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Hospize in Deutschland

Andrea Grunau17. November 2012

Als der Mediziner Christoph Student begann, sich für die Hospiz-Idee einzusetzen, schlug ihm starke Ablehnung entgegen. Mittlerweile gibt es viele gute Orte für das Leben bis zum Schluss, aber auch noch viel zu tun.

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Ein sterbenskranker Mann sitzt mit seinem Hospiz-Helfer auf dem Sofa (Archiv)
Bild: picture-alliance/dpa

Es sei "obszön", das Thema Sterben öffentlich zu behandeln, das warf man dem Mediziner und Psychotherapeuten Prof. Christoph Student vor: 1984 gründete er in Hannover den ersten ambulanten Hospiz-Dienst in Deutschland, der Sterbende zuhause versorgte. Viele Kollegen griffen Student an oder mieden ihn, "als wäre das Thema Tod ansteckend".

Mediziner und Pflegekräfte haben besonders viel Angst vor dem Tod, weil sie ihm häufiger begegnen, sagt Student im Deutsche Welle-Interview, das sei mittlerweile gut erforscht. Auf Angst reagiere der Mensch mit Flucht oder Aggression. Beides mache blind für die Bedürfnisse der Betroffenen. So lasse sich erklären, warum Sterbende in Krankenhäusern lange in Bäder oder Abstellkammern abgeschoben und mit ihrer Angst und ihren Schmerzen allein gelassen worden seien. Bei der Schmerztherapie galt Deutschland lange Zeit als extrem rückständig, sagt Student. Er gehörte zu den ersten Deutschen, die all das ändern wollten.

"Da werden Sie es nicht leicht haben", prophezeite Cicely Saunders Christoph Student, als er beim Besuch ihres St. Christopher‘s Hospice im Süden Londons ankündigte: "Ich will in Deutschland ein Hospiz gründen." Saunders, Krankenschwester, Sozialarbeiterin und Ärztin, gilt als Vorreiterin der modernen Hospiz-Bewegung und Palliativmedizin, die die Linderung der Beschwerden und die Bedürfnisse sterbender Menschen in den Fokus rückte. Jeder soll selbst entscheiden können, wie er seine letzten Tage verbringt, so schmerz- und beschwerdefrei wie möglich.

Eingangsbereich des St. Christopher's Hospice im Süden Londons (Foto: Christoph Student)
In London lernte Christoph Student die moderne Hospiz-Idee kennenBild: Christoph Student

Deutsche emotional gebremst beim Thema Tod

Während Saunders das St. Christopher's Hospice schon 1967 gründete und in den USA die Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross durch ihre Interviews mit Sterbenden ein breites Umdenken einleitete, blieb man in Deutschland zurückhaltend beim Thema Tod und Sterben. Sozialpsychologisch erklären lasse sich das aus den Erfahrungen der Kriege, sagt Student. Die deutsche Verantwortung für den Tod und die Ermordung von Millionen Menschen, dazu die Euthanasiebewegung, der Mord an schwerbehinderten Menschen, hätte bei vielen Deutschen eine "emotionale Bremse" erzeugt, "eine Vermeidung des Themas Tod in ganz besonderer Weise".

Auch Christoph Student rüttelten erst persönliche Krisen wach. In seiner Mediziner-Ausbildung habe er über das Sterben nichts gelernt, erinnert er sich, den Tod verdrängte er. In seinem "Hospiz-Buch" schreibt er: "Selbst als ich auf einer Kinder-Krebs-Station arbeitete, war ich nicht in der Lage, bewusst wahrzunehmen, dass dort Kinder starben." 1980 erkrankte seine kleine Tochter kurz nach der Geburt an einer sehr seltenen und gefährlichen Infektionskrankheit. Sie starb.

Porträt Prof. Dr. Christoph Student (Foto: Christoph Student)
Palliativmediziner, Buchautor und Psychotherapeut Prof. Dr. Christoph StudentBild: Christoph Student

Ihr Tod habe ihn völlig aus der Bahn geworfen, erinnert sich Student. "Ich hatte das Gefühl, ich kann überhaupt nicht mehr ärztlich handeln, wenn ich noch nicht mal in der Lage bin, meine eigene Tochter am Leben zu erhalten." Kurz danach erkrankte sein bester Freund an Krebs. Student merkte, dass man dem Sterbenskranken als Person in der Klinik nicht gerecht wurde. Für seinen Wunsch, noch einmal nach Hause zu kommen, gab es kein Verständnis. Nach einem Seminar bei Sterbeforscherin Kübler-Ross und dem Besuch bei Saunders in London wurde Student zu einem der Pioniere der Hospiz-Bewegung in Deutschland.

Eine Bewegung von unten mit 80.000 Freiwilligen

Auch an vielen anderen Orten in Deutschland litten Menschen an der schlechten Versorgung Sterbender und gründeten Hospiz-Vereine. Es war kein Beschluss von oben, sondern eine erst kleine und dann immer größere Bewegung von Freiwilligen. Neben Ärzten engagierten sich Pflegekräfte, Seelsorger, Psychologen, Sozialarbeiter und viele andere Ehrenamtliche. Sie wollten Menschen ein gutes Leben bis zum Schluss und ein würdiges Sterben ermöglichen.

