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Hommage an Marlene Dietrich

Jochen Kürten28. März 2015

Geschrieben hat der berühmte Theaterkritiker Alfred Polgar sein Buch über die Leinwand-Diva bereits vor 80 Jahren. Erschienen ist es erst jetzt. Nachzulesen ist darin auch, warum der Text eine so schwierige Geburt hatte.

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Marlene Dietrich
Bild: imago

Alfred Polgar war einer der großen Feuilletonisten des deutschsprachigen Raums. Bevor die Nationalsozialisten die Macht ergriffen, gehörte Polgar zu den einflussreichsten Autoren im Kulturbetrieb. Polgar dürfte heute nicht mehr allen ein Begriff sein, die Jahrhundertfigur Marlene Dietrich muss dagegen nicht vorgestellt werden. Sie hat auch heute noch einen klingenden Namen. Wenn nun also ein Buch, dass Alfred Polgar einst über die Diva geschrieben hat, erst Jahrzehnte nach Verfassung des Manuskriptes an die Öffentlichkeit gelangt, stellt sich natürlich die Frage nach dem Warum.

Das Buch "Marlene - Bild einer berühmten Zeitgenossin", das der österreichische Zsolnay-Verlag jetzt herausgegeben hat, umfasst nicht nur den Text Polgars, sondern klärt auch ausführlich auf über dessen Genese. Diese nachzulesen ist fast spannender als der hymnisch-biografische Text des Kulturkritikers Polgar.

Gegenseitige Bewunderung

Der hatte das Manuskript Mitte der 1930er Jahre verfasst, als er sich in einer misslichen Lage befand: Weil Polgar durch die neuen Machtverhältnisse in Nazi-Deutschland kaum noch Arbeit fand, suchte er verzweifelt Hilfe. Durch einen Freund gelang es ihm, Kontakt zu Marlene Dietrich zu knüpfen. Die Tänzerin, Sängerin und Schauspielerin war schon Ende der 1920er Jahre von Polgar umschwärmt worden - lange bevor sie mit dem Film "Der blaue Engel" ihren Durchbruch feiern konnte. Die Dietrich wiederum war ein Fan Polgars, las seine Kritiken und Prosa gern.

Alfred Polgar (undatiertes Archivbild)
Alfred PolgarBild: picture-alliance/dpa/Hatzinger

Die beiden trafen sich und Marlene Dietrich erfuhr von der finanziellen Notlage Polgars. Sie unterstützte ihn, moralisch, vor allem aber auch finanziell. Polgar wollte sich daraufhin erkenntlich zeigen und bot an, etwas über den Leinwandstar zu Papier zu bringen. Die Schauspielerin fühlte sich geschmeichelt und stimmte zu. Marlene Dietrich war Mitte der 1930er Jahre auf dem Zenit ihrer Karriere, hatte all die berühmten Filme mit ihrem Entdecker Josef von Sternberg gedreht, fiel dann allerdings in ein Karriereloch, galt in Hollywood zeitweise sogar als "Kassengift".

Hymne auf die Diva

Polgars Text geriet damals außerordentlich schwärmerisch, wohl nicht nur, weil er die Schauspielerin als Frau und Künstlerin bewunderte - Polgar war noch nicht einmal ein Freund des Kinos. Der Grund für den hymnischen Text ist wahrscheinlich auch durch den Umstand zu erklären, dass die Diva ihm damals finanziell unter die Arme griff. Zwischen Pathos und Poesie schreibt Polgar beispielweise:

Der Wunsch, diesem Antlitz (…) mit dem Wort beizukommen, weckt (und rechtfertigt) das zur Deutung Lockende an ihm. Es ist ein Gesicht, das nicht nur das Auge, sondern auch den Geist lebhaft anspricht. Es steckt mancherlei dahinter und mancherlei in seiner Tiefe, von dem an die Oberfläche nur so viel Botschaft gelangt, wie sie vom bewegten Meer der letzte weiche Wellenschlag an die Küste bringt.

Marlene Dietrich Die scharlachrote Kaiserin The Scarlet Empress 1934 (Foto: Picture alliance)
Glamouröser Auftritt: Marlene Dietrich in "Die scharlachrote Kaiserin" (1934)Bild: picture-alliance

Veröffentlicht wurde der Text in der Folge trotz der beiden berühmten Namen nicht. Das hatte mehrere Gründe: Ein paar intime Details, die auf Dietrichs lesbische Beziehungen anspielten, waren dem Star dann doch nicht recht - obwohl sie damals in offenen Beziehungen zu Männern und Frauen lebte. Auch ein Verlag für das Buch fand sich in den Wirren der Vorkriegszeit nicht. Alle weiteren Bemühungen scheiterten schließlich wohl auch daran, dass Marlene Dietrich in Amerika weilte, ihre Karriere wieder in Gang bringen wollte und sich auf ihre Auftritte vor den Kameras konzentrierte. Und Alfred Polgar fand im Europa Hitlers natürlich sowieso keine potentiellen Fürsprecher.

Der Kontakt zwischen Dietrich und Polgar brach ab. Das Manuskript allerdings ging nicht verloren, Polgar nahm es bei seiner Übersiedlung in die USA 1940 mit. Danach vewischen sich die Spuren. Erst 1984 fand der Kultur-Journalist Ulrich Weinzierl bei der Witwe von Alfred Polgars Stiefsohn das Manuskript, versteckt in einem Koffer. Doch obwohl der Polgar-Spezialist Weinzierl mit Marcel Reich-Ranicki eines Werkausgabe der Schriften des 1955 verstorbenen Kritikers herausbrachte, veröffentlichten sie den Text nicht.

Buchcover Marlene von Alfred Polgar (Foto: Verlag)

"Das Marlene-Porträt darin aufzunehmen schien uns beiden unangebracht", schreibt Weinzierl im Nachwort zum Buch: "Man kann einen noch nie publizierten, mit zahlreichen Korrekturen des Verfassers versehenen Text nicht einfach unkommentiert abdrucken." Den Text von diesen Äußerlichkeiten zu entschlacken und lesbar zu machen, das gelang erst jetzt. Und so wird der heutige Leser mit einem Manuskript konfrontiert, das aus zweierlei Gründen bemerkenswert ist. Zum einen ist es ein elegant geschriebenes Porträt der großen Schauspielerin, zum anderen bietet das Büchlein ein Stück Kulturgeschichte zwischen Nazi-Deutschland und Hollywood.

Alfred Polgar: "Marlene - Bild einer berühmten Zeitgenossin", hrsg. und mit einem ausführlichen Nachwort von Ulrich Weinzierl, Paul Zsolnay Verlag Wien 2015, 160 Seiten, ISBN 978 3 552 05721 0.