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Hollywoodstoff: Anne Frank im Film

Heike Mund12. März 2015

70 Jahre ist es her, dass Anne Frank im Konzentrationslager Bergen-Belsen starb. Ihr Leben ist mehrfach für die Kinoleinwand verfilmt worden - auch in Hollywood. Jetzt entsteht der erste deutsche Kinofilm.

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Schauspieler Ben Kingsley sitzt mit seiner Filmtochter Anne Frank im Kino
Bild: picture alliance/United Archives/IFTN

Ein genaues Datum gibt es nicht. Nur der Monat steht fest, amtlich in einer nachträglich 1954 in Amsterdam angefertigten Sterbeurkunde festgehalten: "Anne Frank, geboren: 12. Juni 1929, letzter Wohnsitz: Amsterdam, Merwedeplan 37. Aus rassischen Gründen wegen jüdischer Abstammung am 8. August 1944 ins Konzentrationslager Westerbork (Holland) eingeliefert." Karge amtliche Fakten, hinter denen sich ein erschütterndes Schicksal verbirgt. Zeitzeugen-Aussagen haben den 12. März als Todestag von Anne Frank identifiziert, sie starb im Konzentrationslager Bergen-Belsen an Entkräftung und Typhus. Da war sie 15.

70 Jahre liegen die Geschehnisse zurück. Anne Franks Lebensgeschichte findet bis heute weltweit Interesse, vor allem bei jungen Leuten. Mehrstündige Kinofilme sind bereits über ihr Schicksal gedreht worden, es gibt TV-Mehrteiler und Fernsehserien, sogar ein japanischer Zeichentrickfilm wurde produziert.

Ihr Schicksal als Kinostoff

Die erste Verfilmung "The Diary of Anne Frank" wagte 1959 der erfolgreiche Produzent und US-Regisseur George Stevens ("Giganten"). Die Geschichte der Okkupation Westeuropas durch die Nazis kannte er aus eigener Erfahrung: Als Offizier war er 1944 mit einer US-amerikanischen Filmtruppe auf allen Kriegsschauplätzen an vorderster Front dabei. Er kommandierte die Filmaufnahmen bei der Invasion der Alliierten am D-Day in der Normandie, filmte den siegreichen Einzug von General de Gaulle in Paris und war bei der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau bei München mit der Kamera dabei. Als Regisseur wusste er sehr genau, welchen historischen Hintergrund die Lebensgeschichte von Anne Frank hatte.

Das handschriftliche Original: das Tagebuch der Anne Frank, mit Fotos beklebt
Nicht alle Verfilmungen orientierten sich an der Vorlage des historischen Tagebuchs von Anne FrankBild: picture-alliance/dpa

1956 bekundete als erster Hollywood-Boss Samuel Goldwyn Interesse an einer Verfilmung des Tagebuchs von Anne Frank. Regie sollte William Wyler übernehmen. Für die Hauptrolle war die Schauspielerin Audrey Hepburn im Gespräch, 1929 - im gleichen Jahr wie Anne - in Belgien geboren. Aber daraus wurde nichts. Vater Otto Frank, der als einziges Familienmitglied überlebt hatte und über die Rechte des Tagebuchs wachte, war mit den Drehbuchideen nicht einverstanden. Goldwyn zog sein Angebot beleidigt zurück. Das Hollywoodstudio Twentieth Century Fox bekam den Zuschlag. Ein Budget von drei Millionen Dollar und ein Drehbuch nach dem erfolgreichen Theaterstück, das mit über 700 Aufführungen am New Yorker Broadway ein absoluter Kassenknüller war, erschienen absolute Erfolgsgaranten.

Melodramatischer Hollywoodfilm

Aber Regisseur George Stevens verfing sich bei der als "meisterhafte Verfilmung" angekündigten Kinoproduktion "The Diary of Anne Frank" (Das Tagebuch der Anne Frank) in einem melodramatischen Kammerspiel. Die Drehbuchautoren waren zu nah an ihrem gleichnamigen Theaterstück geblieben. Die Filmkulissen, für viel Geld in Beverly Hills als mehrstöckiges Hinterhaus nachgebaut, erinnerten zu stark an ein Bühnenstück. Zum Entsetzen der Niederländer wählte Regisseur Stevens das amerikanische Fotomodell Millie Perkins für die Hauptrolle aus. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) schrieb damals: "Sie ist hübsch und begabt, aber ersteres scheint zu dominieren." In Elisabeth Taylor-Manier perfekt geschminkt, viel zu erwachsen und mit lackierten Fingernägel im Tagebuch blätternd, wirkt sie nicht wie ein heranwachsendes Mädchen, das zum 13. Geburtstag ihr erstes Tagebuch bekommt.

Filmplakat der ersten Verfilmung aus den USA, hängt hier im Anne-Frank-Zentrum in Berlin
Das historische Filmplakat des ersten Kinofilms von 1959 hängt im Anne Frank Zentrum in BerlinBild: DW/H. Mund

Die kitschige Musikuntermalung nahm dem Kinofilm auch die historische Ernsthaftigkeit. Stiefel im Gleichschritt, endlose "Sieg-Heil"-Rufe und bedrohliche Fliegerangriffe reichten als Geräuschkulisse nicht aus, um die Gefahr, in der sich die versteckte Familie Frank befand, angemessen darzustellen. Trotzdem wurde der Film mit drei Oscars ausgezeichnet: für die beste Kamera, die beste Ausstattung und Shelly Winters als beste Nebendarstellerin.

