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Hohe Erwartungen an Saakaschwili

Deborah Wild3. Dezember 2003

Georgien kann nach dem Machtwechsel Hilfe von der EU erwarten. Am 4.1.2004 wird das neue Staatsoberhaupt gewählt. Michail Saakaschwili ist der Kandidat der vereinigten Opposition und für seine Gegner ein rotes Tuch.

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Gemeinsamer Kandidat der Opposition: Michail SaakaschwiliBild: AP

Die Europäische Union will Georgien helfen. Das versprach der außenpolitische Beauftragte der EU, Javier Solana, am Dienstagabend (2.12.) in Brüssel. Er hatte dort Übergangspräsidentin Nino Burdschanadse zu einem kurzen Gespräch empfangen.

Nach dem friedlichen Sturz des georgischen Präsidenten Eduard Schewardnadse hat die Opposition Michail Saakaschwili als gemeinsamen Kandidaten für die Präsidentenwahl am 4. Januar benannt. Saakaschwili ist ein umstrittener Politiker. Seine Gegner behaupten, er sei ein radikaler Populist. Schewardnadse stufte ihn sogar als gefährlich ein. Für viele Georgier ist er nach der "Rosenrevolution" zum Helden geworden.

Hang zur Konfrontation

Michail Saakaschwili hat in Kiew, Florenz, Straßburg und Frankreich studiert, bevor er in die Vereinigten Staaten ging, um an der Columbia Universität seinen Magister in Jura zu machen. Präsident Eduard Schewardnadse holte ihn in die Heimat zurück, um ihn im Jahr 2000 zum Justizminister zu ernennen. Der 33-Jährige machte sich mit Eifer ans Werk. Der Kampf gegen Korruption steht ganz oben auf seiner Agenda. Hier zeigte sich sein Hang zur Konfrontation. Vor laufenden Kameras präsentierte er etwa den anwesenden Ministern bei einer Kabinettsitzung Fotos von ihren teuren Villen und will wissen, wie sich die Kollegen das von umgerechnet 100 US-Dollar im Monat denn leisten können.

Schnell musste Saakaschwili erkennen, dass er von Schewardnadse keine Rückendeckung erhält. Als sich Schewardnadse weigert, ein Gesetz zu unterschreiben, das es den Bürgern erlaubt, korrupte Politiker aus dem Amt zu klagen, schmeißt Saakaschwili nach nur einem Jahr im Amt das Handtuch.

Von Schewardnadse enttäuscht

Desillusioniert ging er in die Opposition. 2001 gründete Saakaschwili die Partei der "Nationalen Bewegung", mit der er im darauffolgenden Jahr das Stadtparlament von Tiflis eroberte. Die ideale Plattform, um von dort aus gegen den Präsidenten und seine Regierung zu wettern.

Saakaschwili macht Präsident Schewardnadse für die Probleme des Landes – Korruption, Vetternwirtschaft und Armut – persönlich verantwortlich: "Alle haben von Schewardnadse profitiert – bis auf uns. Seine Herrschaft und seine Aktivitäten haben uns vernichtet, obwohl wir sehr viel von ihm erwarteten." Anfang der 90er Jahre habe man noch gedacht, dass Schewardnadse der Gründungsvater einer demokratischen und florierenden Nation sein würde, sagt Saakaschwili: "Aber er wurde nur zum Vater seiner Familie. Die anderen haben alles verloren."

Zugpferd der Opposition

So tritt die "Nationale Bewegung" zu den Parlamentswahlen mit dem Wahlkampfslogan: "Georgien ohne Schewardnadse" an. Und obwohl sich Saakaschwili selbst nicht für einen Sitz im Parlament bewirbt, ist er im Wahlkampf fast überall zu sehen. Denn er ist das Gesicht, das Zugpferd seiner Partei. Er mag die Aufmerksamkeit, sucht das Scheinwerferlicht. Und wo er auftaucht, fliegen schon mal Steine – wie in der Stadt Bolnisi, Hochburg der Regierungspartei. Groß und stämmig gebaut, trotzt Saakaschwili allen Widerständen und Anfeindungen. Ja, er scheint Gefallen daran zu finden, zu provozieren.

Und er weiß, die Massen zu mobilisieren, zu motivieren. Seine Gegner sagen, er würde sie manipulieren. Wo Nino Burdschanadse und Schurab Schwanija besonnen und manchmal zögerlich handeln, reagiert Michail Saakaschwili emotional und impulsiv. So war er es, der – gegen den Widerstand der beiden anderen Oppositionsführer – entschied, das Parlament zu stürmen und damit die Endphase der "Rosenrevolution" einleitete.

Kritiker meinten, seine Emotionalität mache Saakaschwili unberechenbar, sagt Alexander Rondeli, Direktor der Georgian Foundation for Strategic and International Studies: "Saakaschwili ist immer populärer geworden. Er ist ein charmanter junger Mann. Eine Führungspersönlichkeit." Es gebe jedoch Menschen, die Zweifel an seinen Fähigkeiten hätten, räumt Rondeli ein: "Sie glauben, dass er sehr unberechenbar und impulsiv ist. Allem Anschein nach ist er ein Radikaler. Zu opponieren ist eine Sache. Eine andere Sache ist jedoch ein verantwortungsbewusster Staatsmann zu sein."

Seit der Machtübernahme durch die Opposition ist Saakaschwilis Ton umgänglicher geworden. Doch als Präsident muss er Kompromisse machen, Koalitionen schmieden können. Bisher zählte dies nicht zu seinen Stärken. So wäre die besonnenere Nino Burdschanadse vielleicht die bessere Kandidatin gewesen.

Das Volk will einen wie Saakaschwili

Elene Tewdoradse von Burdschanadses Demokraten gibt aber zu bedenken, dass das Volk im Moment nach einem Führer wie Mischail Saakaschwili verlangt: "Er ist radikal in dem Sinne, dass er schnelle Entscheidungen trifft und diese auch schnell in die Realität umsetzt." Das sei es, was die Leute erwarteten, so Tewdoradse: "Sie wollen einen schnellen Schritt in die Zukunft, eine schnelle Veränderung."

Die Erwartungen an Michail Saakaschwili sind hoch. Vielleicht sogar zu hoch. Denn nach den Ereignissen der letzten Tage sehen viele Georgier in ihm den Helden, der sie vor dem Abgrund retten wird.