen, das in der von fossilen Brennstoffen geprägten Welt von heute noch ein wenig wie Zukunftsmusik klingt: eine Wirtschaft, die statt Erdöl ganz auf Biomasse setzt, die mit nachwachsenden Rohstoffen bislang erdölhaltige Produkte wie Benzin, Plastik oder Chemikalien herstellen kann.

Von Löwenzahn-Reifen, Algen-Kerosin und Bio-Dübeln

Für Georg Schütte, Staatssekretär im Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBF), muss diese Zukunftsvision einer biobasierten Wirtschaft keine Zukunftsvision bleiben. Insbesondere dann nicht, wenn Deutschland hier eine Führungsrolle beim Technologietransfer einnimmt. "Unser Land hat einen großen ökologischen Fußabdruck. Auch deshalb haben wir als eines der ersten Länder weltweit eine nationale Forschungsstrategie für Bioökonomie ausgearbeitet", sagt Schütte. In Zahlen bedeutet das:

2,4 Milliarden Euro investiert die Bundesregierung seit 2010 in Forschungsprojekte in diesem Bereich. Und auch die Europäische Union mit ihrem Forschungsrahmenprogramm Horizon 2020 investiert massiv. Allein aus diesem Topf fließen 3,8 Milliarden Euro Fördergelder. Doch das viele Geld trifft auch auf eine große Portion Skepsis: Die biobasierte Ökonomie hat zuletzt zahlreiche PR-Desaster hinter sich. Biosprit aus Monokulturen von Mais ebenso wie die Waldzerstörung für Palmölplantagen haben schwer an dem Image der Branche gekratzt.

Besonders oft betonen Bioökonomie-Fans deshalb in diesen Tagen, dass eine richtig gemachte Bioökonomie kein Raubbau an der Natur sein muss. Und dass es sich bei der Rückbesinnung auf nachwachsende Rohstoffe auch nicht um einen Rückfall in steinzeitliche Produktionsmethoden handele. Ganz im Gegenteil, betont Joachim von Braun. Er ist Ko-Vorsitzender des deutschen Bioökonomierates - eines unabhängiges Beratungsgremiums der Bundesregierung, das Vorschläge für den Umbau unserer Wirtschaft zu einer biobasierten Ökonomie macht. "Eine vermehrt biobasierte Wirtschaft unterstützt die Harmonie zwischen Mensch und Natur in einer Welt, die auf über neun Milliarden Menschen zusteuert und von Klimawandel und Hunger betroffen ist."

Joachim von Braun, Co-Vorsitzender des Bioökonomierates Deutschland. Foto: Wolf P PRANGE
Joachim von Braun, Ko-Vorsitzender des Bioökonomierats, der die Bundesregierung berätBild: imago

Es gilt, für immer mehr erdölbasierte Produkte eine nachwachsende Alternative zu finden. Am Standort Deutschland gibt es hier bereits die eine oder andere ungewöhnliche, aber zukunftsweisende Idee: Statt mit normalem Kerosin können Flugzeuge inzwischen auch mit Treibstoff fliegen, der aus Algen hergestellt wurde. Immer öfter kommen beim Bau von Autos Biokunstoffe aus Flachs, Hanf und Jute zum Einsatz. Selbst Löwenzahn-basierte Reifen finden Verwendung. Und selbst in der Bauwirtschaft werden zunehmend Plastikdübel durch Bioalternativen, Styropor durch Naturfaser-Dämmstoffe ersetzt. Doch vielen geht es mit Bioökonomie nicht schnell genug voran. Jack Bobo gehört dazu. Er ist inzwischen stellvertretender Geschäftsführer von Intrexon, einem amerikanischen Hersteller synthetischer Lebensmittel. Eine Tochterfirma seines Unternehmens brachte jüngst einen genetisch veränderten Lachs auf den Markt, der in einer Aquakultur bereits in der Hälfte der Zeit und mit der Hälfte des Futters ausgewachsen und verzehrbereit ist. Sein Fazit: "Hier in Europa wird viel darüber geredet, wie man das mit der Bioökonomie in die Gänge bringen soll. Ich denke, wir machen das einfach."

