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Fehlende Fachkräfte

Die Fragen stellte Klaudia Prevezanos18. Mai 2012

Die Sicherung von Fachkräften ist laut Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt die entscheidende Zukunftsfrage für die deutsche Wirtschaft. Um den Mangel zu beheben, setzt er auch auf qualifizierte Zuwanderer.

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Der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbaende (BDA), Dieter Hundt, im Porträt
Bild: dapd

DW: Welche Bedeutung haben zukünftig Migranten bzw. Fachkräfte aus dem Ausland für die deutsche Wirtschaft?

Dieter Hundt: Deutschland ist auf Zuwanderung angewiesen. Wir benötigen in Zukunft auch qualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland. Wenn wir unser Wirtschaftswachstum halten wollen, unsere Wettbewerbsfähigkeit und insgesamt Beschäftigung und Wohlstand auf dem jetzigen Niveau bleiben sollen. Wir werden zuerst die inländischen Potenziale in der Zukunft noch besser nutzen als bisher. Aber zusätzlich benötigen wir ausländische qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Behauptung, dass eine Abschottung des deutschen Arbeitsmarktes gegenüber Fachkräften aus dem Ausland zu mehr Beschäftigung von Inländern führt, ist falsch. Das Gegenteil ist der Fall: Zuwanderung führt zu Dynamik.

Ganz konkret: Wie groß ist der Bedarf der deutschen Wirtschaft an weiteren Fachkräften aus dem Ausland - gerade auch aus Nicht-EU-Staaten?

Die Wirtschaftswissenschaftler prognostizieren bis 2030 einen Rückgang der Bevölkerung in Deutschland in der Altersstufe 20 bis unter 65 Jahre. Es wird genauso prognostiziert - und das ist heute schon relativ eindeutig vorherzusagen - dass wir 2030 zwischen fünf und sechs Millionen Arbeitskräfte weniger sein werden als heute. Und diese Lücke muss aufgefüllt werden: Einmal durch inländisches Potential: Bessere Schulbildung, bessere Vorbereitung der jungen Menschen - insbesondere auch der mit Migrationshintergrund. Dann eine weitere Verstärkung der Beschäftigung von Frauen und das längere Halten von Älteren im Arbeitsmarkt. Darüber hinaus benötigen wir eine Zuwanderung von ausländischen Fachkräften in einer Größenordnung von - nach jetzigen Schätzungen - mindestens noch zwei Millionen Menschen.

Vor allem für die so genannten MINT-Branchen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik?

Wir haben hier bereits jetzt große Probleme, die angebotenen Arbeitsplätze zu besetzen. Das gilt übrigens auch für die Ausbildungssituation. Wir haben sehr große Unterschiede in den einzelnen Regionen in Deutschland. Im wirtschaftsstarken Südwesten fehlen in zunehmendem Maße qualifizierte Fachkräfte. In den MINT-Berufen fehlen derzeit nach statistischen Ermittlungen circa 200.000 qualifizierte Kräfte. Ein Großteil davon Ingenieure. Und diesen Mangel müssen wir so schnell wie möglich beginnen zu beheben. Die Sicherung der Fachkräfte ist die entscheidende Zukunftsfrage für die deutsche Wirtschaft.

Der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbaende (BDA), Dieter Hundt, im Porträt
Bild: dapd

Nun soll die Blue Card kommen, eine Regelung, die niedrigere Hürden für Fachkräfte aus dem Ausland vorsieht, um hier arbeiten zu können. Reicht das?

Die Blue Card gilt zunächst nur für Akademiker. Wir sollten sie dringend ausweiten auf Nicht-Akademiker. Aber es ist ein begrüßenswerter Schritt in die richtige Richtung. Insbesondere in Verbindung mit der Absenkung der Gehaltsgrenzen für qualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland. Das müsste dazu beitragen, dass deren Zuwanderung sich zumindest positiv entwickelt.

Wie wichtig ist die nun neu geregelte leichtere Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse aus Sicht der deutschen Wirtschaft?

Auch das ist ein richtiger Schritt. Wir haben zu viele Ausländer mit Abschlüssen, die derzeit unter ihrer Qualifikation beschäftigt sind. Die sollten wir verstärkt - entsprechend ihrer Qualifikation - einsetzen und damit für die weitere Entwicklung der deutschen Wirtschaft nutzen.

Was müsste - neben Blue Card und Anerkennungsgesetz - noch getan werden, um Fachkräfte aus dem Ausland anzulocken, aber auch, um Migranten, die schon hier sind, besser in den Arbeitsmarkt einzubinden?

Wir müssen vor allem eine Willkommenskultur schaffen. Wir müssen den Menschen aus anderen Ländern, insbesondere auch außerhalb der Europäischen Union, klare Signale geben, dass wir sie dringend benötigen und dass sie bei uns willkommen sind. Da haben wir in der Vergangenheit sicherlich nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Das ist für mich ein ganz wesentlicher Schritt. Darüber hinaus sind wir in die richtige Richtung unterwegs mit Erleichterungen: Dass die Vorrangprüfung in Mangelberufen abgeschafft wurde, und nicht mehr erst geprüft werden muss, ob ein geeigneter Inländer die Stelle besetzen könnte. Dass Ausländer aus Nicht-EU-Staaten nach Deutschland kommen können und über die Dauer eines halben Jahres einen Arbeitsplatz suchen können und nicht von vornherein einen Arbeitsplatz nachweisen müssen. Aber ganz wichtig ist eben die Schaffung einer echten Willkommenskultur, um diesen Menschen zu zeigen 'Wir wollen euch gerne hier bei uns in Deutschland haben'.

Wer soll diese Willkommenskultur schaffen: vor allem die Politik?

Alle, die Gesellschaft, die Wirtschaft und natürlich auch die Politik.

Was tut die deutsche Wirtschaft, um mehr Migranten als Arbeitskräfte zu bekommen und für ausländische Fachkräfte attraktiv zu sein?

Wir werben um ausländische Fachkräfte. Wir haben auch ganz konkrete Unterstützungsmaßnahmen. Beispielsweise in Form von Mentoring in den Unternehmen oder dem Angebot von Sprachkursen auf Unternehmensebene. Darüber hinaus haben wir 'SchuleWirtschaft' als ein Netzwerk, das insbesondere auch dazu beiträgt, junge Menschen mit Migrationshintergrund, die schon bei uns sind, entsprechend zu fördern: Sprachkurse durchzuführen, sie berufsvorbereitend zu begleiten. Um eben auch diese Menschen für den Arbeitsprozess zu gewinnen.

Wie erreichen Sie Fachkräfte im Ausland?

Indem wir Werbung auch im Ausland betreiben und veröffentlichen, dass wir qualifizierte Fachkräfte unterschiedlicher Ausbildung in Deutschland benötigen. Und dies im Ausland auch bekannt machen, zum Beispiel über die Außenhandelskammern.

Dieter Hundt ist seit 1996 Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) in Berlin. In dieser ehrenamtlichen Funktion vertritt er die Interessen der Arbeitgeber der deutschen Wirtschaft in der Öffentlichkeit. Hundt (geboren 1938) ist studierter und promovierter Maschinenbauer. Ab 1964 arbeitete er elf Jahre in der Energiewirtschaft. Von 1975 bis 2008 war er geschäftsführender Gesellschafter des Automobilzulieferers Allgaier Werke GmbH in Baden-Württemberg, deren Aufsichtsratsvorsitz er nun inne hat. Außer für den BDA ist Hundt in zahlreichen Kammern und Verbänden ehrenamtlich tätig.