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"Hotel Mama" in Europa

Alexandra Scherle / Jerko Bakotin30. Juli 2012

In Südosteuropa halten es junge Menschen im europäischen Vergleich am längsten bei ihren Eltern aus: Spitzenreiter ist Kroatien, wo 77 Prozent der Männer unter 34 noch im Elternhaus wohnen.

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Ein Schild mit der Aufschrift "Hotel Mama" (Foto: Fotolia)
Günstig wohnen im "Hotel Mama"Bild: N-Media-Images/Fotolia

Arbeitslos war er noch nie: Der 28-Jährige Kroate Sasa B. hat einen guten Uni-Abschluss im Bereich Industrie-Management und einen Job in der Automobilindustrie. Doch für eine eigene Wohnung reicht es trotzdem nicht: Er verdient weniger als 700 Euro im Monat und könnte es sich kaum leisten, davon Miete und Nebenkosten zu bezahlen. "Ich wohne aus rein finanziellen Gründen noch bei meiner Mutter, in unserer Heimatstadt Split", erzählt der junge Akademiker, der seinen Nachnahmen nicht nennen möchte. "Natürlich würde ich gerne mehr Privatsphäre haben, um Zeit mit meiner Freundin zu verbringen oder eine Party zu organisieren. Trotzdem ist es nicht so schlimm, mit den Eltern unter einem Dach zu wohnen."

Zu dieser Schlussfolgerung seien viele Jugendliche in ganz Europa gekommen, erklärt der Soziologe Gerardo Meil von der Autonomen Universität Madrid. "Die Familienstrukturen haben sich sehr verändert", sagt der Experte für Familiensoziologie. "Heute ist die Autonomie der Kinder größer, sie müssen sich nicht mehr an strenge Regeln halten. Diese neue Freiheit führt dazu, dass Jugendliche es auch länger im Elternhaus aushalten." Doch das sei natürlich kein Idealzustand - in erster Linie würden finanzielle Gründe dazu führen, dass junge Menschen länger bei den Eltern wohnen. 

Porträt des Familiensoziologen Gerardo Meil von der Autonomen Universität Madrid (Foto: Gerardo Meil)
"Mehr Freiheit, auch im Elternhaus": Familiensoziologe MeilBild: G. Meil

Frauen ziehen früher aus als Männer

Der Soziologe Gerardo Meil hatte die Idee, Daten für ausgewählte europäische Länder zu vergleichen, um zu beobachten, wie spät oder wie früh Jugendliche ausziehen. Die Ergebnisse der Erhebung wurden vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) aus Wiesbaden veröffentlicht. Besonders häufig wohnen junge Männer unter 34 in Kroatien (77,5 Prozent), Bulgarien (72 Prozent) und Griechenland (62 Prozent) im Elternhaus. Auch in Rumänien, Ungarn und Polen sowie in den Euro-Krisenländern Spanien, Italien und Portugal lebe etwa die Hälfte der jungen Männer dieser Altersgruppe noch bei ihren Eltern. Sehr früh ziehen dagegen Jugendliche aus Dänemark, Schweden und Norwegen in eine eigene Wohnung. Auch die Deutschen verabschieden sich früher vom Elternhaus als die meisten anderen Europäer.

Überall verlassen die Töchter die Wohnung der Eltern deutlich früher als die Söhne: Weil sie heiraten oder mit einem Partner zusammenziehen.

Rodothea Seralidou hat ihren 18. Geburtstag schon in den eigenen vier Wänden gefeiert - als Studentin der Juristischen Fakultät in Athen. "Meine Eltern lebten weiterhin in Düsseldorf, wo ich auch geboren bin, und haben mir einen monatlichen Betrag überwiesen. Zusätzlich habe ich auch mit Nachhilfe-Unterricht Geld verdient," erinnert sich die heute 32-Jährige deutsch-griechische Journalistin, die seit 2011 für verschiedene Medien in Deutschland und der Schweiz aus Griechenland berichtet.

Porträt der Journalistin Rodothea Seralidou (Foto: Rodothea Seralidou) Juni, 2012
Rodothea Seralidou ist schon vor ihrem 18. Geburtstag ausgezogenBild: Rodothea Seralidou

"Zwischen Wirtschaftsmisere und Bequemlichkeit"

Natürlich sei die wirtschaftliche Misere daran Schuld, dass viele junge Menschen noch mit 30 bei ihren Eltern wohnen. "Doch dazu kommt manchmal auch eine gewisse Bequemlichkeit", meint Rodothea Seralidou. "Viele meiner berufstätigen griechischen Freunde sagen: Ich arbeite sowieso so viele Stunden am Tag, dann ist es doch toll, wenn ich nach Hause komme und Mama gekocht und geputzt hat."

Am besten sei der Mittelweg, sagt die Journalistin: "Jugendliche sollten selbstständig werden und trotzdem im Notfall auf die Eltern zählen können."

Das gilt auch für den deutschen Studenten Christian Mertmann: Er ist direkt nach dem Abitur ausgezogen. Heute lebt er in einer WG in Köln und studiert Kunstgeschichte und Kulturanthropologie. Davor hat er in Enschede (Niederlande) und Graz (Österreich) studiert. Die Familie unterstützte ihn dabei finanziell, aber er hatte auch immer Nebenjobs. "Meine Eltern fanden es gut, dass ich so früh ausgezogen bin", sagt der 25-Jährige. "Sie haben mich immer dazu erzogen, für mich selbst zu sorgen. Und zu Hause habe ich als Schüler auch Aufgaben im Haushalt übernommen, zum Beispiel den Rasen gemäht oder die Fenster geputzt." Daher sei es ihm nicht schwer gefallen, einen eigenen Haushalt zu führen.

Porträt des Studenten Christian Mertmann (Foto: DW/Alexandra Scherle)
Führte schon früh seinen eigenen Haushalt: Christian MertmannBild: DW

"Ich wäre aber nicht ausgezogen, wenn meine Eltern in einer Universitätsstadt wie Köln gewohnt hätten", meint Christian Mertmann. "Unabhängigkeit ist zwar wichtig für das eigene Selbstwertgefühl - aber zu hundert Prozent unabhängig ist man noch nicht durch eine Wohnung, sondern erst, wenn man alles selber bezahlt und keinerlei finanzielle Unterstützung von den Eltern braucht."