Die grüne Ökonomie zu Gast in Berlin Foto: Bioökonomierat
Die grüne Ökonomie zu Gast in BerlinBild: Bioökonomierat Deutschland

Nicht alle aus der noch jungen Bioökonomie-Bewegung würden das unterschreiben. Denn Kritiker sehen auch Gefahren darin, wenn Stoffkreisläufe optimiert und der Einsatz von Gentechnik zum akzeptierten Mittel für die Nahrungsmittelproduktion wird. Schon jetzt laufen sich globale Konzerne wie Monsanto, Syngenta oder BASF für das Wettrennen um die industrielle Seite der Bioökonomie warm. Dabei ist die "Biologisierung der Industrie" auch Teil eines gesellschaftlichen Wandels – weltweit. Was in Berlin besprochen wurde, fügt sich nahtlos in den weltweiten Dialog für mehr Nachhaltigkeit ein. Kaum acht Wochen ist es her, dass bei den Vereinten Nationen in New York neue Nachhaltigkeitsziele verabschiedet wurden. Die in wenigen Tagen in Paris beginnenden Verhandlungen für ein Klimaschutzabkommen sollen einen weiteren Rahmen für den Umbau der Wirtschaft bilden.

45 Länder haben bereits Bioökonomie-Strategien

Wenig bekannt ist, dass bereits 45 Länder eigene Strategien für einen Umstieg zu einem Wirtschaftssystem mit nachwachsenden Rohstoffen ausgearbeitet haben. Dabei fällt auf, was Ulrich Hamm, Agrarwissenschaftler von der Universität Kassel, so formuliert: "Die Bioökonomie wird in jedem Land und auf jedem Kontinent völlig anders aussehen". Ein Vergleich zeigt, wie unterschiedlich die Ansätze schon heute sind. So arbeitet Mauritius an einer Strategie der "Meeres-Ökonomie", die Überfischung verhindern und den Aufbau moderner Aquazuchten fördern will. In Uganda werden erneuerbare Energien, Biotechnologie und Biomasse gefördert, während Malaysia den Schwerpunkt auf den Umstieg auf biobasierte Produkte legt.

Auch wenn Entwicklungs- wie Industrieländer gleichermaßen vertreten sind: Unterschiede bleiben. Beispielsweise darin, mit welchem Selbstverständnis der Weg zur Bioökonomie beschritten werden soll. Herrscht in vielen Ländern Europas und Nordamerika der Gedanke vor, dass diese biobasierte Wirtschaft neue Absatzmärkte für die heimische Hightech-Industrie erschließen wird, sehen besonders Entwicklungsländer den Trend als eine Chance auf fairen Handel und Technologietransfer. Ashok Khosla ist Gründer des indischen Sozialunternehmenes "Developing Alternatives" – eines Sozialprojekts, das genau das erreichen will. Unternehmerisch geführt, entwickeln Khosla und seine Mitarbeiter technologische Innovationen, die auch ärmeren Bevölkerungsschichten einen Umstieg auf nichtfossile Zukunftstechnologien erlauben. Bis zu 40 grüne Alltagstechnologien hat das gemeinnützige Unternehmen bereits in den Alltagsgebrauch eingeführt. Ashok Khoslas Credo lautet dabei: "Wir müssen es schaffen, dass die Entwicklungsländer bestimmte Entwicklungen einfach tunneln, also direkt in die moderne Bioökonomie einsteigen - ohne fossile Umwege."

Ashok Khosla: Früher beim Club of Rome, jetzt indischer Sozialunternehmer Foto: Bioökonomierat
Ashok Khosla: Früher beim Club of Rome, jetzt indischer SozialunternehmerBild: Bioökonomierat Deutschland