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"Die Eskalation ist zu weit fortgeschritten"

Torsten Landsberg
18. April 2018

Als Mitglied im Ethikrat des Echos hat Christian Höppner der Nominierung der umstrittenen Rapper Kollegah und Farid Bang zugestimmt. Nun fordert der Präsident des Deutschen Kulturrats eine gesellschaftliche Debatte.

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Porträt von Christian Höppner.
Christian Höppner, Präsident des KulturratsBild: DW/Jan Röhl

DW: Herr Höppner, knapp eine Woche nach der Echo-Verleihung wird die Vergabe an Kollegah und Farid Bang immer noch kontrovers diskutiert, mehrere Künstler haben ihre Auszeichnungen zurückgegeben. Hat die Deutsche Phono-Akademie diese Auswirkungen unterschätzt?

Christian Höppner: Ich glaube, dieses Ausmaß hat keiner vorhergesehen, auch vor dem Hintergrund, dass es eine jahrelange Entwicklung ist, die wir im Bereich Gangsta-Rap haben, der auf Provokation und Grenzüberschreitung ausgelegt ist. Wir waren aber auch als Gesellschaft zu wenig wachsam bei der Frage: Wie gehen wir mit Antisemitismus, Hass, Gewalt gegen Frauen und Diskriminierung um?

Nun wird über Reformen beim Echo diskutiert, dabei wäre der Eklat vermeidbar gewesen: 2013 hatte die Phono-Akademie die Band "Freiwild" wegen massiver Kritik an ihren vermeintlich völkischen Texten trotz Nominierung wieder ausgeladen. Was war damals anders als heute?

Man war damals nicht so weit, wie wir es heute in der Akzeptanz von Eskalationsstufen sind. Es gibt viele andere Fälle, gucken Sie sich Böhmermann oder Tellkamp an, manche Bundestagsabgeordnete bezeichnen Türken als Kameltreiber. Diese Eskalation im Ausdruck von Sprache und auch in den Künsten, insbesondere in der Musik, ist zu weit fortgeschritten.

Macht man es sich nicht zu leicht damit, zu sagen: Weil die AfD im Bundestag sitzt, haben die Echo-Gremien keine andere Wahl, als Musikern einen Preis zu geben, die ihre definierten Bodybuilder-Körper mit denen von Auschwitz-Häftlingen kontextualisieren? Es ist doch offensichtlich, dass das zu weit geht.

Offensichtlich wissen es Teile unserer Gesellschaft nicht.

Über die Preisvergabe hat nicht die Gesellschaft entschieden, sondern die Gremien des Echos.

Das Zulassen der Nominierung und die Möglichkeit, diese Musiker auftreten zu lassen und ihnen einen Preis zu übergeben - das sind sicher zwei verschiedene Hausnummern. Das habe ich auch gegenüber dem Bundesverband Musikindustrie kritisiert.

Kollegah und Farid Bang posieren auf dem Roten Teppich des Echos.
Trotz Kritik ausgezeichnet: Farid Bang (l.) und KollegahBild: picture-alliance/dpa/J. Kalaene

In strittigen Fragen soll beim Echo ein Beirat, dem Sie bislang angehörten, über Nominierungen entscheiden. Wer eine Nominierung zulässt, muss damit rechnen, dass die Nominierten einen Preis erhalten.

Es war ein Ringen um die beiden Verfassungsgrundsätze Menschenwürde und Kunstfreiheit. Es ging um die Frage: Lassen wir die Nominierung zu? Wir haben nicht gesagt, sie sollen den Preis bekommen oder auftreten, aber es war uns bewusst, dass das passieren könnte.

Provokationen sind ein Stilmittel im Battle-Rap, die können sehr geschliffen und geistreich sein oder aber sehr plump. Wenn man zur Provokation in die unterste Schublade greift, um dadurch Aufmerksamkeit zu erlangen, wird Kunstfreiheit zum Selbstzweck. Ist solch ein Beirat nicht auch dafür da, den Missbrauch der Kunstfreiheit zu verhindern?