Hospiz-Initiativen und Vereine schlossen sich zusammen, um ihr Anliegen politisch durchzusetzen. Als der Deutsche Hospiz- und PalliativVerband (DHPV) im Herbst 2012 sein 20-jähriges Jubiläum feierte, bedankte sich der Gesundheitsminister vor allem bei den ehrenamtlichen Helfern. Der DHPV schätzt, dass etwa 80.000 Freiwillige in der Hospiz-Bewegung engagiert sind. Die allermeisten sind Frauen.

Erinnerungsbild einer Gruppe ehrenamtlicher Hospiz-HelferInnen (Foto: DW)
Ehrenamtliche Hospiz-Helferinnen nach einem Jahr AusbildungBild: DW

Fast zwei Jahrzehnte nach St. Christopher's in London entstand 1986 in Aachen das erste stationäre Hospiz in Deutschland. Mittlerweile gibt es fast 200, meist kleine Häuser mit acht bis zwölf Betten. Seit wenigen Jahren ist der Aufenthalt dort kostenlos für die Gäste, wie man Hospiz-Bewohner nennt. Krankenkassen und Pflegeversicherung übernehmen 90 Prozent der Kosten, der Rest wird über Spenden finanziert. Daneben gibt es mittlerweile mehr als 230 Palliativ-Stationen in Krankenhäusern, die das Ziel haben, Menschen zu stabilisieren und wieder nach Hause zu entlassen.

Sterben, wo man gelebt hat

Ein Schwerpunkt der Hospiz-Bewegung sind rund 1500 ambulante Palliativ-Dienste, die sterbende Menschen dort versorgen, wo sie leben. Ambulant vor stationär - das ist einer der Leitsätze der Hospiz-Bewegung und entspricht den Wünschen der Bevölkerung. Eine Umfrage des DHPV im Sommer 2012 ergab, dass zwei Drittel aller Menschen zuhause sterben möchten. Die meisten Menschen in Deutschland - 2011 starben über 850.000 - erleben ihren Tod aber im Krankenhaus oder im Pflegeheim.

Genau da liegt die Herausforderung. Kliniken und Altenheime sind noch längst nicht alle darauf eingerichtet, gut für Sterbende und das betreuende Personal zu sorgen, sagt Christoph Student. Er spricht von "Inseln der Glücklichen", wo es eine gute Hospiz- und Palliativversorgung gibt. Im Gegensatz dazu aber gelte in anderen Häusern das Sterben immer noch vielen als "Unfall", dem man lieber aus dem Weg gehe.

"Als Hospizler zufrieden sein", das sei bei allen Erfolgen schwierig, sagt auch Praktikerin Gisela Textor. Sie koordiniert die Hospiz-Arbeit im Bundesland Rheinland-Pfalz. Da die Bevölkerung immer älter werde und immer mehr Menschen gerade in Städten alleine lebten, werde die Versorgung Sterbender zuhause schwieriger, befürchtet Textor. Deshalb wünscht sie sich, dass vor allem in Alten- und Behinderteneinrichtungen die Situation verbessert wird. Der Hospiz-Verein in Koblenz, den sie leitet, hat schon angefangen, Altenpflege-Personal dafür weiter auszubilden. Der Kostendruck im Gesundheitswesen macht Textor Sorgen. Am Ende dürfe es nicht um Fallzahlen gehen, sondern um die Bedürfnisse der Betroffenen.

Gisela Textor (rechts) mit der Mitgründerin des Koblenzer Hospiz-Vereins Schwester Mechhild Hoffend (Foto: Hospiz in Koblenz)
Gisela Textor (rechts) beim Koblenzer Hospiz-VereinBild: Hospiz In Koblenz

Dafür will sich auch Bundestagsmitglied Marlene Rupprecht einsetzen, die neue Vorsitzende des Deutschen Hospiz- und PalliativVerbands. 58 Prozent der Deutschen sagten in der DHPV-Umfrage, dass die Gesellschaft sich immer noch zu wenig mit Tod und Sterben beschäftige. Rupprecht will die Debatte über diese Themen stärken. Angefangen bei Schulkindern solle viel mehr über Wünsche und Erfahrungen mit dem Sterben gesprochen werden, fordert sie, dann "verliert der Tod seinen Schrecken".

Hospiz-Pionier Christoph Student, der lange das Hospiz in Stuttgart leitete und viele hundert Menschen beim Sterben begleitet hat, sagt, bis heute habe er die Angst vor dem Tod nicht ganz verloren. Bedenklich sei diese Angst aber nur, wenn man sie verleugne und übergehe. Für sein eigenes Sterben, so der Palliativmediziner und Psychotherapeut, sei er immer bescheidener geworden: "Mir ist es das Wichtigste, dass ich in meiner Umgebung Menschen habe, die mich aushalten und sich alle Hilfe holen, die sie brauchen können."