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Homilius und Mauersberger

Marita Berg27. Januar 2014

Neben dem Posten des Leipziger Thomaskantors ist kaum ein Kirchenmusikamt in Deutschland so angesehen wie die Position des Dresdner Kreuzkantors. Die Geburtstage zweier "Ehemaliger" jähren sich in dieser Woche.

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Dresdner Kreuzchor
Bild: picture-alliance/dpa

Ihre künstlerische Heimat war die Kreuzkirche in Dresden, ihre ganze Liebe galt der Arbeit mit den Knaben des berühmten Dresdner Kreuzchores, den "Kruzianern". Obwohl beide fast 200 Jahre Geschichte trennen - der eine, Gottfried August Homilius, am 2. Februar vor 300 Jahren geboren, der andere, Rudolf Mauersberger, am 29. Januar vor 125 geboren - haben sie einige Gemeinsamkeiten und ihre großartigen Chormusikwerke werden bis heute von vielen Kirchenchören aufgeführt.

Bachschüler

Der Pfarrerssohn Gottfried August Homilius aus Rosenthal im Erzgebirge begann im Mai 1735 ein Jurastudium an der Universität Leipzig. Doch die "Juristerei" interessierte den Studenten nur wenig, sein Interesse galt der Musik. Er knüpfte Kontakt zum damaligen Thomaskantor und schon bald wurde der Amtsinhaber Johann Sebastian Bach sein Kompositions- und Orgellehrer. Bereits in dieser Zeit schrieb Homilius Vokalwerke und spielte bei Aufführungen seines Lehrers in der Nikolaikirche Orgel.

Porrtrait von Gottfried August Homilius/ 1714-1785 (Foto: gemeinfrei)
Kreuzkantor im 18. Jahrhundert: Gottfried August Homilius wurde vor 300 Jahren geboren und starb am 2. Juni 1785Bild: gemeinfrei

Homilius avancierte zum angesehenen Orgelvirtuosen. 1742 legte er ein Probespiel an der Silbermann-Orgel der Dresdner Frauenkirche ab und wurde bereits am folgenden Tag dort als Organist angestellt. Im Juni 1755 ernannte ihn der Rat der Stadt Dresden zum Kreuzkantor und zum Musikdirektor an den drei evangelischen Hauptkirchen: der Sophienkirche, der Frauenkirche und der Kreuzkirche.

"Der beste Kirchenkomponist"

Seine raffinierten, im neuen "empfindsamen Stil" komponierten Orgelwerke, Motetten, Oratorien und Passionen wurden schnell außerhalb Dresdens bekannt und kursierten in zahlreichen Abschriften in der Schweiz, in Österreich und sogar im Baltikum. Wie die Zeitgenossen war auch der Musikschriftsteller Johann Friedrich Reichardt der Ansicht, Homilius sei "jetzt wohl ausgemacht der beste Kirchenkomponist."

Die meisten seiner Werke für den Kreuzchor erlebten ihre Uraufführung allerdings notgedrungen in der benachbarten Frauenkirche: 1760, während des Siebenjährigen Krieges, hatten preußische Truppen Dresden bombardiert. Die alte Kreuzkirche wurde vollständig zerstört. Ein Notquartier fanden die "Kruzianer" und ihr Kantor in der Frauenkirche - und die meisten Kompositionen Homilius' sind für diesen einzigartigen Kirchenraum entstanden.

Kreuzkantor im NS-Staat

Fast 200 Jahre später, am 13. Februar 1945, musste auch Rudolf Mauersberger die Zerstörung seiner geliebten Kreuzkirche erleben. Mauersberger, ebenfalls aus dem Erzgebirge, war 1930 zum Kreuzkantor und zum Leiter des Kreuzchores gewählt worden. Damit begann die bisher längste Amtszeit eines Kreuzkantors. In seinen 41 Dienstjahren - bis zu seinem Tod 1971 - führte er den Kreuzchor zu Weltruhm und trotzte zwei Diktaturen.