Das ist richtig, aber es geht auch schnell um die individuelle Bewertung und Geschmacksfragen. Battle-Rap ist ein künstlerisches Format, keine politische Erklärung von Künstlern, das muss man betonen. Ich persönlich finde diese Texte widerlich, aber die Kunstfreiheit ist ein Verfassungsrecht. Wir müssen uns als Gesellschaft fragen, was wir unterhalb ordnungspolitischer Regelungen für einen Konsens im Umgang mit der Menschenwürde herstellen wollen. Momentan gibt es keinen Konsens, sondern eine tiefe Spaltung. Wenn Songs von Kollegah über 30 Millionen mal heruntergeladen werden, ist das kein Klacks, sondern zeigt, dass wir unterschiedliche Positionen in der Gesellschaft haben.

Porträt von Klaus Voormann im Automobilforum in Berlin.
Klaus Voormann gab seinen Lebenswerk-Echo zurückBild: picture-alliance/dpa/A. Burgi

Sie ziehen sich nun aus dem Echo-Beirat zurück. Warum haben Sie das nicht schon vor der Preisverleihung entschieden?

Ich kann mich nur wiederholen: Es war eine Entscheidung im Ringen um das Hochhalten der Kunstfreiheit, gerade auch im Hinblick auf andere europäische Länder. Sehen Sie sich an, wie zum Beispiel in Ungarn mit der Kunstfreiheit umgegangen wird. Ich habe, wie der gesamte Beirat, eine große Hemmschwelle, zu sagen: Das geht so nicht.

Trotzdem bezeichnen Sie diese Entscheidung inzwischen als Fehler und treten aus dem Beirat zurück.

Ich will nicht mehr unter den bisherigen Rahmenbedingungen teilhaben. Selbstverständlich ist der Kulturrat bereit, seinen Beitrag zu leisten, wenn es beim Echo um wirkliche Reformbemühungen geht. Der Primat der Verkaufszahlen muss aufgelöst werden. Wir brauchen eine neue Verständigungsbasis in der Bewertung, was geht und was nicht - unterhalb gesetzlicher Regelungen, wohlgemerkt. Weil diese gesellschaftliche Debatte notwendig ist, wird der Kulturrat zu einem Runden Tisch zu den Grenzen der Kunstfreiheit einladen.

Den Primat der Verkaufszahlen klammert man andernorts bereits erfolgreich aus, es gibt auch keine Grimme-Preise für Rosamunde-Pilcher-Verfilmungen, obwohl die mitunter mehr Einschaltquoten holen als anspruchsvollere TV-Filme. Wie müsste eine Reform beim Echo aussehen?

Marius Müller-Westernhagen beim Echo 2017.
Marius Müller-Westernhagen beim Echo 2017 - der Sänger gibt seine acht Trophäen zurückBild: picture alliance/dpa/J. Kalaene

Man muss den Echo vom Kopf auf die Füße stellen. Ich habe eine grobe Zielvorstellung von einer reinen Fachjury, die im ersten Schritt entscheidet: Ist etwas preiswürdig oder nicht. Im zweiten Schritt kann man überlegen, welche Rolle die Verkaufszahlen spielen sollen.

Die konkrete Zusammensetzung der Jury ist bislang intransparent, vertreten sind Mitglieder des Bundesverbands Musikindustrie, also auch der Plattenfirmen, die kommerzielle Interessen verfolgen.

Es muss künftig für jedermann erkennbar sein, nach welchen Kriterien die Preise vergeben werden, öffentlich transparent und im Internet nachlesbar und ohne Vertreter mit wirtschaftlichen Interessen. Die bisherige Fachjury ist ein Placebo.

Kritik am Echo gibt es nicht erst seit dem Eklat um Kollegah und Farid Bang. Wäre es nicht sinnvoll, dem Echo mal ein, zwei Jahre Pause zu gönnen, um zu überlegen, wie so ein Musikpreis anders aufgestellt werden kann?

Eine Kreativpause ist immer etwas Gutes, mich interessiert aber vor allem, wie es beim nächsten Echo aussieht. Ob der nun nächstes Jahr stattfindet oder in drei Jahren, ist dabei egal.

Christian Höppner ist Dirigent, Träger des Bundesverdienstkreuzes und seit 2013 Präsident des Deutschen Kulturrats. Nach dem diesjährigen Eklat um die Vergabe des Echos hat er seinen Rückzug aus dem siebenköpfigen Ethikrat des Musikpreises angekündigt.

Das Gespräch führte Torsten Landsberg.