Nachdem der Film 1959 auch in den europäischen Kinos anlief, hagelte es in Deutschland und Holland harte Verrisse. Die deutsche Fachzeitschrift "Filmkritik" sprach sogar von einer "abgedroschenen Love Story", die sich weit vom Original des Tagesbuches entfernt hätte. Auch der kitschig-sentimentale Schluss, der die Deportation der Familie Frank nach Auschwitz völlig unterschlägt, wurde kritisiert. Und die Süddeutsche Zeitung warf die empörte Frage auf: "Warum musste die deutschen Produzenten diese Verfilmung den Amerikanern überlassen?" Erst 55 Jahre später sollte eine Kinoversion aus deutscher Produktion folgen.

Szenenfotos aus dem Kinofilm "Schindlers Liste": die Schauspieler Liam Neeson und Ben Kingsley
Der britische Schauspieler Ben Kingsley spielte schon in "Schindlers Liste" von Regisseur Steven Spielberg eine HauptrolleBild: picture-alliance/dpa

Die Wucht der historischen Wahrheit

Ganz anders ging der zweiteilige US-amerikanische Fernsehfilm "Anne Frank – The Whole Story" ("Anne Frank – die ganze Geschichte") das Thema 2001 an. Hauptdarsteller Ben Kingsley, der schon im Spielbergs Kinoklassiker "Schindlers Liste" (1993) eine herausragende Rolle hatte, spielte die Rolle von Annes Vater Otto mit sparsam dosierter Mimik. Die tägliche Bedrohung durch die deutschen Besatzer, die Judenanfeindungen auf der Straße, brutale Deportationsszenen: All das war meisterhaft mit dokumentarischen Schwarz-Weiß-Aufnahmen in die szenische Filmhandlung eingewoben. Das Drehbuch des Films basiert auf der Theatervorlage.

Großartige Schauspieler – allen voran die 14-jährige Hannah Taylor Gordon als Anne Frank, und ein Drehbuch, basierend auf der detailreichen Biografie von Melissa Müller, ließen ausreichend Platz für das historische Umfeld. Zwei Jahre lang, vom 12. Juni 1942 bis zum 1. August 1944, schrieb Anne in ihrem Hinterhaus-Versteck ihr berühmtes Tagebuch. Immer wieder sind im Film bewegende Passagen daraus zu hören: "Ich hasse die Deutschen. Sie hören erst auf, wenn alle Juden tot sind."

Szenenbild aus der Hollywood-Verfilmung von Regisseur George Stevens: die Versteckten sitzen um den Tisch
Szenenbild aus der Hollywood-Verfilmung von Regisseur George Stevens, die mit drei Oscars ausgezeichnet wurdeBild: picture-alliance/akg-images

Auch das bittere Ende der Odyssee der Familie Frank durch die Konzentrationslager spart der Film nicht aus. Die Entmenschlichung im Lager, der Anblick der völlig entkräfteten Anne, die zuletzt in der Baracke neben ihrer Schwester nur noch dahinvegetiert, sind erschütternd. Tröstliches bleibt aus, die Schlusseinblendung lange im Gedächnis: "1,5 Millionen Kinder fielen dem Völkermord zum Opfer, den die Nazis Endlösung nannten. Anne Franks Geschichte ist nur eine von vielen." Dem amerikanischen Film, der durch die Dreharbeiten in Prag einen deutlich europäischen Touch hat, brachte es 2001 einen hochverdienten Emmy Award ein.

Erste deutsche Kinoverfilmung des Tagebuches

55 Jahre nach der ersten Verfilmung entsteht jetzt 2015 der erste deutsche Kinofilm über Anne Frank. Produzent ist Michael Souvignier von Zeitsprung Pictures, als Koproduzent ist der Berliner Walid Nakschbandi mit eingestiegen. "Wir wollen die Geschichte von Anne Frank für die heutige Jugend greifbar machen", erläutert Fernsehprofi Souvignier, der gern gesellschaftspolitisch brisante Themen ("Contergan") anpackt. Der Anne Frank Fonds in Basel, der die weltweiten Rechte verwaltet, gewährte der Produktion Zugang zum gesamten Archivmaterial der Familie Frank – ein großer Vertrauensvorschuss.

Die Titelrolle übernimmt die junge Lea van Ackeren, die Schauspielprofis Martina Gedeck und Ulrich Noethen spielen die Eltern von Anne. Regie führt Hans Steinbichler, das Drehbuch hat Fred Breinerdorfer ("Sophie Scholl – die letzten Tage") geschrieben, der gerade auf der Berlinale mit "Elser", einem Film über den Hitler-Attentäter, sein dramaturgisches Gespür für historische Stoffe bewiesen hat. Die Dreharbeiten sind noch bis Ende März angesetzt, im Winter 2015/16 soll der Film in die Kinos kommen.