1933, nach der "Machtergreifung" der Nazis, wurde Mauersberger zwar gezwungenermaßen Mitglied der NSDAP, doch konsequent weigerte er sich, NS-Gesänge mit den "Kruzianern" aufzuführen. Im Gegenteil: Er setzte sich über alle Aufführungsverbote hinweg und sang mit dem Kreuzchor auch regelmäßig Werke jüdischer Komponisten.

Rudolf Mauersberger mit Kruzianern 1950 (Foto: Dresdner Kreuzchor/Archiv)
Rudolf Mauersberger trotzte mit seinen Kruzianern zwei DiktaturenBild: Dresdner Kreuzchor/Archiv

Wie liegt die Stadt so wüst

In der Bombennacht vom 13. Februar 1945, zwei Monate vor Ende des Zweiten Weltkriegs, wurde Dresden fast vollkommen zerstört: Zehntausende Menschen starben, Frauenkirche und Kreuzkirche brannten nieder. Elf "Kruzianer" kamen bei den Luftangriffen ums Leben - für Mauersberger war der Tod seiner "Jungs" wie der Verlust eigener Kinder.

"Ich bin wie durch ein Wunder aus der Hölle entronnen", sagte Mauersberger später, und für ihn war klar: der Chor darf nicht untergehen! Schon in den folgenden Tagen begann er mit der Komposition der erschütternden Motette "Wie liegt die Stadt so wüst". "Im Laufe des Jahres 1945 hab ich den Chor so ganz allmählich wieder gesammelt", erzählt er. "Wir hausten in den Kellerräumen einer Oberschule in Dresden-Plauen und sehnten den Augenblick herbei, wo wir wieder in der alten Kreuzkirche unsere Vespern singen konnten."

"Wie liegt die Stadt so wüst" wurde in der ersten Kreuzchorvesper am 4. August 1945 in der Ruine der Kreuzkirche uraufgeführt. Unter den Chorsolisten, der spätere Startenor Peter Schreier, der 1943 als Knabenalt zum Dresdner Kreuzchor gekommen war: "Ich erinnere mich genau an die Uraufführung. Nachdem wir wochenlang aus dem provisorischen Internat in Plauen zur ausgebrannten Kreuzkirche pilgerten, um sie vom Schutt zu befreien, war es dann endlich soweit, dass wir diese Motette zur Aufführung bringen konnten."

Dresdner Kreuzchor singt 1949 in der Ruine der Kreuzkirche (Foto: Dresdner Kreuzchor/Archiv)
1949: Rundfunkaufnahmen in der zerstörten KreuzkircheBild: Dresdner Kreuzchor/Archiv

"Er war unser Vater"

Ein Neuanfang war geschafft, Mauersberger hatte den Chor in kürzester Zeit wieder aufgebaut. Die Dresdner konnten ihre "Kruzianer" wieder regelmäßig in den Kreuzchorvespern erleben und 1947 konnte der Kreuzchor schon seine erste Konzertreise nach dem Zweiten Weltkrieg unternehmen. Alle Konzerteinnahmen spendete Mauersberger für den Wiederaufbau der Dresdner Kirchen.

Nach Gründung der DDR, 1949, wollten die sozialistischen Machthaber den Kreuzchor zwar als "Arbeiterchor" für ihre Parteiveranstaltungen vereinnahmen. Doch Mauersberger hielt - bis zu seinem Tod im Jahre 1971 - konsequent an den kirchlichen Traditionen des fast 800 Jahre alten Chors fest: Mauersberger und seine "Kruzianer" gestalteten auch weiterhin - unbehelligt von den SED-Funktionären - die Kirchenmusik in den Gottesdiensten und die beliebten Kreuzchorvespern.

Dresdner Kreuzchor mit der Dresdner Philharmonie (Foto: picture-alliance/dpa)
Johann Sebastians Bachs "Matthäuspassion" - eine Aufführung mit den Kruzianern und der Dresdner Philharmonie aus 2010Bild: picture-alliance/dpa

"Rudolf Mauersberger hat mich zur Musik geführt und mein ganzes künstlerisches Leben geprägt", schwärmt Peter Schreier noch heute: "Er war unser Vater. Alle meine Chorkameraden verehren ihn bis heute rückhaltlos."