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Human Rights Watch: "Schauprozess" in Usbekistan

Christiane Hoffmann20. September 2005

Bedroht, verhaftet, geschlagen - so erging es vielen Demonstranten, die im Mai friedlich für die Achtung ihrer Rechte in Usbekistan demonstrierten. Nun sollen sie abgeurteilt werden. Die Todesstrafe droht.

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Ein Massengrab erinnert an das Blutvergießen im Fergana-TalBild: AP

Gut vier Monate ist es her, seit in im Fergana-Tal ganz im Osten von Usbekistan tausende Menschen für bessere Lebensverhältnisse und gegen Korruption friedlich demonstrierten. Das Regime von Islam Karimow beendete die Demonstrationen blutig - mehr als 700 Menschen starben, hunderte Menschen flohen ins Nachbarland Kirgisien, eine Reihe von Demonstranten wurde festgenommen.

Am Dienstag (20.09.) begann der Prozess gegen einige der Demonstranten. Offenbar ein Schauprozess auf Grundlage erpresster Geständnisse, wie die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch in einem am Dienstag veröffentlichten Bericht feststellte. Die Organisation untersuchte in den vergangenen Monaten die Ereignisse des 13. Mai in der Stadt Andischan im Fergana-Tal. Auf 73-Seiten beschreibt der Bericht das Vorgehen der Polizei gegen Demonstranten, deren Verwandte und andere Augenzeugen. Vor allem Menschenrechts-Aktivisten und unabhängige Journalisten seien bedroht, geschlagen und verhaftet worden; viele von ihnen auch ins Ausland geflohen.

Vorwürfe

In Andischan sei die Lage noch immer sehr angespannt. Jeder lebe in Angst. "Hunderte wurden von der Polizei festgenommen. Sie wurden oft geschlagen und mit schlimmstem Missbrauch bedroht", sagt Acacia Shields vom New Yorker Hauptquartier von Human Rights Watch. "Sie wurden tagelang in Haft gehalten, von der Polizei immer wieder befragt und sie wurden gezwungen, sich schuldig zu bekennen. Viele glaubten, wenn sie gestehen, dann sei es vorbei." Doch das sei nur der Anfang gewesen und sie seien weitere Tage festgehalten worden und sollten weitere Geständnisse machen - dass sie auf dem Platz bewaffnete Kämpfer gesehen hätten oder dass sie selbst Mitglied in einer islamistischen Gruppe seien.

So werden auch den 15 Angeklagten, die seit Dienstag vor Gericht stehen, schwerste Verstöße vorgeworfen, sagt die Menschenrechtlerin. Sie sollen Mitglieder in einer islamistischen Organisation gewesen sein, Menschen verletzt und getötet oder Terrorakte geplant haben.

Die Staatsanwaltschaft stellte kürzlich ihre Version der Ereignisse dar und orientierte sich dabei am Untersuchungsbericht einer parlamentarischen Kommission. Danach sei die Region im Fergana-Tal ein Stützpunkt extremistischer Organisationen, die auch die Unruhen in Andischan vorbereitet hätten. Zwischen Januar und April 2005 hätten ausländische Instrukteure ungefähr 70 religiöse Extremisten im terroristischen Kampf ausgebildet.

Aufstand in Usbekistan blutig niedergeschlagen
A local resident carrying a child, walks by an Uzbek soldier in downtown Andijan, Uzbekistan, Friday, May 13, 2005. Soldiers opened fire on thousands of protesters in eastern Uzbekistan on Friday after demonstrators stormed a jail to free 23 men accused of Islamic extremism. . (AP Photo/Efrem Lukatsky)Bild: AP

Lesen Sie weiter: Wie sollte die EU auf das Vorgehen der usbekischen Regierung reagieren?

Weitere 60 Kämpfer, zumeist aus dem Nachbarland Kirgisien, seien demnach nach Andischan gereist, um den so genannten Terrorakt durchzuführen. Die Aktion habe sich gegen die Verfassung des Landes gerichtet und habe den Aufbau eines islamischen Staates zum Ziel gehabt.

Demonstranten unter Beschuss

Entzündet hatten sich die Proteste im Mai 2005 an einem Gerichtsprozess gegen mehr als 20 Geschäftsleute. Sie waren angeklagt, eine extremistische Vereinigung gebildet zu haben. Allerdings, so Menschenrechtler, sei die "Akromija" eher eine soziale Organisation, die andere mit Krediten und sozialer Hilfestellung unterstütze. Nachdem Bewaffnete am 13. Mai in das Gefängnis eingedrungen waren und die Unternehmer befreit hatten, hatten mehr als 30.000 Menschen gegen die Regierung zumeist friedlich demonstriert und soziale Reformen gefordert. Später hatten Panzer und Polizei ohne Vorwarnung auf die Demonstranten geschossen. Geplant und terroristisch sei diese Demonstration nicht gewesen, sagt auch der usbekische Soziologe Bachodir Musaew. "Ich denke, dass das Ausdruck der Menschen über ihre Unzufriedenheit mit den sozialen und ökonomischen Verhältnissen im Land war", sagt er. "Die Leute forderten die Achtung ihrer Rechte."

Die internationale Gemeinschaft hat Usbekistan aufgefordert, eine unabhängige Untersuchung zuzulassen, wogegen sich das Land bisher weigerte. Eine Reihe von Flüchtlingen, die sich zum Teil in Kirgisien aufhielten, hat inzwischen den internationalen Flüchtlingsstatus erhalten und wurde in europäische Länder ausgeflogen, unter anderem 14 von ihnen nach Deutschland.

EU-Sanktionen gefordert

Acacia Shields hält das für nicht ausreichend. "Es gibt eine Reihe bilateraler Abkommen, von denen die Regierung Usbekistans profitiert", sagt sie. So habe die Europäische Union ein Partnerschafts- und Kooperationsabkommen mit Usbekistan, bei dem das Land im Handel sehr profitiere, das aber auch an die Beachtung der Menschenrechte gebunden sei. "So muss der erste Schritt für die EU sein, dieses Abkommen einzufrieren, bis Usbekistan kooperiert und eine unabhängige Untersuchung zulässt."

Außerdem forderte sie die EU und die USA auf, einen Visa-Bann gegen offizielle Regierungsmitglieder des Landes zu verhängen. Denn der jetzt beginnende Prozess gegen die 15 Andischaner werde alles andere als fair ablaufen. Viele Angeklagte stünden vor der Todesstrafe, die sehr schnell nach einer Veorurteilung durch Erschießen ausgeführt werden könnte.