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Holocaust-Gedenken mit Snapchat

Felix Schlagwein
13. Februar 2017

Kann man die Gräueltaten des Holocaust mit Snapchat vermitteln? Springer-Nachwuchsjournalisten sind davon überzeugt. Mit dem Projekt "sachor jetzt!" (Erinnere dich!) setzen sie ein wichtiges Zeichen gegen das Vergessen.

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Auschwitz-Wachmann
Bild: picture-alliance/dpa/F. Leonhardt

Normalerweise verschickt man mit der Smartphone-App Snapchat witzige Inhalte. Fotos und Videos können mit Hundeöhrchen und anderen Spielereien "dekoriert" werden. Die verschickten Inhalte sind bewusst kurzlebig. Videos und Fotos sind lediglich einige Sekunden zu sehen - dann verschwinden sie. Sie dienen dem kleinen Lacher zwischendurch, sind ein spaßiger Zeitvertreib.

Aber kann man mit einer solchen App auch komplexe historische Inhalte wie den Holocaust vermitteln? Darf man überhaupt in einem Konzentrationslager "snappen"? Ja, sagen 16 Nachwuchsjournalisten der Axel-Springer-Akademie in Berlin. Die Idee dafür kam ihnen nach einem Treffen mit der 94-jährigen Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer. Im Gespräch mit den jungen Männern und Frauen hatte sie gemahnt: "Ich werde eines Tages sterben. Ihr müsst jetzt die Zeitzeugen sein, die wir nicht mehr sein können." Dieser Gedanke ließ die Redakteure nicht mehr los. Sie starteten das Projekt "sachor jetzt!", mit dem sie den jugendlichen Nutzern von Snapchat die Schrecken der Shoah näherbringen wollten. "Sachor" ist hebräisch und bedeutet "erinnere dich". Juden verwenden diesen Ausdruck oft im Zusammenhang mit dem Holocaust.

Das Projekt startete im vergangenen Dezember. Die Nachwuchsjournalisten interviewten zahlreiche Holocaust-Überlebende, trafen deren Nachkommen und besuchten Konzentrationslager. Eine Woche lang veröffentlichten die Redakteure von "sachor jetzt!" täglich einige der bewegenden Geschichten, die sie ausschließlich mit Bildern und Videos über Snapchat erzählen. Und tatsächlich funktioniert das Konzept. Die Autoren bewegen sich gekonnt auf dem schmalen Grat zwischen dem schnellen Snapchat-Medium und seriös hervorgebrachter Information. 

Innovatives Projekt zum richtigen Zeitpunkt

"Erinnern durch Hinschauen" - das ist das Motto des Projekts. Heutzutage ist es wichtiger denn je. Vielen, gerade jüngeren Menschen, fällt es schwer, einen Zugang zu den Gräueltaten des Holocausts zu finden. Diese Zeit ist für sie zu weit entfernt, die Hölle, durch die so viele Juden und andere Opfer des Nazi-Regimes gegangen sind, unvorstellbar. Immer mehr Deutsche würden das dunkelste Kapitel ihrer eigenen Geschichte lieber hinter sich lassen als sich daran zu erinnern: In einer Umfrage der Bertelsmann-Stiftung von 2015 gaben 58 Prozent der Befragten an, endlich einen Schlussstrich unter die Geschichte der Judenverfolgung ziehen zu wollen.

deutschland Björn Höcke ARCHIV
Für seine Kritik an der deutschen Holocaust-Erinnerung wird AfD-Politiker Höcke nun doch aus der Partei ausgeschlossen Bild: picture alliance/AP Photo/J. Meyer

Dieser Trend ist mehr als beunruhigend. Rechtspopulisten springen auf den Zug auf: Jüngst verhöhnte der thüringische Landeschef der AfD, Björn Höcke, in einer Rede in Dresden das Berliner Holocaust-Mahnmal als ein "Denkmal der Schande" und forderte eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad". Das brachte Höcke heftige Kritik ein, der sich seine Partei schließlich beugte. An diesem Montag verkündete die AfD-Führung, dass man Höcke aus der Partei ausschließen wolle.

Viele positive Reaktionen

Die Redakteure von "sachor jetzt!" haben für ihre bewegenden Beiträge und besonders für ihre Art der Geschichtsvermittlung viel Lob erhalten. Der New York Times-Journalist Andrew Lehren würdigte auf der projekteigenen Webseite sachor.jetzt das Projekt als "eine fesselnde Art, neue Formen des Storytellings mit wichtigen Themen zu verbinden und so neue Zielgruppen zu erreichen." Auch Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, zeigte sich beeindruckt von der Arbeit des Springer-Nachwuchses: "Um bei jüngeren Menschen Interesse an der Geschichte und Empathie für die Opfer der Schoah zu wecken, ist es klug, die modernen Medien zu nutzen. Daher begrüße ich das neue Projekt 'sachor jetzt!' und hoffe, dass es viele Nutzer findet", wird Schuster auf der Webseite zitiert. Bisher hat das Projekt allerdings erst wenige Menschen erreicht.

Zentralrat der Juden Josef Schuster
Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, lobt das innovative ProjektBild: picture-alliance/dpa/D. Karmann

Dabei ist "sachor jetzt!" in allen gängigen sozialen Medien mit einem eigenen Kanal vertreten. Auf Snapchat werden die Beiträge 24 Stunden nach Erscheinen zwar gelöscht, jedoch können sie in voller Länge auf der Internetseite sowie über die App "sachor" abgerufen werden. Gerade in Zeiten, in denen sich immer mehr Menschen der Erinnerung an den Holocaust entziehen wollen, setzt "sachor jetzt!" ein wichtiges Zeichen.